Theater: Harte Kost für Partypeople

Ist der Samstagabend nicht fürs Feiern prädestiniert? Auf der Suche nach der ultimativen Saturday-Night-Stimmung werden so einige Termine angesetzt, manchmal in Gestalt eines Geburtstags, eines Abschieds oder auch nur so. Doch was ist, wenn während eines Fests ein ver- und zerstörtes Gemüt nach einem Ausweg schreit?

So geschehen am 4. Juni im TiP, dem Theater im Penguin. Zur Inszenierung kam der Stoff aus dem Film „Das Fest“ von Regisseur Thomas Vinterberg. Wer sich noch erinnert, welche schockierenden und immer noch tabuisierten Themen in diesem Dogma-Klassiker aufgegriffen wurden, wird sich vorstellen können, vor wie vielen Schwierigkeiten eine zur Umsetzung des Stoffes entschlossene Theatergruppe gestanden haben muss.
Sich inhaltlich deutlich am Film orientierend wird erneut der sexuelle Missbrauch an den Zwillingen Christian und Linda aufgetischt. Ankläger: Christian. Angeklagter: der eigene Vater. Dessen 60. Geburtstag will von der Familie gefeiert, vom Sohn zur Aufdeckung der Schandtaten genutzt werden. Ein Kampf beginnt, die heile Welt ist in Gestalt der versammelten Familienmitglieder numerisch über-, Christian, als verstörter Sonderling rhetorisch unterlegen. Erschwerend tritt die Bürde des Freitods der Schwester hinzu.
Als Zuschauer erlebt man nun den Weg eines jungen Mannes, der zwischen Schuld und Unschuld pendelt, nach der Befreiung von teils verdrängten, teils unverdrängten Traumata sucht. Innere Hindernisse müssen genauso umgestürzt werden wie die äußeren der vor Verlogenheit ächzenden Umwelt.
So schwierig es für Nichtbetroffene ist, sich in eine solche Situation hinein zu versetzen, so schwierig ist es auch, sie auf der Bühne darzustellen. Dem gesamten Ensemble muss daher ein Lob ausgesprochen werden, bestand es doch lediglich aus Laienschauspielern der Itzehoer Kaiser-Karl-Schule. Ihnen gelang der Spagat zwischen komischer Zurschaustellung einer pseudo-idyllischen Großfamilie und der Darstellung eines Einzelkämpfers gegen bis dato verschwiegene Abgründe seines Lebens. „Das Fest“ wurde kein Fest, obwohl es alle einlud – zum in sich Gehen.

Geschrieben von Enrico Pohl

Buch: Ich war Saddams Sohn

Latif Yahia hat eine besondere Geschichte. Gewiss, dies trifft auf viele Menschen zu, aber das Schicksal nur weniger hängt so eng zusammen mit der Familie eines der bekanntesten Häftlinge weltweit: Saddam Hussein.
In jungem Alter wird der ehemalige Klassenkamerad von Saddams ältestem Sohn Uday gedrängt, in einen besonderen Dienst zu treten. Seine äußerliche Ähnlichkeit zu Uday wird ihm hierbei zum Verhängnis. Durch kosmetische Operationen „angepasst“ wird er zu Udays Doppelgänger, einem Fidai, der ihn bei öffentlichen Auftritten ersetzen soll. Eine Odyssee führt ihn vom Luxusleben in einem der Präsidentpaläste über Einsätze im Iran-Irakischen Krieg bis hin in die berüchtigten Folterkammern Saddams – als Häftling wohlgemerkt.
Nun, nachdem das alte Regime im Irak zerschlagen wurde, wagte der Exil-Iraker mit seiner Geschichte den Schritt an die Öffentlichkeit.
Sehr persönlich, ergreifend, auch ihm unangenehme Situationen nicht aussparend, schützt diese Biografie durch deutliche Schilderungen brutaler Akte der Willkür vor aufkommender Vergangenheitsverklärung angesicht einer noch nicht konsolidierten Sicherheitslage im heutigen Irak.

Das Buch „Ich war Saddams Sohn von Latif Yahia ist im Goldmann-Verlag erschienen.

