Buch: Geheimnisvolles Barcelona

In Spanien erhielt „Der Schatten des Windes“ die Auszeichnung „Roman des Jahres 2002“ – und das vollkommen zu recht. Als zugleich Abenteuer-, Kriminal- und Liebesgeschichte zieht das neueste Werk des spanischen Autors Carlos Ruiz Zafón jeden Leser in seinen Bann.

Inhaltlich ist der Roman schnell zusammengefasst: Der 11-jährige Daniel wird von seinem Vater, der Buchhändler aus Leidenschaft ist, in den „Friedhof der vergessenen Bücher“ geführt. In dieser riesigen Bibliothek im Herzen Barcelonas soll sich Daniel ein Buch auswählen, für das er allein die Verantwortung trägt. Er entscheidet sich für den Roman „Der Schatten des Windes“ von Julian Carax. Fasziniert liest er das Buch, das ihn fortan nicht mehr loslassen wird. Er macht sich auf die Suche nach dem unbekannten Autor und anderen erhaltenen Ausgaben. Doch warum verfolgt ihn plötzlich ein geheimnisvoller Mann mit narbiger Maske? Warum sind alle anderen Bücher des Autors Carax verbrannt worden? Und warum sterben plötzlich Menschen, die mit den Büchern in Berührung gekommen sind? Mit zunehmender Spannung folgt man der Suche des jungen Daniel. Ein faszinierend geschlagener Handlungsbogen mit immer neuen Wendungen, der schließlich mit einem überraschendem Finale endet, lässt den Leser atemlos Seite für Seite verschlingen. Schlaflose Nächte und gereizte Augen durch spannende Lesestunden sind garantiert.

Das Buch „Der Schatten des Windes“ von Carlos Ruiz Zafón ist im Suhrkamp-Verlag erschienen und kostet 9,90 Euro.

Geschrieben von Grit Preibisch

Buch: Zwischen den Geschlechtern

„Ich wurde zweimal geboren.“ So beginnt die originelle Geschichte, die uns der Protagonist Calliope erzählt. Calliope ist ein Hermaphrodit, also weder eindeutig Frau noch Mann. Begründet liegt dieser genetische Fehler in der Familiengeschichte Calliopes.

Alles beginnt in einem kleinasiatischen Bergdorf. Desdemona und Lefty Stephanides, Bruder und Schwester, fliehen vor den Türken nach Amerika. Auf der Flucht entdecken sie ihre Gefühle füreinander, die über eine geschwisterliche Liebe hinausgehen. Sie heiraten und lassen sich in Detroit nieder. Das Geheimnis des Paares bleibt unentdeckt, doch hat der Tabubruch nach Jahrzehnten ungeahnte Folgen. Calliope, die Enkelin des Geschwisterehepaares, wird geboren und muss erkennen, dass sie weder Mädchen noch Junge ist. Ein genetischer Fehler als Folge des Inzestes macht sie zu einem Hermaphroditen. Zunächst bemerkt niemand die Zweigeschlechtlichkeit Calliopes. So wächst sie bis zu ihrer Pubertät als Mädchen auf. Immer mehr Indizien aber lassen Calliope und ihre Umwelt an ihrem Geschlecht zweifeln. Fortan wird sie zum Objekt der wissenschaftlichen Neugier von Sexologen und flüchtet letztlich in ihre männliche Natur, um als Mann weiter zu leben. „Middlesex“ ist ein Roman über geschlechtliche Identität, kulturelle Prägungen und darüber hinaus über Familienbande, Generationskonflikte und amerikanische Träume. Ein gut recherchierter, unterhaltsamer und durchaus spannender Roman wird hierbei, nicht zuletzt auf Grund des ungewöhnlichen Themas, zum absolut empfehlenswerten Lesegenuss.

Das Buch „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides ist im Rowohlt Verlag als Taschenbuch erschienen und kostet 9,90 Euro.

