von Gastautor*in | 21.02.2010
Ein Gast-Erlebnisbericht von Stephan Schumann
Am 13. Februar kommen jedes Jahr unzählige Nazis nach Dresden. Sie benutzen die Vergangenheit um für ihre Parolen zu werben. Seit 1998 jedes Jahr dasselbe. Soweit, so bekannt. Doch dieses Mal war alles anders.
Die Stadt Dresden selber und die örtliche CDU und FDP beteiligten sich am Protest. Ok, nur durch eine Menschenkette, aber um die friedlichen „GehDenken“ Demonstrationen der letzten Jahre haben selbige immer einen größeren Bogen gemacht.
Eine hohe Polizeipräsenz sollte Ausschreitungen verhindern.
Währenddessen versuchte ein breites linkes Bündnis den Aufmarsch der Rechtsextremen zu verhindern. An deren Sammelpunkt, dem Bahnhof Neustadt, wurden Punkt 9 Uhr wichtige Knotenpunkte besetzt. Der Versuch selbiges durch das Anmelden von Spontankundgebungen wenigsten etwas legaler zu machen fiel unterschiedlich erfolgreich aus. Auf dem Albertplatz wurde eine Kundgebung „Gegen das Demonstrationsverbot für Linke in der Neustadt“ genehmigt. (mehr …)
von Gastautor*in | 23.01.2010
Die Hochschulverwaltung plant die Einführung einer Rückmeldegebühr von voraussichtlich 6 Euro pro Semester. Die Immatrikulationsgebühr für die Einschreibung soll gleichzeitig von 10 auf 11 Euro angehoben werden. Damit würden sich die Kosten für den Einschreibung von 50,50 Euro auf 51,50 Euro erhöhen, die Rückmeldungen würden jeweils mit 46,50 Euro (bisher 40,50 Euro) zu Buche schlagen. Bisher ist die Rückmeldung an sich kostenlos: Die 40,50 Euro Semesterbeitrag fließen größtenteils an das Studentenwerk (32,50 Euro), der Rest geht an die Studierendenschaft (8 Euro).
Die Verwaltung hat für die Neuregelung eine Vorlage entwickelt, die nun von der Satzungskomission des Senats auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft wird. Anschließend entscheidet der Senat, ob die Gebühren eingeführt werden oder nicht. Wenn alles problemlos läuft, könnte die Erhöhung bereits ab dem nächsten Wintersemester (2010/11) wirksam werden.
Eine Rückmeldegebühr von 10 Euro pro Semester gab es bereits bis zum Jahr 2008. Die damalige Gebühr war jedoch wegen einer fehlenden rechtlichen Grundlage für rechtswidrig erklärt worden, die Uni musste die erhobenen Beiträge zurückzahlen. Die Einschreibegebühr blieb hingegen bis heute bestehen. Inzwischen hat sich die Rechtslage geändert, sodass die Universität die Gebühren nun einführen kann – theoretisch sogar bis zu 50 Euro pro Semester. Der jetzt zum Beschluss stehende Vorschlag hat gute Chancen, verwirklicht zu werden, auch wenn der AStA bereits erklärt hat, die Gebühren grundsätzlich abzulehnen. Nachdem am Freitag ein Bericht über das Vorhaben in der Ostsee-Zeitung erschienen war, gab der AStA noch am selben Tag eine entsprechende Pressemitteilung heraus. Darin heißt es unter anderem: „Der AStA sieht in der Gebühr einen Versuch, Studierende mit schrittweise steigenden Beiträgen an höhere Kosten zu gewöhnen, um langfristig Studiengebühren in Mecklenburg-Vorpommern einzuführen.“
Christian Wuntke hat sich für den webMoritz mit der geplanten Gebühr auseinandergesetzt und gibt in seiner Analyse einen Überblick über die politischen sowie rechtlichen Hintergründe und die Haltung von Studierendenschaft und Hochschulleitung:
„Verwaltungsgebühr, Studiengebühr – oder was?“
Ein Beitrag zum Beitrags-ABC
(mehr …)
von Gastautor*in | 23.01.2010
Im Rahmen unserer Serie “Greifswalder rund um den Globus” erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen, die Teile ihres Studiums im Ausland verbracht haben. Dieses Mal berichtet Anne Klatt, Noch-Stupistin und Bürgerschaftsmitglied für die Grünen von ihrer Reise nach Tansania.
