Tonöfen in Wolkenkratzern?
Vor vierzig Jahren war das hier besiedelte Land Sumpfgebiet und Marschland, das von den Menschen urbar gemacht wurde. Damals noch befand sich das Gebiet am Rand der Stadt. Heute allerdings ist es von der rasant wachsenden Megacity umschlossen und liegt mitten im Zentrum Mumbais. Zählt man eins und eins zusammen, gelangt man zu einer schlichten Feststellung: Was einst wertloses sumpfiges Niemandsland war, ist heute unvorstellbar wertvoll. Und das macht Dharavi zu einem Politikum.
Finanzkräftige Pressure Groups wollen dieses Land gerne bebauen und die Immobilien zu horrenden Preisen auf dem offenen Markt veräußern. Eine Goldgrube scheint für sie zum Greifen nah zu sein. Der Vorschlag der Unternehmer besteht darin, Hochhäuser für die Slumbewohner zu bauen, die zurzeit in selbstgebauten ein- oder zweistöckigen Häuschen wohnen. Der durch die Umsiedlung eingesparte Platz soll für den Bau von Luxusapartments genutzt werden.
Doch davon halten die Menschen in Dharavi nicht viel. Wie sollen sie in Hochhäusern Öfen bauen um Tonkrüge zu brennen, wie sollen sie dort Leder gerben, Brote backen oder Restaurants betreiben? Warum sollen sie das seit Generationen besiedelte Land zugunsten einer gutbetuchten Elite preisgeben? Damit würden sie nicht nur ihr Einkommen verlieren, sondern auch ihre Kultur aufgeben müssen. In einer traditionellen Gesellschaft wie sie in Indien existiert, ist das unvorstellbar.
Mit dem PUKAR-Projekt sollen die Bewohner Dharavis dazu beitragen Wissen über den Wandlungsprozess zu sammeln, welches anschließend wieder unter ihnen verbreitet wird, um ihr Bewusstsein zu schärfen und ihnen Argumente gegen die Regierung und die Baulobby an die Hand geben soll.
Meine Forschung: Gibt der Konflikt Extremisten Auftrieb?
Innerhalb des Projekts arbeite ich persönlich an der Frage, ob der durch die Globalisierung in Gang gesetzte Wandel politischem und religiösem Extremismus Auftrieb gibt. Diese Frage ist deshalb interessant, weil die in Indien herrschende Sozialstruktur durch verschiedene Religionszugehörigkeiten und durch das Kastensystem geprägt ist. Bestimmte politische Gruppierungen haben sich diesen Fakt zunutze gemacht, um Wähler zu akquirieren, indem sie die Gruppen untereinander ausspielen.
Vor allem zwischen der hinduistischen Mehrheit und der muslimischen Minderheit ist es dadurch bereits mehrfach zu teils blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Muslime wurden in der Vergangenheit zu Sündenböcken erklärt, die angeblich für Arbeitslosigkeit und schlechte Lebensbedingungen der Hindus verantwortlich sind. Heute werden auch Migranten aus anderen Teilen Indiens angegriffen, da sie angeblich der Lokalbevölkerung die Arbeitsplätze streitig machen.
Um hinter die Dynamik blicken zu können, die sich daraus entwickelt, unternehme ich verschiedene Fallstudien. Das heißt, ich interviewe Menschen aus Politik, Polizei und Zivilgesellschaft, aber auch ganz normale Familien aus verschiedenen Communities und analysiere diese Interviews anschließend. Hilfe bekomme ich dabei von jungen Collegestudenten aus den Communities, die mir Kontakte vermitteln und mir als Übersetzer zur Seite stehen. Am Ende soll ein Bild entstehen, das den Verständnisprozess der Menschen aus Dharavi fördert und im Idealfall deren politische Instrumentalisierung eindämmt.
Die unmittelbare Beteiligung der Community-Mitglieder verschafft einer Organisation wie PUKAR Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Das sind zwei wertvolle Ressourcen in unsicheren Zeiten. Ist man in deren Besitz, übertrifft das alle materiellen Güter die man haben kann um Längen. Man blickt in freundliche und stolze Gesichter von Menschen, die sich ihr Leben jeden Tag aufs Neue erkämpfen müssen und trotzdem jeden Gast wie einen König in ihrem Haus bewirten.
„You like India, my very best friend Alex?“, fragt mich mein junger Unterstützer Ganesh, ein Hindu aus Dharavi. „Yes, I love it!“, antworte ich ihm.
Ausführlichere Informationen und weiter Fotos findet ihr auf Alexanders Blog Bombay Tunes.
Übrigens: Wenn Ihr auch für unsere neue Serie „Greifswalder rund um den Globus“ aus dem Ausland berichten wollt, meldet Euch per E-Mail bei web [at] moritz-medien.de. Gastautoren sind herzlich willkommen – auch aus Ländern, die nicht ganz so weit weg sind, wie Indien.
Ein aktuelles Interview des webMoritz mit Alexander zum Terroranschlag von gestern findet ihr hier.
Gestern Abend kam es in Mumbai zu mehreren schweren Terroranschlägen. Der Greifswalder Politikstudent und Ex-AStA-Referent für politische Bildung Alexander Köcher macht in der 14 Millionen Einwohner-Stadt gerade ein Praktikum. Er untersucht u.a. Spannungen in den Slums und berichtet für den webMoritz aus dieser besonderen Stadt…
Gestern Nacht kam es in Mumbai zu mehreren schweren Terroranschlägen. News dazu gibt es u.a. hier:
– http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,593033,00.html
– http://www.stern.de/politik/ausland/:Blutbad-Mumbai-Die-Bilder-Attentats/647162.html
– http://news.google.de/news?hl=de&tab=wn&ned=&q=mumbai&btnG=News-Suche
Ein wirklich sehr schöner Beitrag!
Hoffen wir, dass der plötzliche Terror in dieser faszinierenden Metropole endlich ein Ende hat!
klasse podcast. hast dir sehr viel mühe gemacht. welches schnittprogramm benutzt du und womit nimmst du den podcast auf? bin von der relativ hohen qualität überrascht.
ps.: nach meinem geschmack, etwas zu langsam eingesprochen, aber dennoch großes kompliment.
Hehe – war ganz genau auch meine Frage. Antwort von Alex: Mit Garageband von Apple…
Update:
Wir haben inzwischen ein Interview mit Alexander Köcher zum Thema Terroranschlag geführt. Dieses Interview findet ihr hier:
http://www.webmoritz.de/2008/11/27/interview-mit-alexander-aus-mumbai/
Dem mit typisch westlichen Vorstellungen, nämlich unser soziales und demokratisches Gesellschaftsmodell überallhin transportieren zu wollen, angetretenen Autor wünsche ich, dass er den brutalen islamistischen Terror, der auf der ganzen Welt wütet, hoffentlich schadenfrei und unversehrt überlebt.