Deutsche Demokratische Untergrundtapekultur wiederentdeckt

Auch – oder nicht vielmehr gerade? – die graue DDR hatte ihren künstlerischen Untergrund. Dieser hält noch 17 Jahre nach dem Abgang des Arbeiter- und Bauernstaats Überraschungen bereit, wie das kürzlich erschienene Buch Spannung.Leistung.Widerstand.“ zeigt. Mitherausgeber Alexander Pehlemann und Zeitzeuge Claus Löser gaben im lockeren Gespräch im Ikuwo einen Einblick in den Magnetbanduntergrund der DDR.

Im Untergrund

Während der finalen Dekade der DDR begann sich eine musikalische Subkultur herauszubilden, in der ein bisschen von allem vorhanden war: Punkrevolte, Lyrik und Bildende Kunst. Jenseits staatlicher Spielerlaubnis und öffentlicher Wahrnehmung gründeten sich zahlreiche Bands und es entstanden lokale Netzwerke, in denen viele der damaligen Einflüsse verarbeitet wurden. Das stilistische Spektrum war sehr weit; vielleicht schon zu breit, um im Nachhinein konzise erfasst werden zu können. Kategorien wie New Wave, Dub und dergleichen mehr greifen angesichts dessen, was Löser und Pehlemann an Ton- und auch Bildmaterial vorstellen, nur bedingt.  Als Pehlemann ein Stück von Bert Papenfuß anspielt, bezeichnet Löser dies als Akkustik-Punk. Ein Bezeichnungskomposit also,  das aus zwei sich eigentlich widersprechenden Begriffen besteht und anzeigt, wie weit die Vielfalt gehen konnte.

Bei allen Unterschieden gab es aber doch eine Gemeinsamkeit in der Szene, erläutert Pehlemann im moritz-Gespräch. Der Do-it-yourself-Gedanke, welcher zum Teil aus dem Westen herübergekommen war und sich zum Teil auch aus der DDR-spezifischen Situation heraus ergab, spielte in jedem Fall eine Rolle.  An so etwas wie Plattenverträge oder Unterstützung in anderer Form war ja überhaupt nicht zu denken. Erst einige Zeit später, als seitens des Staates eine Art torschlusspanischer Liberalisierung gegenüber Punks und anderen Strömungen einsetzte, wurde es den Tapekünstlern möglich, sich über den Jugendsender DT 64 einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren.

Der Sound des Mangels

Vorläufig kam also nur das Selbermachen in Frage, was allerdings viel Improvisationstalent erforderte, denn elektronische Musikinstrumente und Aufnahmetechnik waren nur schwer zu beschaffen. Claus Löser berichtet von einem Zeitgenossen, der seine gesamte LP-Sammlung verkaufte und dabei die für DDR-Verhältnisse Schwindel erregende Summe von 8000 Ostmark erhielt. Dieses Geld, wofür so mancher zu dieser Zeit fast ein Jahr arbeiten musste, floss in die  Anschaffung begehrter Westtechnik: Keyboards und Synthesizer der Marken Korg oder Casio mussten es sein. Wer diese Summen nicht aufbringen konnte, bastelte sich sein Equipment selbst oder ließ es basteln. Löser besaß einen von einem Freund zusammengelöten Eigenbauverstärker, mit dem es sich nach seinen Worten auch gut arbeiten ließ. Dass uns die Musik dieser Enthusiasten heute auf Kassettenbändern vorliegt, hängt ebenfalls mit diesem Problem zusammen: wo teure Technik nicht zu beschaffen war, begnügte man sich mit Naheliegendem. Statt der Achtspurmaschine tat es eben der Kassettenrekorder für 60 Mark, was übrigens immer noch viel Geld war. Eine LP-Produktion lag gar nicht im Bereich des Denkbaren. Das Tape hingegen war ideal, um in jener Lage dennoch Musik machen und diese einfach verbreiten zu können.

Ausgerüstet mit solchen einfachen Mitteln trafen sich die Bands in ihren Wohnzimmern, Gartenlauben oder Kellern und hielten ihre Sessions ab. Dies geschah vor allem in Zentren des DDR-Untergrundes wie dem Prenzlauer Berg in Berlin, wo besonders die Dichter Bert Papenfuß und Sascha Anderson in die Musik hinein wirkten. Letzterer hatte eine Band namens „Zwitschermaschine“, für die er die Texte schrieb. Papenfuß hingegen war in vielen verschiedenen Bezügen anzutreffen. Die Berliner Formation „Ornament&Verbrechen“ trat mit ihm auf und er sprach zu deren Musik seine Texte. Claus Löser arbeitete mit seiner Band „Die Gehirne“ in Karl-Marx-Stadt, wo der Einfluss der Bildenden Kunst sehr hoch war. Die „AG Geige“, die ebenfalls dort beheimatet war, bestand beispielsweise nur aus bildenden Künstlern. Deren Konzerte waren dementsprechend mehr Performances als alleinige Darbietung von Musik. Auftritte waren aber auch wichtig für die gegenseitige Tuchfühlung. Neue Aufnahmen konnten hier unter die Leute gebracht werden, wobei die „Auflagen“  mit selten mehr als 20 Exemplaren geradezu unterirdisch klein waren. Geld wurde dafür selten genommen: Was den Magnetbanduntergrund in der Rückschau zusätzlich so interessant macht, führen Löser und Pehlemann aus, ist die Tatsache, dass in jenen Netzwerken Kunst entstanden ist, die völlig ohne Verwertungszwang auskam. Viele der Exponenten waren, wie Pehlemann sagt, ökonomisch „freigesetzt“, und zwar dadurch, dass sie irgendeinen kleinen Job hatten, der sie ernährte. Das Leben war zudem billig und somit war trotz aller Equipmentengpässe viel Raum für das Musikmachen ohne jedes Produktbewusstsein.