Tansania ist gewissermaßen eine unbekannte Prominente. Bei den wenigsten Menschen lichtete sich der gestörte Gesichtsausdruck, als ich ihnen ihre Frage nach meinem Reiseziel schlicht mit „Tansania“ beantwortete. Erst nachdem ich Serengeti, Kilimandscharo oder Sansibar, die sich allesamt auf tansanischem Territorium befinden, nachschob, hellten sich die Mienen verstehend auf, als hätten sie eine alte Schulkameradin wiedererkannt.
Mich hat es halb zufällig, halb geplant am Beginn des Greifswalder Winters Mitte November gemeinsam mit meinem Freund in dieses Land geweht. In den fünf Wochen dort ist für mich Vieles von dem, was für uns hier als Schlagzeilen, Kalenderbilder oder Spendenaufrufe der Hilfsorganisationen existiert, fassbare Realität geworden: Auf einmal bist du mitten drin in der immer noch so genannten „dritten Welt“. Wo der Viehbesitz den Status und die Rente sichert. Wo die Menschen von dem leben, was sie mit einer buckligen Hacke auf ihren Feldern erarbeiten. Wo das Warten auf die viel zu späte kleine Regenzeit große Sorgenfalten in die Gesichter schreibt. Und wo einen immer wieder die Kolonialgeschichte anspringt – sei es durch die von Deutschen errichtete und noch immer genutzte Eisenbahnlinie, durch die eingemauerten Glasscherben auf den Schutzwällen der riesigen Liegenschaften der Kirche, durch die vielen (exzellenten!) tansanischen Biersorten oder durch die lateinischen Buchstaben und einige Wörter („Shule“, „bia“) des Swahili. Und auf diese Reise will ich euch jetzt mal eben ein Stück mitnehmen…
„Feucht“-Savanne in Abendsonne, Mikumi Nationalpark
Begrüßungsknuff-Resistenz ist Pflicht, Berührungsängste bitte zu Hause lassen
So vorsichtig und allmählich wie jemand, der mit der Tür ins Haus fällt, wurde ich mit der afrikanischen Mentalität konfrontiert: Von meinem Aufenthalt in Nepal noch immer an die verschlossene, distanzierte und sehr empfindsame Seele der Asiaten gewöhnt, bot mir die herzliche, direkte und offene Art der Tansanier das komplette Kontrastprogramm. Da kann man schon mal bei der ersten Begegnung einen freundschaftlichen Begrüßungsknuff auf den Arm kassieren und während ich meinen Teller in der Cafeteria belud, wurden meine Haare von vier Küchenfrauenhänden inspiziert in der Hoffnung, dass sie das Geheimnis ihrer unfassbaren Farbe preisgäben. An allen Ecken und Enden wird sich herumgelümmelt oder völlig von Hemmungen befreit gelacht. Oder beides. Gestelzt oder graziös sind Adjektive, die hier nicht hergehören. (mehr …)
von Gastautor*in | 08.01.2010
Die am kommenden Montag beginnende Urabstimmung der Studierenden zu Ernst Moritz Arndt erregt die Gemüter – sogar über den Kreis der Studierenden hinaus. Neben der Infozeitung zu Arndt, die von der StuPa-AG zum Uni-Namen herausgegeben wurde, publizierte der Greifswalder Kirchenhistoriker Dr. Irmfried Garbe ein Heft mit dem Titel „Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt“, das mehrere Aufsätze von Wissenschaftlen enthält, die sich eher dem Arndt-freundlichen Flügel der Debatte zuordnen lassen. Es ist online nicht verfügbar, die enthaltenen Aufsätze wurden jedoch größtenteils zur Arndt-Anhörung vor dem Senat verfasst und können auf dessen Homepage nachgelesen und nachgehört werden. Prof. Dr. Helmut Klüter, Lehrstuhlinhaber für Regionale Geographie, äußert sich in einem Gastbeitrag für den webMoritz zu dem Heft:
Prof. Dr. Helmut Klüter
Am 5.1.2010 erschien in Greifswald ein Heft mit vorgeblichen Argumenten „für eine Beibehaltung des Namens Ernst Moritz Arndt-Universität“. Vom Inhalt dieses Heftes sollte man sich distanzieren, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Schon die Diktion ist problematisch. Da heißt es in der Überschrift des ersten Beitrags: „Für die Beibehaltung des Namens Ernst Moritz Arndt-Universität Greifswald.“ Damit wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Umbenennung der Universität von 1933 auch heute Rechtsgültigkeit hat.
