Die Universität Greifswald bekommt knapp 4000 neue Mitarbeiter. Was normalerweise Anlass zu großem Jubel und der Aussicht auf perfekte Betreuung geben würde, wird in diesem Fall von einigen Senatoren eher kritisch gesehen. Bei den 4000 neuen Mitarbeitern handelt es sich nämlich nicht etwa um neu eingestelltes Lehrpersonal, sondern um die Mitarbeiter des Universitätsklinikums. Das Klinikum wurde 2002 aus der Universität herausgelöst und existierte seitdem als „Universitätsklinikum Greifswald“, Anstalt des öffentlichen Rechts. Jetzt soll das Klinikum wieder in die Universität integriert werden. Sagt zumindest eine Fraktion der politischen Diskussion, die an der Universität im Wesentlichen durch die Medizin und das Rektorat gebildet wird. Die Gegenseite um den ehemaligen Senatsvorsitzenden Professor Matschke sagt hingegen, dass die Medizinische Fakultät durch diesen Prozess aus der Universität herausgelöst werde, um zusammen mit dem Klinikum eine de facto eigenständige Medizinische Hochschule zu bilden.
Die bisherigen Schritte
Der hochschulöffentliche Prozess begann im Sommer letzten Jahres, als der Senat vom Wirken der Arbeitsgruppe „Nordstern“ erfuhr, die Pläne für die Umstrukturierung der Hochschulmedizin in Greifswald erarbeitet(e). Das ist insofern ungewöhnlich, da es eine originäre Aufgabe des Senates ist, die Entwicklung der Universität zu steuern. Hier wurde diese Rolle hingegen von einer Arbeitsgruppe übernommen, die aus Vertretern der Medizin und des Bildungsministeriums besteht und ohne Wissen des Senates ihre Arbeit aufnahm. Anfang dieses Jahres bildete der Senat schließlich eine eigene Kommission, konnte aber auch durch diese Maßnahme nicht die Führungsrolle erlangen, treibende Kraft blieb die Arbeitsgruppe „Nordstern“. Der Gesetzesentwurf der Arbeitsgruppe „Nordstern“ wurde einem Senator zufolge im Wesentlichen durch externe Rechtsanwälte erstellt, was erhebliche Kosten mit sich brachte.
Als Begründung für die Umstrukturierung wurden von den Befürwortern der Reform steuerliche Gründe genannt. So müsste ein von der Universität losgelöstes Klinikum für Leistungen, die gegenüber der Universität erbracht würden, Umsatzsteuer berechnen. Solche Leistungen sind beispielsweise Lehrveranstaltungen, die von Klinikumspersonal gehalten werden. Obwohl das Finanzministerium die jetzige Situation duldet, müsste man dieses Problem durch eine Umstrukturierung lösen. Für das Universitätsklinikum Rostock (zurzeit ebenfalls eine herausgelöste Anstalt öffentlichen Rechts) wird eine solche Notwendigkeit hingegen nicht gesehen, obwohl die Steuergesetzgebung in Rostock und Greifswald durchaus vergleichbar sein sollte. In den vorliegenden Entwürfen wird die Rechtsformänderung zum 1. Januar 2010 vorgesehen, nach Angaben eines Senators wird dieser Termin wohl nicht eingehalten werden können, da der Gesetzesentwurf noch zur Bearbeitung im Bildungsministerium liegt.
Recht und Einfluss
Fakt ist: Das Universitätsklinikum soll mit der Medizinischen Fakultät zur „Universitätsmedizin Greifswald“, Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR), zusammengefasst werden. Diese soll wiederrum eine rechtsfähige Teilkörperschaft der Universität Greifswald sein und als solche in vielen Fragen eine große Autonomie genießen. So soll sie Bauherrenrecht bekommen, also unabhängig vom landeseigenen Betrieb für Bau und Liegenschaften Gebäude errichten und sanieren können. Auch wird der Haushaltsplan von der Universitätsmedizin selbst erstellt und kontrolliert, dies ist allerdings kein großer Unterschied zur jetzigen Situation. Ein Novum ist, dass die Angestellten der Medizinischen Fakultät einem eigenen privatrechtlichem Tarifvertrag unterstellt werden. Unter dem Dach der Universität werden also zukünftig zwei unterschiedliche Tarifsysteme gelten. Dementsprechend werden die Angestellten der Medizin auch ihren eigenen Personalrat bekommen. Für die Ausgliederung einzelner Aufgaben soll die Universitätsmedizin auch externe privatrechtliche Gesellschaften gründen dürfen.
