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Ein Beitrag zur psychoanalytischen Kleidungssemiotik von Eric Wallis

wolfskin-ladenÜberall sieht man JackWolfskin. Das Phänomen ist so auffällig, dass ein mir bekannter Däne wähnte, JackWolfskin sei die neue Uniform der Deutschen! Die Deutschen sehnen sich also nicht nur nach einem neuen großen Führer (vergleiche letzte Kolumne), die Deutschen haben sich auch schon eine neue Uniform besorgt.

Während weltweit die Menschen und besonders die Amerikaner am liebsten die Uniformen aus der Nazizeit auftragen, sind wir Deutschen zur Abwechslung mal einen Schritt weiter. Wir tragen „Outdoor“.

Die ersten die überhaupt solche Kleidung trugen, das waren Kraxel-Heinis und Wald-und-Wiesen-Freaks. Einst waren diese Leute Mangelware. Sie schliefen im schwedischen Winterwald und bestiegen hohe Alpenberge. Extreme Kleidung für extreme Leute. Jeder kannte so jemanden, nur richtig geheuer waren einem diese Menschen nie. Die ersten Nachahmer kamen aus den ökologischen Nischen der Landschaftsökologiestudenten und Umweltschutzaktivisten. Jeder von ihnen besaß zwar nur ein Paar Schuhe, aber das hat 300 Euro gekostet und war von Meindl.

Doch in letzter Zeit hat sich der Trend ausgeweitet. Das Nischendasein ist vorbei: Kleine und große Kinder, deren Eltern, Midlife-Krisisten, frisch verliebte und längst nicht mehr verliebte Paare im Partnerlook, Senioren, Müslifresser, Bettler, Camper, Sonntagsradfahrer, Banker, Professoren, schichtauf, schichtab und quer durch alle Stereotypen tragen die Deutschen Outdoor.

Jeder verlangt nach maximalem Schutz vor peitschendem Regen, vor durchtränkendem Körperschweiß, vor Glätte, Orkan, Taifun, Erdrütschen und -beben. Man will gewappnet sein. Fragt sich nur wogegen wirklich, denn die meisten dieser Katastrophen hat Deutschland gar nicht aufzubieten?

Warum also diese neue Uniform? Wir Deutschen sind eben Sicherheitsfanatiker! Jakob Grimm nannte uns pedantisch und er hatte recht. Wir warten an der Ampel, auch wenn kein Auto kommt, zumindest aber wenn kleine Kinder auf der anderen Seite stehen. Oder unsere Gartenzäune! Oder unsere Handtücher auf den Badeliegen! Oder unsere Studierenden, die Plätze für zehn Weitere in den Hörsälen freihalten, indem sie ihre Kleidung auf ebensovielen Stühlen verteilen! Oder unsere numerierten Kinosessel…

wolfskin-tasseAuch mit dem berühmten MuFuTi (Anm. der Red.: DDR-Deutsch für „Multifunktionstisch“) war man immer auf der sicheren Seite: Kaffeetrinken und Fernsehen – Runterkurbeln! Mittagessen und Abendbrot – Hochkurbeln! Wir mögen es sicher. Darum liebten wir schon immer Paragraphen, Waffen und Uniformen. Die Paragraphen haben wir noch, die anderen beiden haben wir im Zuge unrühmlicher Historie ersetzt.

Aus Waffen wurden Autos und aus der Uniform wurde nun JackWolfskin. Die Genauigkeit, für die wir so bekannt sind, lässt es nur konsequent erscheinen, dass mit der neuen Uniform jeder Deutsche eingekleidet zu werden hat. Darum stürmen wir die Globetrottermärkte und statten uns aus; mit nässetransportierender Unterwäsche, damit man sich nicht erkältet; mit polarfesten Hosen und Jacken, damit man sich nichts abfriert; mit Taschenlampen, die Stürze aus hundert Meter Höhe überstehen, und wenn nicht, dann kriegt man sein Geld zurück.

Weil wir so misstrauisch sind, gibt es bei Globetrotter auch Kältkammern, in denen wir uns Jacke und Hose tiefkühlen lassen können, während uns wohlig warm bleibt. Womöglich bleibt dies der härteste Einsatz für unsere neue MuFu-Kleidung. Outdoor-Kleidung macht uns unabhängig von allen Widrigkeiten des Alltags, und der Alltag ist widrig, das wissen wir. Vorbei die Zeiten der vom Wind zerstörten Regenschirme. Wir wollen es sicher. Da liegt es auf der Hand, dass wir diesem Sicherheitsbedürfnis auch mit unserer Kleidung Ausdruck verleihen wollen, nein müssen.

Wo Sicherheit zum Zwang wird, dort verbirgt sich die Angst. Ja, wir Deutschen sind ein ängstliches und trauriges Volk. Die Angst rührt aus unserer Geschichte. Vor allem durch die beiden Weltkriege haben wir uns mit unsagbarer Schuld beladen. Aus Angst vor dieser Vergangenheit und vor deren Wiederholung gilt es sich zu schützen. Und weil diese Angst und Schuld in unseren Leibern sitzt, darum fühlen wir uns immer ein wenig komisch, wenn wir im Ausland sind. Dieses intuitive Schuldgefühl ist kaum ortbar, kaum verstehbar. Aber es ist oft da. Ängstlich hoffen wir, das Thema gehe an uns vorbei.

wolfshautNichts ist ja schlimmer als sich zu rechtfertigen und am Ende hat man immer das Gefühl, sich gerechtfertigt zu haben. Und dabei wissen wir doch alle: Wer sich rechtfertigt klagt sich an! Psychologen würden sagen, wir seien traumatisiert. Das Schlimme aus unserer kollektiven Vergangenheit macht uns bis heute befangen. Darum können wir auch so schlecht locker sein. Ein weiteres Stereotyp, für das wir weltweit bekannt sind: Der Deutsche ist steif. Wollen wir doch mal locker sein, nutzen wir Alkohol, er entlastet kurz unser Gewissen.

Für die übrige Zeit haben wir jetzt JackWolfskin: Die Wolfshaut. Mit Outdoor stülpen wir uns die Wolfshaut über, obschon wir ein ängstliches Schäfchen sind. Wir verbergen Furcht und Selbstzweifel. Die Wolfshaut gibt uns die Sicherheit, die wir uns selbst nicht geben können. Uniformiert stehen wir im Regen, mimen Härte und eigentlich verbergen wir nur unser verletztes Inneres. Lediglich eine wunderbare semipermeable Membran aus Mikrofaser verhindert, dass wir nicht im eigenen Saft ersticken.

Darum ist MuFu-Kleidung so optimal für uns. Sie panzert uns gegen Schuldzuweisungen und sie versteckt unsere Angst, schuldig zu sein und ermöglicht uns dennoch das Atmen. Nun ja, unsere Haltung wirkt in den vielen Kunststoffschichten schon sehr steif, doch das nehmen wir in Kauf. Lieber steif als ängstlich. Wir verteidigen uns mit der Bärentatze und stülpen die Wolfshaut über, um jedem Angriff von Sturm und Regen standzuhalten, doch bleiben wir im Innersten allein.

Und gerade weil wir keinen reinlassen, fühlen wir uns so unverstanden, so deutsch.

Fotos: Titelseite: HckySo, Wolfskin-Laden: vovchychko, Tasse: Sebastian Jabbusch, Wolfshaut: Kaptian Kobold, alle via Flickr.