Geschrieben von Grit Preibisch

Familientreffen in München

Beim Münchner Filmfest gibt es keine Berührungsängste zum Publikum
und hervorragendes Kino

Über 200 Filme aus 32 Ländern, 15 Leinwände, 60.000 Besucher, mehr als 1.600 akkreditierte Fachbesucher und Medienvertreter. Acht Tage voller interessanter Filme, Begegnungen und Gespräche, das sind die Zahlen des diesjährigen 23. Münchner Filmfests. Längst hat das nach Berlin zweitgrößte Filmfestival Deutschlands, das 2005 vom 25. Juni bis zweiten Juli stattfand, seinen Platz im Terminkalender der internationalen Filmbranche gefunden.

Dabei setzt man in München weniger auf Starkult und Glamour sondern vielmehr auf den direkten Kontakt von Filmschaffenden und Publikum. „Unser Etat ist zu klein, um Stars mit Privatjets aus Hollywood einfliegen zu lassen. Ich finde es nicht in Ordnung, dafür Steuermittel auszugeben. Wir würden einen Film davon abgesehen nicht spielen, nur weil jemand mitspielt, den wir gerne hier hätten. Bei uns steht nun mal die Qualität der Filme im Vordergrund.“ so Andreas Ströhl, Leiter des Filmfests im Interview mit dem Branchenblatt Blickpunkt:Film. Gäste und Besucher erwartet somit kein inszeniertes Fotoshooting, inklusive Groupies und Bodyguards sondern ein Festival in entspannter, ja fast familiärer Atmosphäre. Auch im sommerlichen München gibt es einen roten Teppich und Persönlichkeiten, aber ohne Absperrungen und Berührungsängste.
Besucht man ein Filmfestival, so stellt sich jedes mal aufs neue die Frage: Welche Filme will man sich anschauen und wie bringt man das räumlich und zeitlich am besten unter einen Hut? Die Antwort darauf fällt bei rund 200 Filmen, die in bis zu 15 parallel laufenden Vorstellungen gezeigt werden und den vielen interessanten Veranstaltungen, Diskussionsrunden und Film-Partys nicht leicht.

„Hier habe ich mich viel mehr zuhause gefühlt als auf anderen
glamourösen Festivals. München bietet reines Kino für
ein echtes Publikum.“ Claude Sautet, Regisseur

Mit Filmfestmagazin und Katalog in der einen Hand sowie Terminkalender und Stift in der anderen sitzt man den ersten Abend da und stellt sein persönliches Festivalprogramm zusammen. Vorläufig, denn jedes Jahr muss man feststellen dass für das ein oder andere Festivalhighlight binnen kürzester Zeit alle Karten vergriffen sind. Mir ging es dieses mal bei „Die Höhle des gelben Hundes“ von Byambasuren Davaa so. Auch in ihrem neuen Film kehrt die Münchner HFF-Studentin, deren letzter Film „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ sogar eine Oscar Nominierung erhielt, in ihre alte Heimat die Mongolei zurück und erzählt vom Leben der Nomaden.
Weitere Beiträge der Reihe „Neue deutsche Kinofilme“ waren unter anderem „Oktoberfest“ und „Molly‘s Way“ sowie „Falsche Bekenner“ und „Schläfer“ , die beide bereits auf dem Festival von Cannes gezeigt wurden.
Im „Internationalen Programm“ konnte man sich bereits in München von der „Reise der Pinguine“, dem zur Zeit quer durch Europa rezensierten Werk des Filmemachers Luc Jacquet, überzeugen, das zusätzlich auch in der Sparte für Kinder- und Jugendfilme lief.
Gleich drei Meister ihres Fachs treffen im Episodenfilm „Eros“ aufeinander.
Regielegende Michelangelo Antonioni, der chinesische Regisseur Wong Kar Wai und der Filmemacher Steven Soderbergh steuern je eine Geschichte zu Liebe und Sexualität bei. Die wohl originellste Umsetzung des Themas ist Soderbergh gelungen: Ein Mann beim Psychiater erzählt im Halbschlaf von den erotischen Träumen die er immer wieder von der selben Frau hat. Der Doktor hört zu, stellt Fragen. Bald sitzt er dabei jedoch nicht mehr im Sessel, sondern steht irgendwann am Fenster, um bewaffnet mit Fernglas und Papierflieger die Aufmerksamkeit einer Frau auf der anderen Straßenseite zu erregen und sich mit ihr zu verabreden.
Ein echter Geheimtipp und mein persönlicher Favorit des Festivals war der hoch politische Film „4“ des russischen Regisseurs Ilya Khryzhanovsky. (Eine Rezension folgt im nächsten moritz.)
In „Last Days“ beschreibt Gus Van Sant die letzten Tage eines Rockmusikers, der sich nach nichts als Ruhe sehnt, sich immer mehr von seiner Umgebung abschottet und sich lieber in die Natur zurückzieht. Mit meditativen Bildern und einem genau passenden Musik- und Klangkonzept hat Van Sant einen tollen Film geschaffen, den er Kurt Cobain widmete.
„Last Days“ hätte auch gut in die Reihe „American Independents“ gepasst, wegen der das Münchner Filmfest bei den aufstrebenden und unabhängigen US-Filmemachern schon lange als „home away from home“ gilt.