Andererseits betonen die Autoren, der gute Arndt hätte dazu aufgefordert, sich gegen despotische und tyrannische Entscheidungen von oben zu wehren. Es steht außer Frage, dass der Entscheidung von 1933 entsprechende Säuberungen und andere Aktivitäten vorausgegangen sind, und dass der damalige Rumpfsenat sich einer Vorgabe des „Stahlhelms“ gebeugt hat, vielleicht auch beugen musste. Warum lehnen sich die angeblichen Apologeten Arndts nicht gegen diese Entscheidung auf? „Wem Furcht vor Jemand seine Zunge schließt, der dünket mich der schlimmste nun und immer“. (Sophokles, zitiert bei Arndt, zitiert von Garbe 2010, S. 12, Anm. 5). Übrigens wäre es auch für die Gegner Arndts angebracht, diese Entscheidung nicht zu akzeptieren. Denn der Universität ist mit dieser Art der Umbenennung 1933 nationalsozialistisches Unrecht widerfahren. Wir sollten also davon ausgehen – nicht zuletzt unter Berufung auf Arndt -, dass die Universität auch heute noch Universität Greifswald heißt.
2. Die „Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt“ sind ein typisches Dokument des Greifswalder Provinzialismus. Keiner der Autoren macht sich Gedanken darüber, wie die Hochschule mit dem Namen Ernst Moritz Arndts im Ausland wirkt. Bisher konnte man darauf hoffen, dass kaum jemand Ernst Moritz Arndt kannte. Im Zeitalter des Internets ändert sich das leider. Wenn man in das französische Google E. M. Arndt eingibt, wird man nicht nur zur Universität Greifswald, sondern auch zu dem nachstehenden Text geführt:
Der Gott, der Eisen wachsen liess
Un article de Wikipédia, l’encyclopédie libre.
Der Gott, der Eisen wachsen ließ est un poème patriotique du poète allemand Ernst Moritz Arndt. Il était écrit juste avant les guerres de 1813 à 1815, pendant lesquelles l’Allemagne se libérait du règne de Napoléon Bonaparte.
Le poème reflète la haine contre Napoléon et le sentiment anti-français du poète, bien qu’il ne nomme pas de noms ou dates historiques d’actualité. Avec une mélodie composée plus tard, ce poème est devenu un des chants les plus importants du mouvement nationaliste allemand.
Texte et traduction
allemand(de)
|
français
|
Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte.
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
dem Mann in seine Rechte;
drum gab er ihm den kühnen Mut,
den Zorn der freien Rede,
dass er bestände bis aufs Blut,
bis in den Tod die Fehde.
So wollen wir, was Gott gewollt,
mit rechter Treue halten
und nimmer im Tyrannensold
die Menschenschädel spalten.
Doch wer für Tand und Schande ficht,
den hauen wir in Scherben.
Der soll im deutschen Lande nicht
mit deutschen Männern erben.
O Deutschland, heil’ges Vaterland!
O deutsche Lieb und Treue!
Du hohes Land, du schönes Land,
dir schwören wir aufs Neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der füttre Krähn und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
und wollen Rache haben.
Lasst brausen, was nur brausen kann,
in hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan
und himmelan die Hände,
und rufet alle Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!
Lasst klingen, was nur klingen kann,
Trompeten, Trommeln, Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann
mit Blut das Eisen röten,
mit Henker- und mit Knechteblut.
O süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
das ist die große Sache.
Lasst wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns Mann für Mann
zum Heldentode mahnen.
Auf, fliege, stolzes Siegspanier
voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
den süßen Tod der Freien. |
Le Dieu qui faisait croître le fer
ne voulait pas d’esclaves.
Puis, il donnait le sabre, l’épée et l’épieu
dans la droite de l’homme ;
puis, il lui donnait le courage hardi,
l’ire de la parole libre,
pourqu’il continue jusqu’au sang,
jusqu’à la mort la querelle.
Nous voulons donc tenir ce que Dieu a voulu
en bonne fidélité
et ne jamais pour la solde des tyrannes
fendre les crânes humains.
Mais celui qui lutte pour vanité et honte,
nous le hacherons en tessons.
Celui-là ne doit point, au pays allemand,
hériter à côté des hommes allemands.
O Allemagne, ô patrie sacrée !