Geschrieben von Christin Püschel

Buch: Stefan Aust – Die vierte Gewalt

„Es ist unmöglich, die Geschichte eines Menschen lückenlos zu rekonstruieren. Zu begrenzt sind Zeugenaussagen, zu begrenzt sind auch Selbstzeugnisse, etwa in Form von Berichten über ihre eigenen Taten. Jeder Zeuge, auch der sachlichste, gibt immer nur seine Sicht der Dinge wieder. Gefühle, Motivationen, innere Regungen entziehen sich ohnehin weitgehend der Berichterstattung. Grobe Verfehlungen werden von Beteiligten selbstverständlich nur ungern geschildert.“

Dies schrieb Stefan Aust einst selbst, am Anfang seines Werkes „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Oliver Gehrs macht in seinem Buch „Der Spiegel-Komplex“ deutlich, wie vorsichtig ein Stefan Aust ist, um sich selbst keine Blöße zu geben. So soll auch dieses Zitat nach Gehrs Meinung einzig der Vorbereitung des Lesers auf das kommende Buch „Mauss. Ein deutscher Agent“ gedient haben.
Unabhängig davon, was von diesem einzelnen Beispiel zu halten ist: Oliver Gehrs hat es sich mit seiner Hinterfragung der Person und Persönlichkeit Stefan Aust nicht leicht gemacht. Nur bekommt der Leser manchmal den Eindruck, Gehrs habe sich so sehr in seine Arbeit hinein gesteigert, dass er kaum noch aus ihr herauszufinden vermochte.
Doch ist seinem Schaffen damit kein Abbruch getan. „Der Spiegel-Komplex“ ist zweifelsohne mit Verve recherchiert, eine Ausleuchtung Stefan Austs, die es bis jetzt so nicht gab. Dies wohl auch ein wenig aus Angst vor dieser Ikone des neuen Journalismus. So musste sich Gehrs vor Beginn seiner Arbeit einen unangenehmen Anruf gefallen lassen: „Am Apparat war Gabor Steingart, der Berliner Büroleiter des Spiegel. Er fragte mich, ob es stimme, dass ich über Aust schreiben wolle, was ich bejahte. Daraufhin machte Steingart eine lange Pause und sagte dann quasi ins Ausatmen hinein: „Ich würde es nicht machen.“ Es war ein bisschen wie in dem Film Der Pate.“ Das spornte Gehrs dann doch eher an, was der Öffentlichkeit dieses Buch bescherte, in dem Stefan Aust wieder auf ein vernünftiges Maß geschrumpft wird: Dem eines talentierten Journalisten mit Gespühr für Macht und Schlagzeilen. Eine lichte Wunderfigur ist er so wenig wie jeder andere, der sich gerne als eine solche geriert.
Wundervoll chronologisch rollt Gehrs Austs Leben auf. Von der Schülerzeitung „Wir“ über die „Konkret“ und die „St. Pauli Nachrichten“ zum NDR bei „Panorama“ und schließlich, nachdem er dort seiner Streitbarkeit wegen übergangen wurde, hin zu den Privatsendern. Nachdem er dort „Spiegel-TV“ quotenfähig gemacht hatte, wurde er von Rudolf Augstein zum „Spiegel“ geholt. Da sitzt er heute noch und hat auch diese Redaktion gründlich umgekrempelt. Das ist es auch, was Gehrs an der ganzen Aust-Kiste zu reizen scheint. Die einflussnehmende Art des Machtmenschen Stefan Aust, der Mitarbeiter vor den Kopf stößt, wenn ihm ihre Arbeiten nicht zusagen. Der ohne Rücksicht auf Verluste stets eine autoritäre Redaktionsstruktur anstrebte, natürlich mit ihm an der Spitze.
Oliver Gehrs bringt es ganz einfach auf den Punkt: „Aust ist kein Historiker, sondern Journalist.“ Zum Glück für den Leser hat Gehrs sein Buch historischer geschrieben, als Aust sein Leben.

Das Buches „Der Spiegel-Komplex“ von Oliver Gehrs ist bei Droemer/Knaur erschienen.

Geschrieben von Stephan Kosa

Liebe, Tod und Labyrinth

Was das Wetter betraf, konnten die Berliner Medienschaffenden des Deutschlandradio Kultur nicht klagen. Die Live-Sendung in der Reihe „Deutschlandrundfahrt“ aus dem Hof des St. Spiritus ging bei strahlend blauem Himmel und hochsommerlichen Temperaturen routiniert über die Bühne. Am Abend fanden sich so viele Gäste zur „Langen Hörspielnacht“ im Obergeschoß des Koeppenhauses ein, dass beinahe die Fensterbänke als Sitzgelegenheiten herhalten mußten.


