Alte Telefonzelle für eine vielfältige Universität

Die Bigband sorgte für die musikalische Untermalung

Seit Dienstag steht wieder eine Telefonzelle am Marktplatz in der Greifswalder Innenstadt. Nachdem sie schon seit Jahren aus dem Stadtbild verschwunden sind, werden jetzt wieder Erinnerungen an alte Zeiten wach. Und genau deswegen wurde sie auch aufgestellt. Denn was aussieht wie ein Überrest aus der Vergangenheit eignet sich nicht dazu, dem Dozenten rechtzeitig Bescheid zu sagen, warum es mit der anstehenden Prüfung wohl nicht klappen wird. Diese Telefonzelle erzählt selbst etwas, und zwar aus der Vergangenheit.

Bei diesem grün-schwarzen Exemplar handelt es sich um den zentralen Bestandteil des Projektes „Bei Anruf-Nachruf“, das am Dienstag mit einem gut besuchten Rahmenprogramm gestartet wurde und schon seit vielen Wochen von 25 Lehramtsstudenten der Universität Greifswald vorbereitet wurde.  Die Telefonzelle steht dabei als Synonym für den Universitätsrückbau, der in Greifswald betrieben wird. Genau so, wie die Telefonzellen aus dem Leben der Bürger verschwunden sind, fallen seit den 90er-Jahren Institute der Geisteswissenschaften Kürzungen am Universitätsetat zum Opfer. Mit der wieder errichteten Zelle soll daran erinnert werden, welche Institute in der Vergangenheit schon verloren gingen und gleichzeitig darauf aufmerksam gemacht werden, welche Auswirkungen weitere Schließungen auf die Stadt haben könnten.

Beim Betreten der Zelle wird in den kommenden fünf Wochen an unterschiedlichen Orten durch einen audiovisuellen Kurzvortrag ein Nachruf über geschlossene Institute verlesen und davor gewarnt, was die Folgen weiterer Schließungen für Stadt und Universität wären. Dabei werden die geschlossenen Institute der Altertumswissenschaft, der Romanistik, der Sportwissenschaft und der Erziehungswissenschaften besucht.

Projektleiter Lars Diele

Das Projekt geht aus einem Seminar des Doktors für Geschichtsdidaktik, Lars Deile hervor. Mit den Studenten sollte ein Projekt gefunden werden, bei dem sich die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um den Erhalt der Lehramtes sei die Idee entstanden, an schon vor langer Zeit geschlossene Bereiche der Universität zu erinnern, und zu zeigen, was damit verloren ging, wie der Didaktiker vor Ort dem WebMoritz berichtet. Mittlerweile habe sich diese Idee verselbstständigt. „Ich bin stolz. Es gibt nichts besseres, wenn sich Studenten weit über ein Seminar hinaus engagieren und Verantwortung für die Universität übernehmen. Sie nehmen ihre Rolle als Historiker wahr und beteiligen sich an einer Debatte, die sie ja auch selbst betrifft.“, erzählte er weiter. Mit dem Projekt werde darauf hingewiesen, was der Verlust für die Vielfalt der Universität bedeuten würde, wenn die Geisteswissenschaften durch den Wegfall des Lehramtes derart geschwächt würden. Langfristig könne der Status der Volluniversität verloren gehen.

Oberbürgermeister Arthur König und Studenten aus dem Projekt

Um 16 Uhr begann die Uni-Bigband, auch vor Ort, mit zwei Stücken das 45-minütige Programm zu eröffnen. Spätestens jetzt wurden viele Passanten angelockt. Anschließend bedankte sich Oberbürgermeister Arthur König bei den Studenten für ihr Engagement. „Eine starke Universität mit fünf starken Fakultäten ist wichtig für die Stadt. Deswegen muss eine schwache Philosophische Fakultät verhindert werden.“, führte er fort.

Nach einem weiteren Stück der Bigband bedankte sich auch Professor Alexander Wöll, Denkan der Philosphischen Fakultät, bei den Studenten für das Positionspapier zum Erhalt des Lehramtes und diese Aktion. Die einzige Chance die Schließung des Lehramtes sei, über öffentliche Aktionen auf die Problematik hinzuweisen. „Die Folgen sind weit umfangreicher als nur der Wegfall von 2000 Studenten, denn Großereignisse wie der PolenmARkT  oder das Gristuf werden maßgeblich durch die Geisteswissenschaftler organisiert.“

„Die Historiker haben den schärfsten Blick für die Zukunft, weil sie die Vergangenheit am besten kennen“ lobte auch Professor Franz Prüß am Institut für Erziehungswissenschaften das Engagement der Studierenden. Anschließend wurde ein Grußwort des Landesbildungsministers Henry Tesch verlesen. Darin lobte er die Aktion als einen Teil lebendiger Demokratie, da Diskussionen angestoßen werden. Das Positionspapier sei bemerkenswert und es werde eine gute Lösung für die Zukunft gefunden werden. In Hinblick auf die Demonstration in Schwerin und einem Artikel im Moritzmagazin übte er auch Kritik. Es sei zu beachten die Hochschulleitung mit einzubinden und er wünschte sich einen faireren Umgang mit seiner Person. Den meisten Zuschauern erschien dieses Grußwort mehr als verlogen und bedankten sich bei Tesch mit Pfiffen und Buh-rufen. Nur vereinzelte applaudierten – allerdings auch nur eher schwach und kurz.