O amour et fidélité allemands !
Pays si haut, pays si beau,
à toi, nous jurons de nouveau :
Veillez les garçons et les esclaves !
Qu’ils fassent manger les corneilles, les corbeaux !
Mais nous allons à la bataille de Teutobourg
et réclamons vengeance.
Faites gronder ce qui peut gronder
aux flammes claires et lucides !
Les Allemands, tous les hommes,
ensemble pour la patrie !
Et élevez les cœurs au Ciel
et au Ciel aussi les mains,
et criez, tous les hommes :
La servitude est finie !
Faites retentir ce qui peut retentir,
les trompettes, les timbales, les flûtes !
Nous voulons aujourd’hui, tous les hommes,
rougir le fer par le sang,
par le sang des bourreaux et des esclaves.
O chéri jour de la vengeance !
C’est un bon son à chaque Allemand,
ceci est la grande chose.
Faites flotter ce qui peut flotter,
les fanions et les drapeaux !
Nous voulons aujourd’hui, tous les hommes,
nous exhorter à la mort héroïque.
Hardi, vole, ô fière bannière de la victoire
devant les lignes audaucieuses !
Nous vainquerons ou nous mourrons ici
de la douce mort des libres. |
Aus: http://fr.wikipedia.org/wiki/Der_Gott,_der_Eisen_wachsen_liess, abgerufen am 7. Januar 2010.
Bedenkt man, dass das Französisch die faktische Regierungssprache der EU-Kommission in Brüssel ist, dann hat die Universität mit dem Namen Arndt ein echtes Marketing-Problem. Wenn eine EU-Sekretärin in Brüssel etwas nicht weiß, dann schaut sie zunächst im französischen Internet nach. Wenn sie dann den oben zitierten Text lesen muss, kann man ihr nicht verdenken, wenn sie einer Hochschule, die Arndt in ihrem Namen propagiert, reserviert gegenübersteht.
Der Text gehört zu den wenigen Artikeln des französischen Netzes, die in deutscher Sprache getitelt sind. Der kommunikativen Nähe dieses grausamen, beschämenden, durch und durch peinlichen Textes zu unserer Universität kann man sich entziehen, wenn man Ernst Moritz Arndt aus dem Namen der Universität streicht. Oder müssen wir darauf warten, bis auch die übrigen 20 Horrorgedichte von Ernst Moritz Arndt neben dem Link zur Universität Greifswald stehen?
3. In dem Beitrag von Irmfried Garbe heißt es am Schluss: „Sein Denkhorizont ist europäisch-christlich bestimmt. Sein akademisches Lebenswerk bietet Stoffe, die sich über Literaturwissenschaft, Pädagogik, Geschichte, Altphilologie, Romanistik, Nordistik, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Staats- und Verfassungsrecht, Theologie, Philosophie, Geographie, Germanistik und Volkskunde erstrecken“ (I. Garbe 2010, S.12). So enden normalerweise Biographien und Aufsätze über Arndts Zeitgenossen und Theologen Nikolai Grundtvig (1783-1872). Herr Garbe hat hier offenbar in die falsche Schublade gegriffen. Sein impliziter Verweis auf Grundtvig ist dennoch sehr wertvoll, zeigt er doch, was ein protestantischer Theologe zu Arndts Zeiten an positiven Impulsen zu geben vermochte. Grundtvig interpretierte die „Entdeckung“ des „Volkes“ in Richtung auf die Erziehung zum mündigen Bürger. Er schuf Volkshochschulen und die Idee des lebenslangen Lernens. Er wollte die Landbevölkerung emanzipieren. Seine Einflussnahme auf die dänische Verfassung von 1848 war derart vorausschauend, dass es in Dänemark seitdem keiner Revolutionen bedurfte, um das Land zu modernisieren. Grundtvig hatte also – im Gegensatz zu Arndt – politischen Erfolg. Als Denkmal steht in Kopenhagen eine riesige Kirche, die seinen Namen trägt. Sogar EU-Programme sind nach ihm benannt. Arndt wirkt im Vergleich zu seinem dänischen Theologie-Kollegen wie ein Dinosaurier.
4. Und dennoch: aus militärgeographischer Sicht war Arndt seiner Zeit voraus. Er erkannte sehr früh, dass die damals neue Raumabstraktion „Vaterland“ als Motivationsrahmen für den straffreien Totschlag die Hörigkeit und den direkten Gehorsam dem Fürsten gegenüber ersetzen konnte. Er verband dabei „Vaterland“ mit „Muttersprachraum“ zu einem totalitären Konstrukt, dem sich „das Volk“ kaum entziehen konnte.