„Das Filmfest München ist keines der üblichen Festivals.
Es ähnelt mehr einer tollen großen Party, auf der man viele
neue Freunde kennen lernen kann.“ Samuel Fuller, Filmemacher

Eine weitere traditionsreiche Reihe des Festivals ist das „Nouveau Cinema Francais“. Für den Film „Zim & CO“ von Pierre Jolivet waren leider keine Karten mehr zu bekommen, er muß aber sehr gut gewesen sein. Antony Cordiers „Douches Froides“, ein Jugenddrama um eine Dreiecksbeziehung und die Schattenseiten des Leistungssports dagegen enttäuschte maßlos. Das Drehbuch hatte zu viele Längen und wo ein gutes Bild den Zuschauer noch an den Film hätte fesseln können fanden sich nur Standardeinstellungen.
In der Reihe „Visiones Latinoamericanas“ wurde „Nordeste“ von Juan Solanas gezeigt. Die Französin Helene reist nach Argentinien um ein Kind zu Adoptieren. Im Nord-Osten des Landes wird sie inmitten einer grandiosen Landschaft mit Armut und Not der Bevölkerung konfrontiert. Ein kontrastreicher Film voller schöner Bilder und Gegensätze der zum Nachdenken anregt.
Genauso wie im Lateinamerikanischen kann man derzeit auch im Italienischen Kino eine starke neorealistische Tendenz spüren. Erstmals gibt es auf dem Filmfest unter dem Namen „Vento D‘Italia“ eine eigene Reihe für italienische Produktionen, eigentlich längst überfällig für München als „nördlichste Stadt Italiens“. Die Brüder Andrea & Antonio Frazzi zeichnen in ihrem Film „Certi Bambini“ den Werdegang eines neapolitanischen Jungen zum Mafia-Killer nach. Die Anfangs-Szene zeigt Rosario noch beim unbeschwerten Räuber und Gendarm Spiel mit seiner Clique. In der Schluß-Sequenz versucht sich Rosario nach seinem ersten Auftragsmord im Ballspiel mit Fremden zu verbergen.
Mein zweiter Favorit des Festivals ist „Tartarughe Sul Dorso“ von Stefano Pasetto. Der Film ist eine Liebesgeschichte die in Triest spielt. Die Lebenswege eines Mannes und einer Frau, beide um die 30 Jahre, haben sich Zeit ihres Lebens gekreuzt und sind manchmal parallel gegangen. In Rückblenden versuchen nun beide ihre gemeinsame Vergangenheit zu rekonstruieren. Mit atmosphärisch dichten, malerischen Bildern schafft es der Film, die melancholische Stimmung der norditalienischen Hafenstadt allgegenwärtig werden zu lassen und den Zuschauer direkt zu den Protagonisten mitzunehmen. Man muss Triest nicht kennen um von „Tartarughe Sul Dorso“ in den Bann gezogen zu werden. Kennt man die Stadt jedoch auch persönlich, so lässt einen der Film nicht mehr los.
Mit „La Febbre“ ist Alessandro D‘Alatri ein wirklich erfrischender Film über die Mühlen der italienischen Bürokratie und die Kraft von Visionen gelungen. Anstatt wie geplant mit Freunden eine Diskothek zu eröffnen, findet sich der 30 jährige Mario plötzlich unverhofft als Beamter in der Stadtverwaltung wieder. Als er dann auch noch ein Mädchen kennen lernt muss er sich entscheiden wie seine Zukunft aussehen soll.
Ein besonderer Schwerpunkt des diesjährigen Filmfests war dem Filmland Japan gewidmet. Neben der Werkschau des inzwischen verstorbenen Altmeisters Keisuke Kinoshita (1912-1998), wurden auch Werke des neueren Regisseurs Kiyoshi Kurosawa gezeigt. Wie etwa „Kairo“, in dem Kurosawa 2001 die zunehmende Vereinsamung des Menschen in einer durch virtuelle Kommunikation geprägten Welt thematisiert.