Die Telefonzelle wird enthüllt

Nun konnte endlich die noch verpackte Telefonzelle von Studenten und dem Bürgermeister ausgepackt werden. Christian Ahlrepp erklärte wie die Zelle funktioniert und bedankte sich bei den Unterstützern. Nachdem eine lange Liste von 50 Personen, Firmen und Instituten verlesen wurde, die das Projekt durch Geld- und Sachspenden, sowie durch Zeit- und Arbeitsaufwand ermöglicht haben, ging das größte Dankeschön des Redners Ahlrepp überraschend an sich und das Projekt selbst. Er wies noch einmal alle Zuhörer darauf hin, dass sie gerade das selbsternannt kreativste Projekt des Semesters bestaunen können, was nur durch ihren unendlich Mut und ihrem Aufwand möglich sei. Herzlichen Glückwunsch dafür.

Eine letzte Aufführung der Bigband beendete schließlich die Präsentation und die Menschentraube, die sich inzwischen gebildet hatte, begann die Telefonzelle auszuprobieren.

Anstehen an der Telefonzelle

Den ersten misstrauischen Passanten wurde noch einmal von Projektmitgliedern alles erklärt. Auf die Frage nach einem kurzen Fazit zur Eröffnung antwortete einer von ihnen, Jan Brandt (LA Deutsch-Geschichte): „Die Eröffnung ist gut verlaufen. Die Bigband war prima. Es hätten noch mehr Leute hier sein können, aber ich hoffe, dass sich viele in den nächsten Wochen die Telefonzelle in Ruhe angucken werden, wenn keine Kameras mehr da sind.“

Am 19.07. wird die Zelle am Markt wieder abgebaut. Die nächsten Stationen sind:

20.07. -26.07. Romanistik (Robert-Bluhm-Str. 13)

27.07. -02.08. Bildungswissenschaften (Franz-Mehring-Straße 47)

03.08. -09.08. Sportwissenschaften (Hans-Fallada-Straße 11)

10.08. -17.08. Altertumswissenschaften (Rudolf-Petershagen-Allee 1)

Weiteres über das Projekt gibt es hier.

Fotos: Simon Voigt

Besser leben in Schönwalde I

Gemeinsam mit Schönwalde II hält Schönwalde I in unserer Stadt den Negativrekord in Punkto Arbeitslosigkeit, sowie Kindern und Jugendlichen, die von Hartz IV leben müssen. Vielleicht könnten für den im Laufe der Zeit zum Teil abgewirtschafteten  Greifswalder Stadtteil Schönwalde I neue Mittel bereitgestellt werden, um das Wohnumfeld und die Lebensqualität zu verbessern. Wenn es nach der Bürgerschaft geht, soll der Stadtteil in das Förderprogramm „Soziale Stadt“ aufgenommen werden.

Am Montag diskutierte die Bürgerschaft von Greifswald über die Aufnahme von Schönwalde I in das Programm. Ein fertiger Beschluss liegt zwar noch nicht vor, jedoch ist schon bekannt, dass ein Prüfantrag an die Verwaltung beschlossen wurde. Diese wiederum wird einen Antrag auf Aufnahme in das Förderprogramm beim Land stellen. „Erst dann können Gelder beantragt werden“, wie Andreas Hauck, Abteilungsleiter Stadtentwicklung, klar stellt.

Das Programm „Soziale Stadt“ wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und den 16 Bundesländern 1999 ins Leben gerufen, um den Abstieg benachteiligter Stadtteile aufzuhalten und die Lebensbedingungen der Bewohner zu verbessern. Hintergrund ist, dass sich seit den 1990er Jahren in vielen deutschen Städten eine zunehmende Segregation abzeichnete, also eine Entmischung der Bewohner in den einzelnen Stadtteilen. Teilweise setzte eine regelrechte Spaltung der Stadtbevölkerung ein, die sich in Faktoren wie Beschäftigung, Einkommen, Wohnqualität oder Konsum messen lässt. Es wird von bevorteilten und benachteiligten Stadtteilen geredet.

Die benachteiligten Stadtteile charakterisieren sich durch vielfältige Probleme wie Perspektivlosigkeit, Konzentration von Haushalten mit geringem Einkommen, Mangel an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen aber auch an Grünflächen und Freizeitmöglichkeiten. Das von Bund, Ländern und Kommunen gemeinsam finanzierte Projekt soll dem entgegenwirken und Ansätze zur Entwicklung erproben.

Mit diesen Zielen wurden schon 571 Gebiete in 355 Gemeinden aufgenommen. In Greifswald sind bereits die Stadtteile Fleischervorstadt (1999) und Schönwalde II (2004) Mitglieder in dem Projekt und es sind schon Mittel in Höhe von 10,6 Millionen Euro beziehungsweise 2,9 Millionen Euro geflossen. Der Flohmarkt am Sonntag, dem 4. Juli,  in der Fleischervorstadt wird beispielsweise durch das Programm gefördert.

Da das aktuelle Fördervolumen bereits voll ausgereizt ist, muss der neue Antrag für Schönwalde I gestellt werden, um mögliche weitere Mittel gestellt zu bekommen. Weil Greifswald bereits unterstützt wird, hält beispielsweise der Ortsratsvorsitzende Peter Multhauf (Linke) es für unrealistisch, dass es noch mehr Geld geben wird, sondern eher, dass Gelder für Schönwalde II und der Fleischervorstadt umgeleitet werden.