Dementsprechend wird der Einfluss der Hochschulleitung und des Senates schrumpfen. Eine Ausnahme bleiben die Berufungen von Professoren, hier bleiben die geltenden Regelungen erhalten und Rektorat und Senat können einen gewissen Einfluss ausüben. Auch Zielvereinbarungen mit dem Land sollen weiterhin für die gesamte Universität geschlossen werden. Der Rektor übernimmt auch weiterhin die Repräsentanz in großen wissenschaftlichen Gesellschaften und weitere Aufgaben der Außenvertretung. Grundstücke, Gebäude und andere für den Betrieb nötige Güter werden von der Universität kostenfrei auf die Universitätsmedizin übertragen. Die Universität kann nicht mehr benötigte Grundstücke zurückfordern, allerdings nur, wenn darüber von der Medizin nicht bereits anders verfügt wird. Kritiker sehen hierin einen massiven Einschnitt in das Körperschaftsvermögen der Universität.
Voll integriert werden die Mitglieder der Universitätsmedizin hingegen bei den Gremienwahlen der Universität. Insbesondere bei den Wahlen der Mitarbeitervertreter im Senat wird es hier zu massiven Verschiebungen kommen. So hat das Klinikum zurzeit knapp 4000 Mitarbeiter. Bei den Gremienwahlen 2008 waren an der gesamten Universität 1729 akademische (davon 686 aus der Medizin) und 302 nicht-akademische (davon 38 aus der Medizin) Mitarbeiter wahlberechtigt. Auch ohne die genaue Verteilung der Mitarbeiter im Klinikum zu kennen, kann davon ausgegangen werden, dass die Medizin in Zukunft die Wahlen der nicht-akademischen Mitarbeiter praktisch vollständig dominieren kann und auch bei den Wahlen der akademischen Mitarbeiter sehr großen Anteil haben wird. Die nicht-akademischen Mitarbeiter haben zwei Vertreter im 22-köpfigen engeren Senat und sechs Vertreter im erweiterten Senat, der insgesamt 36 Mitglieder hat. Die akademischen Mitarbeiter entsenden ebenfalls sechs Vertreter in den erweiterten Senat und vier in den engeren. Daneben stellte die Medizin 2008 circa 15% der Studierenden (vier bzw. zwölf Stimmen) und 30% der Professoren (12 Stimmen in beiden Gremien), hatte in den letzten Jahren bei den Studierenden aufgrund traditionell hoher Wahldisziplin einen großen Einfluss. Kritiker monieren, dass die Medizin so einen großen Einfluss auf die restliche Universität nehmen kann, umgekehrt von dieser aber kaum kontrolliert wird.
Die Struktur der Universitätsmedizin
Diese fehlende Kontrolle ist von der Medizin durchaus gewollt, so forderten Vertreter der Medizin, dass ein Vertreter des Rektorats im Vorstand der Universitätsmedizin zwingend ein Mediziner sein müsse. Mit dieser Forderung konnten sie sich im Verlauf der Diskussion aber nicht durchsetzen, die endgültige Entscheidung liegt allerdings beim Landtag, da für die Strukturreform das Landeshochschulgesetz geändert werden und zudem ein zusätzliches Gesetz beschlossen werden muss.
Die Leitungsorgane sind eine Kombination aus den bisherigen Organen der Medizinischen Fakultät und des Klinikums. So sind ein Fakultätsrat (Fachbereichsrat) und ein Aufsichtsrat als „legislative“ Organe und ein Dekanat (Fachbereichsleitung) und ein Vorstand als „exekutive“ Organe vorgesehen.
Der Fakultätsrat wird in der bisherigen Form weitergeführt und entscheidet über grundsätzliche Fragen in Forschung und Lehre. Wirtschaftlich darf er über die Verteilung der Mittel für Forschung und Lehre, leistungsorientierter Gehälter und Drittmittel mitentscheiden und Stellung zum restlichen Haushaltsplan nehmen. Auch Berufungslisten für Professoren unterliegen seiner Entscheidungsgewalt. Das Dekanat (Dekan, Prodekan(e) und Studiendekan) wird vom Fakultätsrat gewählt. Das Dekanat entscheidet über Angelegenheiten in Forschung und Lehre und erstellt auch den entsprechenden Teil des Wirtschaftsplanes und ist für die Drittmittelverteilung verantwortlich. Er ist dem Fakultätsrat verantwortlich und kann von diesem auch abgewählt werden. Diese Abwahl bedarf allerdings der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Dekan wird seine Aufgaben zukünftig hauptamtlich wahrnehmen und somit aus dem regulären Lehrbetrieb aussteigen.