Die Firma

Zwar mag der Magnetbanduntergrund erst durch die Bedingungen des real existierenden Sozialismus zu dem geworden sein, was er war und seine sehr spezielle Ästhetik ohne das Biotop DDR wohl nicht denkbar.  Aber die Erinnerungen an die Zeit vor 1990 sind dennoch nicht allzu wehmütig, so lautet jedenfalls Claus Lösers Meinung. Es dürfe nicht vergessen werden, dass man als junger Mensch damals ja gerade heraus wollte aus dem Topf, in den man heute mit anderen Augen hineinschaut. Zudem spielt bei der Erinnerung das Thema Staatssicherheit auch eine Rolle.

Im Grunde ahnte jeder in der Szene, was da im Gange war, erzählt Löser zum Problem Stasi. Man versuchte aber, in der künstlerischen Tätigkeit den Kopf von eben diesem Gedanken freizuhalten,  denn die Kunst sollte ja schließlich gerade dem Ausbruch aus dem System DDR dienen. Als jedoch nach 1990 die Enthüllungen über die Arbeit des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) begannen, zeigte sich, wie weit dessen Fühler in den Magnetbanduntergrund tatsächlich hineinreichten. Als inoffizieller Mitarbeiter enttarnt wurde beispielsweise der bereits erwähnte Sascha Anderson. Ausgerechnet dieser Mann, kommentiert Alexander Pehlemann, hatte aber viel für die Szene getan, war einer der tatkräftigsten Organisatoren im Prenzlauer Berg und brachte auch viele künstlerische Impulse mit ein. Schluchtentiefe Ambivalenzen taten sich damit auf. Andersons Akte offenbart unter anderem, dass er manche der Konzerte, die er mühselig organisierte, alsbald seinen Führungsoffizieren meldete. Dass diese mit den Umtrieben der Tapeszene hingegen nicht viel anfangen konnten, zeigten die Akten auch. Ein Versuch, den vermeintlichen Delinquenten ein Etikett zu geben, endete in Karl-Marx-Stadt mit dem Vermerk, es handle sich hier um Störer und „Expressionisten“, was völlig am Eigentlichen vorbeiging. Die Durchsetzung hatte mitunter makaberste Folgen. Es gab unter den vielen Gruppen der Tapeszene auch eine, die den Namen „Die Firma“ trug. Firma, das weiß jeder gelernte DDR-Bürger, war aber auch ein Codewort für Mielkes Stasi. Die Aufarbeitung ergab eine bitterböse Pointe: In jener Formation war eins der Mitglieder ein IM.

Alter Scheiß und 80er-Dreck

Die ersten Jahre nach der Wende brachten aber auch noch anderes mit sich als solche Entdeckungen. Löser fährt fort, dass man in dieser Zeit sehr mit der Bewältigung des völlig umgekrempelten Alltags beschäftigt war. Zudem interessierte sich sowieso niemand für das, was da im Osten der Republik gemacht worden war. Ein Teil der Aktivisten setzte die Arbeit gar nicht fort, andere wiederum gingen in neuen Projekten auf, wie zum Beispiel die „Magdalena Keibel Combo“, bestehend aus Paul Landers und Christian „Flake“ Lorenz:  Sie gründeten mit anderen Musikern die Band „Rammstein“, die heute in aller Munde ist.

Die Idee eines Buches über die Szene nebst einer Kompilation von Tapeaufnahmen lag dann irgendwie auf der Hand. Man musste gar nicht lange suchen, um die alten Kassetten zu finden. Diese trugen mittlerweile Beschriftungen wie „alter Scheiß“ und „80er-Dreck“; derbe Bezeichnungen für die eigenen Schöpfungen, was zunächst ein wenig verwundert. Löser sagt dazu, dass diese Sachen erst in der Rückschau wieder interessant wurden.

Im September des letzten Jahres gab es anlässlich des Erscheinens des Buches  „Spannung.Leistung.Widerstand.“ in der Berliner Volksbühne ein großes Zusammentreffen der damaligen Akteure und der Magnetbanduntergrund glühte noch einmal auf. Doch von einer Wiederkehr kann und soll nicht die Rede sein. Das Bewusstsein wird durch das Sein bestimmt, und dieses bestand für den Magnetbanduntergrund nun einmal in der untergegangenen DDR.

Das Buch: Spannung.Leistung.Widerstand.

Neben einem einführenden Vorwort der Herausgeber Alexander Pehlemann und Ronald Galenza finden sich auf knapp 200 Seiten Interviews und kurze Texte über den Magnetbanduntergrund der DDR. Dazu gibt es eine Doppel-CD mit insgesamt 48 Titeln aus der Szene, die von Ronald Lippok, Bert Papenfuß, Bo Kondren und Bernd Jestram – allesamt Aktivisten des Untergrundes und im Buch behandelt – zusammengestellt wurden.
Spannung.Leistung.Widerstand ist in Kooperation mit dem Label ZickZack und PomLit im Verbrecherverlag Berlin erschienen und kostet 29,90€.