E. M. Ardnt
„ Was ist des Deutschen Vaterland,
So nenne mir das große Land!
So weit die deutsche Zunge klingt
Und Gott im Himmel Lieder singt
Das soll es sein!
Das, wackrer Deutscher, nenne dein!“
Aus: E.M. Arndt: Des Deutschen Vaterland.
„Vaterland“ dient zur Ideologisierung der materiellen Umgebung, mit Muttersprachraum wird auch die immaterielle Umgebung okkupiert. Gott und die Religion werden dabei bedenkenlos den Kampfzielen untergeordnet. Auch die nationale Idee wird über die Religion gestellt. Wer nun erwartet, dass der Theologe Irmfried Garbe dieses blasphemische Element in Arndts Ideologie aufarbeitet oder auch nur erwähnt, wird in den Wortmeldungen von 2010 enttäuscht. Ebenso unterlässt es der Historiker Dirk Alvermann, auf die dadurch begründete Rolle Arndts als Prototyp des „Deutschen Christen“ zu verweisen. („Deutsche Christen“ war in der Zeit von 1932 bis 1945 die Selbstbezeichnung der nationalsozialistischen Richtung der Evangelischen Kirche.)
Die religiös verbrämte Verquickung von „Vaterland“ und „Muttersprachraum“ lässt dem Individuum keine Rückzugsmöglichkeit mehr, von der aus es eine Aufforderung zum straffreien Totschlag kritisieren könnte. Damit wurde eine fast automatische Tötungsmaschinerie aus der Taufe gehoben, die mit dem Aufkommen der Massenvernichtungswaffen in Kriegen und Weltkriegen ihre blutige Umsetzung fand. Viele Administrationen und Regimes haben von dem darauf aufbauenden Instrumentarium Gebrauch gemacht, es gegenüber der eigenen Bevölkerung in Stellung gebracht und sie in den Krieg geschickt. Es scheint so attraktiv zu sein, dass selbst heutige Militaristen gern darauf zurückgreifen: „Komplementär zu seinen demokratischen Überzeugungen vertrat Arndt, inmitten der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Frankreich, eine für seine Zeit einzigartige und noch für unsere heutige Zeit vorbildliche militärische Ethik“. (R. Bach 2010, S.16; Hervorhebung von H. K.). Das heißt: auch im Zeitalter der atomaren Erstschlags- bzw. Antwortstrategien sind Kriege dann erlaubt, wenn der Mordende nur die richtige Ethik hat. Die Opfer haben das bitte in christlicher Demut zu akzeptieren. (vgl. Garbe 2010, S.12: Er hält Arndt für einen Christen).
5. Auf solche Argumente antworten Tietz, Bach, Staats, Garbe und Alvermann, dass für so etwas nicht Arndt verantwortlich gemacht werden könne, der sei doch bereits 1860 verstorben. Das ist sicher richtig. Aber wir, die Menschen von heute, wissen, wie die Geschichte weiter gegangen ist – und die genannten Tietz, Bach, Staats Garbe und Alvermann sollten es auch wissen. Insofern ist deren Verteidigung Arndts ein eher plumpes Ablenkungsmanöver: Nicht Arndt möchte seinen Namen über der Universität Greifswald sehen, sondern Tietz, Bach, Staats, Garbe und Alvermann möchten es. Die Intensität, mit der sie in ihren „Wortmeldungen“ Arndt zu entschuldigen suchen, lässt auf die Dimension ihres schlechten Gewissens schließen, das sie offenbar bei diesem Unterfangen haben.
Fassen wir zusammen:
- Für eine moderne Universität ist es blamabel, wenn sie sich bei ihrer Namensgebung auf eine zweifelhafte Initiative des faschistischen „Stahlhelms“ von 1933 stützt. Die damalige Umbenennung ist aus heutiger Sicht inakzeptabel.
- Im Zeitalter des Internets kann man Arndts „Werk“ nicht länger geheim halten. Unsere internationalen Partner haben die Möglichkeit, zu erfahren, wer da als Namenspatron fungiert. Als einzelner Wissenschaftler hat man dann nur noch die Möglichkeit, sich von der Aktion 1933 zu distanzieren. Was ist ein Image wert, wenn man sich davon distanzieren muss?