Der Aufsichtsrat wird von jeweils einem Vertreter aus dem Bildungs-, Finanz-, und Sozialministerium, dem Rektor, einem weiteren Universitätsvertreter, zwei Sachverständigen aus Medizin und Wirtschaft sowie dem Vorsitzenden des Personalrates gebildet. Des Weiteren wird die Gleichstellungsbeauftragte der Universitätsmedizin mit beratender Stimme teilnehmen. Einen großen Einfluss haben die Ministeriumsvertreter durch einige Vetorechte. Vetorechte hat auch der Rektor, wenn er die Beschlüsse nicht mit den Satzungen und Ordnungen der Universität vereinbaren kann. Studierende haben in diesem wichtigen Gremium keinen Platz, da auch der weitere Vertreter der Universität hauptamtlicher Mitarbeiter sein muss.
Der Aufsichtsrat ist das oberste Gremium der Universitätsmedizin und gibt dieser unter anderem ihre Satzung und den Wirtschaftsplan, beruft den Vorstand und entscheidet über Kreditaufnahmen, Unternehmensgründungen, Bürgschaften und Grundstücksverkäufe.
Der Vorstand besteht aus wissenschaftlichem Vorstand, ärztlichem Vorstand, kaufmännischem Vorstand und einem Mitglied der Hochschulleitung mit beratender Stimme. Alle stimmberechtigten Mitglieder des Vorstandes werden hauptamtlich und befristet eingestellt, die Dauer der Amtszeit wird in der Satzung festgelegt. Der wissenschaftliche Vorstand ist der Dekan, dies kann vom Aufsichtsrat nur in wichtigen Fällen verhindert werden. Da der wissenschaftliche Vorstand/Dekan alle Entscheidungen bezüglich Lehre und Forschung trifft, die nicht vom Fakultätsrat getroffen werden, liegt hier der vielleicht größte Einfluss des demokratisch gewählten Fakultätsrates. Der Vorstand ist für die Angestellten der Universitätsmedizin personalrechtlich verantwortlich und trifft die sonstigen Entscheidungen im alltäglichen Betrieb, soweit sie nicht den anderen Gremien zugeordnet sind. Berufungen von Professoren, die in den Krankenhausbetrieb eingebunden sind bedürfen seiner Zustimmung. Hier kommt es also zu einem Einschnitt in die sonstige Trennung vom akademischen und vom Krankenhausbetrieb. Der Wirtschaftsplan der Universitätsmedizin wird vom Vorstand aufgestellt. Der medizinische Vorstand leitet (wie der Name schon vermuten lässt) den Krankenhausbetrieb, während der kaufmännische Vorstand für die Verwaltung zuständig ist.
Gewinner und Verlierer
Der große Gewinner der Strukturreform könnten die Professoren werden, die bisher an der Medizinischen Fakultät angestellt waren. Sie haben in Zukunft (wie die bisherigen Professoren des Klinikums) die Möglichkeit, für die Dauer ihrer Tätigkeit ihre Beamtenverträge mit dem Land gegen privatrechtliche Verträge mit dem Klinikum zu tauschen und werden dies wohl kaum machen, wenn es keine Vorteile wie ein höheres Gehalt oder geringere Lehrverpflichtungen für sie bringt. Ihre Pensionsansprüche bleiben hingegen wie die von normalen Professoren. Begründet wurde diese Möglichkeit von den Befürwortern der Reform mit der bisherigen Ungleichbehandlung der rein akademischen Professoren mit denen, die auch in den Krankenhausbetrieb eingebunden waren. Allerdings kommt es so zu einer Ungleichbehandlung der Professoren der Medizin mit denen der restlichen Fakultäten.
Die normalen Mitarbeiter der Universitätsmedizin haben den Luxus, ihre Vertragsart wählen zu können, nicht. Sie werden zwangsweise in einen auszuhandelnden Tarifvertrag mit der Universitätsmedizin gesteckt. Die bisherigen Klinikumsmitarbeiter konnten bereits bei einer Tarifreform 2004 erfahren, dass solche privatrechtlichen Verträge im Vergleich zu Tarifverträgen für Landesangestellte eher weniger Vorteile haben. Die bisher an der medizinischen Fakultät angestellten Mitarbeiter könnten abhängig von ihrer Verhandlungsstärke also zu den Verlierern dieser Reform werden.
Für die Studierenden werden sich vermutlich keine sonderlich großen Änderungen ergeben, da der Lehrbetrieb ähnlich wie bisher weitergeführt wird. Interessant könnte werden, in wie weit sich die Hiwi-Verträge ändern. Auch für die Patienten des Universitätsklinikums wird sich wohl eher wenig ändern, da das Klinikum auch bisher autonom geführt wurde.
Ein Artikel von Florian Bonn mit einer Illustration von Daniel Focke, die auf Fotos von Christine Fratzke und Arik Platzek basiert
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