Filmfest Munich is unique in that it continually breaks down
the formal barriers between filmmaker and audience.“
Tom DiCillo, Filmemacher

Darüber hinaus wurde ein weiter Überblick über das gegenwärtige japanische Kino gegeben. Dieser reichte von der Klassischen Samurai- Geschichte in Yoji Yamadas „The hidden blade“, über Takashi Miikes „IZO“, einer gesellschaftskritischen Collage, die von einem sich durch die Jahrhunderte mordenden Dämon handelt, bis hin zu „A stranger of mine“, mit dem dem jungen Filmemacher Kenji Uchida eine gekonnte Kombination von Episodenfilm, Komödie und Gangsterfilm gelang und der aufgrund seines Könnens bereits mit Quentin Tarantino verglichen wird.
Zu einem echten Filmfestival gehören natürlich auch Preise. Mario Adorf wurde für seine Verdienste um den Film mit dem Cine Merit Award ausgezeichnet.Zusätzlich wurde ihm zu Ehren eine Auswahl seiner Kinofilme gezeigt. Darüber hinaus wurden unter anderem der mit 60.000 Euro dotierte Förderpreis Deutscher Film und der mit 25.000 Euro dotierte VFF TV MOVIE AWARD für die besten Fernsehfilme vergeben.(siehe Kasten) Den mit 10.000 Euro dotierten „Bernhard Wicki Filmpreis – Die Brücke – Der Friedenspreis des Deutschen Films“ erhielt Marc Rothemunds Film „Sophie Scholl – die letzten Tage“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch das 23. Münchner Filmfest wieder viele interessante und tolle Filme zu bieten hatte. Hoffentlich werden viele von ihnen auch den Weg in das heimische Kinoprogramm finden. Das Filmfest, das traditionell im Juni oder Juli stattfindet, ist jedenfalls immer eine Reise nach München wert.
Einziger Wermutstropfen für Studenten: Es liegt zeitlich genau vor den Prüfungen. Apropos Studenten, vom 19. bis 26 November findet in München das 25. Internationale Festival der Filmhochschulen statt.