So zeigte sich Ruth Müllejans, Leiterin des Koeppenhauses, angesichts der Zuschauerzahl überrascht und bereitete die Hörer auf einen „langen Abend mit hartem Stoff“ vor.
Der Abend begann jedoch mit der Präsentation eines sehr kurzen Radioformats, der sogenannten „Wurfsendung“. Seit September 2004 streut Deutschlandradio Kultur 45-sekündige Soundschnipsel in das Programm mit ein, die literarische und radiophone Formen aufgreifen. Japanische Haikus mit Musik untermalt, Wort und Totschlag im Kurzkrimi, O-Ton-Collagen. „Trotz anfänglicher Skepsis hat sich inzwischen eine regelrechte Fangemeinde entwickelt“, berichtet Stefanie Hoster, Hörspielredakteurin bei Deutschlandradio Kultur.
Der lange und harte Stoff begann danach mit dem Hörspiel „Liebe“ der kroatischen Autorin Koraljka Mestrovic. Da wird der Sarg einer jungen Frau von ihrem Freund ausgegraben und geöffnet. Sie ist ihm förmlich unter seiner starken Liebe weggestorben. Nacheinander erzählen ein Polizist, der Freund, die Mutter der jungen Frau, die inzwischen Verstorbene und ein Arzt ihre Version der Geschichte. Schöne Hände, wortwörtlich tödliche Langeweile, Tee und Kuchen und psychosomatische Symptome. Und jeder hat seine ganz eigene Interpretation der Liebe.
Nicht weniger verstörend das zweite Hörspiel der Autorin aus Zagreb. „Die Hand“ einer Frau liegt „kurz unterhalb des Ellenbogens abgetrennt“ auf dem Tisch eines Pathologen. Und wieder gibt es einen Freund, der um eben diese Hand angehalten hat. Doch die dazugehörige junge Frau fühlte sich missverstanden, schwänzte die Hochzeit, flüchtete zur Maniküre. Und entschließt sich, ihre Hand zu verlieren.
Beide Hörspiele sind Teil einer Trilogie, das dritte Hörspiel „Dreams“ ist noch in Arbeit. Die Themen Liebe, Einsamkeit und Tod ziehen sich wie ein roter Faden durch beide Hörstücke. In „Liebe“ orakelt die Mutter den Tod ihrer Tochter aus der Hand des Freundes herbei, in „Die Hand“ attestiert eine Zigeunerin der jungen Frau, „keine Herzlinie“ zu haben.
Als letztes präsentierten die Berliner Radiomacher ein klassisches Stück in einem neuen Gewand, „Minotaurus – Eine Ballade“ von Friedrich Dürrenmatt. Der Schweizer Dramatiker nahm sich 1984 des griechischen Mythos an und schuf eine Ballade voll der Erfahrung des Labyrinths. „Das Hörspiel geht zum Teil an die Grenzen der Verständlichkeit“, warnte Stefanie Hoster vor. Nicht zu Unrecht, denn Dürrenmatts Text ging in Echo-Effekten und ekstatischer Musik beinahe unter. Die akustische Erfahrung klaustrophobischer Verzweiflung und körperlicher wie spiegelbildlicher Begegnung war dennoch eindrucksvoll.
Gegen Mitternacht war die inzwischen zweite Hörspielnacht im Koeppenhaus zu Ende. Stefanie Hoster, die kurz zuvor noch mit Ruth Müllejans ihren „guten Draht nach Greifswald“ beschwor, versprach den Zuhörern: „Wir kommen wieder!“

Geschrieben von Ulrich Kötter

CD: Maria Kliegel: Johann Sebastian Bach Cellosuiten (Naxos)

Die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach gehören zum Repertoire eines Cellisten. Allerdings fordert ihre allgemeine Bekanntheit von Musikern eine eigenständige Interpretation, die im internationalen Maßstab neben denen Pau (Pablo) Caslas und Mistlaw Rostropowitsch Bestand hat. Maria Kliegel präsentiert die Suiten dank sorgfältiger Quellenvergleiche spannungsreich und herzerfrischend mit einem gelösten und wunderbar warmen und runden Celloton. Bravo!