- Bereits vor dem Zeithintergrund des frühen 19. Jahrhunderts und vor allem in Bezug auf damalige Angewandte Theologie erscheint Arndt hoffnungslos veraltet. Der Protestantismus hat das Glück, dass einige romantische Ideen dieser Zeit durch Grundtvig und andere Theologen für die heutige Kirche uminterpretiert und für die gesellschaftliche Praxis gerettet werden konnten. Das sollte aber keineswegs Arndt zugerechnet werden.
- Mit der religiös verbrämten Verquickung von „Vaterland“; „Muttersprachraum“ und -komplementär dazu – dem Hass auf andere Völker hat Arndt wesentliche Bausteine dafür geliefert, Aggression gegen andere Staaten auch in Friedenszeiten latent zu halten. Die kriegerischen Entladungen haben 1918 und 1945 haben zwei deutsche Administrationen in den Untergang geführt. Ist das noch nicht genug?
- Diejenigen, die dennoch für Arndt als Namenspatron plädieren, führen einen merkwürdigen Stellvertreterkrieg: Sie sezieren Arndt, seine Biographie und die entsprechenden Vergangenheiten. Daraus basteln sie ihre eigene, gegenwärtige, humpelnde, kriegsträchtige Tradition und ihre ebenso konservativ angeschrägte, schon von Motten zerfressene Identität. Genau diese möchten sie durch den Namen der Hochschule bestätigt sehen. Sie machen aus dem Universitätspatron ein Universitätsgespenst. Der Widergänger muss episodisch neu beschworen werden, denn „die Konstruktion von Vergangenheit und Deutung der Gegenwart muss immer wieder neu erfolgen…“ (Alvermann 2010, S. 30). Für derartige Geisterbeschwörungen sollte unsere Universität sich zu schade sein.
Literatur:
Alvermann, D.: Über Arndt. In: Garbe 2010, S. 17 – 32.
Arndt, E. M.; Hoffmann von Fallersleben, A. H.; von Schenkendorf, M.: Gesammelte Werke. Berlin ca. 1910.
Bach, R.: Ernst Moritz Arndt – Namenspatron der Universität Greifswald. In: Garbe 2010, S. 13-16.
Garbe, I. (ed.): Wortmeldungen zu Ernst Moritz Arndt. Greifswald 2010.
Garbe, I.: Arndt als Greifswalder Unipatron – Gesichtspunkte für die öffentliche Anhörung am 11. Dez. 2009. In: Garbe 2010, S. 10-12.
Staats, R.: Erklärung zu Namen „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ in Greifswald. In: Garbe 2010, S. 8-9.
Tietz, K.E.: für die Beibehaltung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In: Garbe 2010, S. 2-5.
Bilder: webMoritz-Archiv
von Gastautor*in | 16.12.2009
Ein Gastbeitrag von Elena Vogt
Am vergangenen Wochenende reisten Umweltaktivisten aus der Region nach Kopenhagen, um am Rande des Umweltgipfels unter anderem gegen die Baupläne für ein Kohlekraftwerk in Lubmin zu protestieren. Schon auf der Hinfahrt stand dann plötzlich fest: Das Kraftwerk wird nicht gebaut. Unsere Gastautorin Elena Vogt war bei der Fahrt dabei und porträtiert einen der zahlreichen Kämpfer gegen das Steinkohlekraftwerk.
Auf dem Weg zum Klimagipfel nach Kopenhagen erhält am 11. Dezember 2009 eine Gruppe von rund 100 Umweltaktivisten, vorwiegend aus Norddeutschland kommend, die Nachricht, dass sich DONG- Energy von seinen Plänen für den Bau eines Kohlekraftwerks in Lubmin verabschiedet hat. Erst wenige Minuten auf dänischen Straßen unterwegs, bedeutet dies für alle ein enormen Gewinn für den Klimaschutz. Für viele aber auch das Ende eines langen kräftezehrenden Weges.
Peter Freygang erzählt, wie es ist, für die eigenen Ideale zu kämpfen und wie es sich anfühlt, wenn man ein jahrelang verfolgtes Ziel gerade erreicht hat. Er ist einer der Gründungsmitglieder der Bürgerinitiative Usedom gegen das Steinkohlekraftwerk.
Weihnachtsbitte an die Dänen (mehr …)