Preise unter anderem

VFF TV MOVIE AWARD: Carl Bergengruen und Martin Bach für „In Sachen Kaminski“

Lobende Erwähnung: „Re-Inventing the Taliban“ von Sharmeen Obaid (Pakistan/USA)

Bayern-3-Publikumspreis: „Die Höhle des gelben Hundes“ von Byambasuren Davaa

FFA Short Tiger Awards: „Chaim“ von Jonathan Greenfield, „Christina ohne Kaufmann“ von Sonja Heiss

Shocking Shorts Award: „Marco und der Wolf“ von Kilian von Keyserlingk

Förderpreis Deutscher Film

Regie: Byambasuren Davaa für „Die Höhle des gelben Hundes“
Drehbuch: Esther Bernstorff und Emily Atef für „Molly‘s Way“
Schauspielerin: Maria Kwiaktkowsky für „Liebe Amelie“
Schauspieler: Constantin von Jascheroff für „Falscher Bekenner“

Geschrieben von Maximilian Fleischmann

Auf der Suche nach dem heiligen Gral des schnöden Mammons

Seit Dan Brown seine Bestseller „Illuminati“ (Angels and Demons) und „Sakrileg“ (The DaVinci Code) auf den Markt gebracht hat, boomt nicht nur in Deutschland ein neuer Trend: der Kirchenthriller. Weil Brown nicht schnell genug Nachschub liefert, floriert das Geschäft mit den Nachahmern.

Jedes Buch, das auch nur entfernt mit geheimnisvollen Bruderschaften, finsteren Geschäften der Kirche oder sonst einer Geheimgesellschaft zu tun hat, fliegt geradezu von den Ladentischen der Buchhändler, sei es auch noch so schlecht. Da wird dutzendfach der heilige Gral gesucht, werden Päpste ermordet, geheimnisvolle heidnische Rituale vollzogen oder es wird nach den Genen Christi geforscht – und das teilweise so offensichtlich historisch inkorrekt und in einem Stil, dass einem das Grausen kommt.
Die Leute kaufen es trotzdem und so mancher Schreiberling verdient sich eine goldene Nase. Um die Romane von Dan Brown hat sich inzwischen eine geradezu absurde Industrie entwickelt: Seine Bücher gibt es mittlerweile nicht nur in den normalen Hardcover- und Taschenbuchauflagen, sondern auch als illustrierte Versionen, damit auch der letzte Kulturbanause mitbekommt, wie Leonardos Letztes Abendmahl aussieht. Auf seiner Website kann man sich durch mehrere Rätsel zum Da-Vinci-Code klicken, sich Buchtipps zu den wahren Hintergründen abholen oder auch einfach nur die verschiedenen Auflagen seiner Bücher erwerben.
Dazu schießen wie Pilze „Kirchenexperten“ aus dem Boden, die uns erklären, was es denn nun mit Maria Magdalena, dem letzten Abendmahl und dem heiligen Gral auf sich hat – vorzugsweise in Buchform oder in Fernsehdokumentationen.
In Rom, Paris und London, den Hauptschauplätzen von Browns Romanen, haben findige Menschen ebenfalls erkannt, das man aus der ganzen Hysterie durchaus Kapital schlagen kann: In Rom kann man den „Pfad der Weisheit“ der Illuminaten abschreiten (der nie existiert hat) und sich dabei ein wenig fühlen wie ein mittelalterlicher Gelehrter, das Pariser Louvre bietet inzwischen „Da-Vinci-Code-Führungen“ zur Mona Lisa und den anderen im Roman erwähnten Gemälden an, und die Kirchen in London, die Browns Protagonisten auf der Suche nach dem heiligen Gral heimsuchen, erleben eine regelrechte Touristenschwemme. Die kleine Rosslyn Chapel in der Nähe von Edinburgh kann sich vor Hobby-Gralsuchern fast nicht mehr retten.
Ein Ende ist nicht abzusehen, 2006 erscheint Browns neuer Roman, und auch er wird – jede Wette – wieder einen Schwanz von Nachahmern hinter sich herziehen.

Geschrieben von Sarah Rieser

Neues aus Eden

Zu Besuch auf der Buchmesse in Frankfurt

„Sie überschritten eine Grenze ohne zu wissen, was sie getan hatten. Was geschah im Jahre 1377?“ fragen die weißen Lettern im Eingangsbereich des Forums auf dem Frankfurter Messe-Gelände. 1377 – das ist nicht gerade ein Datum, das deutsche Schüler im Geschichtsunterricht lernen und doch fand in eben diesem Jahr eine Revolution statt. Sie verlief zwar gänzlich unblutig, aber sie veränderte die Welt nachhaltig. 1377 wurde in Korea der Buchdruck erfunden und damit ein Ereignis erst möglich gemacht, das in diesem Jahr zu seinen Wurzeln zurückkehrte, indem es Korea als Gastland auswählte: Die Frankfurter Buchmesse.

Rund 280 000 Besucher kamen zwischen dem 19. und dem 23. Oktober zur weltgrößten Messe für Druckerzeugnisse. Neben Lesungen und anderen kulturellen Veranstaltungen wurde ihnen von mehr als 7.200 Einzelausstellern aus 101 Ländern der eine oder andere Leckerbissen geboten. Autoren griffen zum Stift und signierten ihre Werke, andere lasen daraus vor. Neben den großen präsentierten sich auch viele kleine Verlage, die eher Nischen besetzen. Wer kennt schon den „Verlag für Motorbücher“, der all das herausgibt, was dem Herz eines jeden Auto- und Motorradfans einen Kick-Start verpasst? Erstmals waren in diesem Jahr auch die Spiel-Verlage vertreten, außerdem gab es einen Sonderbereich für Comics und Kalender.
Ganz nach dem Motto „Lesen gefährdet die Dummheit“ eines bekannten deutschen Verlags beeindrucken den Besucher jedoch besonders die Unmengen an Belletristik. Riesige Bücherwände laden immer wieder zum Stehen bleiben und Staunen ein. Mit abwesendem Blick verziehen sich Leseratten in eine Ecke, um hemmungslos zu schmökern. Nur wer gekommen ist, um Bücher zu erstehen, wird enttäuscht: Dies ist stets erst am letzten Ausstellungstag möglich.
„Ein Tag ohne Lektüre hinterlässt einen schalen Geschmack“, lautet die Auffassung der Koreaner. Im Gastland sind Bücher eine Frage der Moral. So verwundert es nicht, dass die Poeten des Landes ein besonderes Ansehen genießen. Doch die Literatur ist in dem geteilten Land nicht nur schöne Unterhaltung, sondern auch ein Mittel, um die eigene Vergangenheit zu verarbeiten. Der Star unter den koreanischen Schriftstellern, der 72jährige Ko Un, beschäftigt sich in seinen Gedichten nicht nur mit den Schrecken des Bürgerkriegs und der Militärdiktatur, sondern engagiert sich auch persönlich für Humanität und nationale Versöhnung. Im Juli dieses Jahres flogen er und 92 weitere südkoreanische Schriftsteller zu einem Treffen mit nordkoreanischen Kollegen nach Pjöngjang. Und auch, wenn letztere in Frankfurt nicht vertreten waren, scheint die Versöhnung in der Literatur weit vorangeschritten, die Feder mal wieder mächtiger als das Schwert zu sein.
Vergangenheitsbewältigung betreibt auch Arno Geiger, der zur Ausstellungseröffnung mit dem „Deutschen Buchpreis“ geehrt wurde. In seinem Werk „Es geht uns gut“ gelingt es ihm, Vergängliches und Augenblick in eine überzeugende Balance zu bringen. Doch nicht nur die Auszeichnung für Geiger, sondern auch die große Anzahl junger Leute, die die Hallen auf dem Frankfurter Messegelände besuchten, zeigt, dass Bücher auch im Zeitalter von Handy und Internet gefragt sind.
„Ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt“, sagt ein altes arabisches Sprichwort. In Frankfurt liegt der Garten Eden.

Geschrieben von Kai Doering