Die Plattform zur Selbstdarstellung wächst und wächst: StudiVZ
Wer dieser Tage durch die Bibliothek schlendert, um sich selbst vom allzu eifrigen Studieren abzuhalten, und dabei den Blick über diverse Laptops und Bibliotheksrechner schweifen lässt, wird zwangsläufig bemerken, dass zahlreiche Kommilitonen einem merkwürdigen neuen Fieber zu erliegen scheinen.
Von immer mehr Bildschirmen flackert einem das rot-weiße Layout des neuesten Phänomens der studentischen Netzkultur entgegen: dem „StudiVZ“. „Das Studiverzeichnis“, für welches die Kurzform steht, ist der Marktführer unter einer ganzen Riege von neuen Internetplattformen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, speziell studentische Netzwerke jenseits universeller Websites wie „MySpace“ zu errichten.
Als Vorbild diente augenscheinlich das US-amerikanische Studentennetzwerk „Facebook“, das neben weitgehend identischen Funktionen auch erkennen lässt, dass die Begründer des deutschen Pendants den Grundsatz „Never change a running system“ mehr als nur verinnerlicht haben. Abgesehen von der Grundfarbe (Rot statt Blau) wurde das Seitenkonzept eins zu eins übernommen.
Nach Angaben der studentischen Betreiber haben sich seit der Gründung im Oktober 2005 über 700.000 aktive Nutzer kostenlos angemeldet. Diese haben die Möglichkeit, eigene Profilseiten anzulegen, auf denen Platz für Fotoalben, Lebensläufe, die Nennung von Vorlieben und den ganz persönlichen Seelenstriptease ist. Selbstredend verfügt das Netzwerk über einen eigenen Message-Dienst, der als kommunikatives Mittel dient und durch das „Gruscheln“, einer Art virtuellem Stups, ergänzt wird.
Die „Studis“ können sich darüber hinaus in Themen-Gruppen zusammenschließen, eine Möglichkeit, von der auch Greifswalder VZ-User rege Gebrauch machen. So können sich etwa Vereinigungen wie „Greifswald braucht ´ne Pommesbude“ oder „Freunde des Greifswalder Nobellokals ,Treffpunkt’“ eines stetigen Zustroms Gleichgesinnter erfreuen.
Den eigentlichen Reiz der Seite macht allerdings die Freundschaftsfunktion aus, bei der es durch schlichten Antrag und darauf folgende Bestätigung zu einer Vernetzung zweier Profile kommt. Der auf diese Art hinzugefügte „Freund“ wird fortan in der an exponierter Stelle befindlichen Freundesliste des Profilinhabers aufgeführt. Diese verkündet zugleich die Anzahl der Freunde an der eigenen und an anderen Universitäten. Wie von selbst erwächst dabei die dumpfe Ahnung, dass eine möglichst hohe Anzahl von eingetragenen Freunden dem eigenen sozialen Prestige zuträglich sein könnte. Beinahe instinktiv wird daraufhin bei manch einem Seitennutzer der verborgene Jäger und Sammler reaktiviert, der alles daran setzt, möglichst viele Bekanntschaften zusammenzutragen. Immer darauf bauend, dass schon niemand so garstig sein wird, einen entsprechenden Antrag abzulehnen, werden da schon mal „Freundschaften“ aufgefrischt, die über ein frühkindliches Gebrabbel im elterlichen Sandkasten oder den vagen Ansatz des Sich-Kennen-Lernens in der Erstsemesterwoche eigentlich nie hinaus kamen.
Nicht gern gesehen sind Nutzerprofile, die keine sind. So wurde auch ein Kunst-Profil, welches sich als das eines hierzulande nicht ganz unbekannten Dichters und Namensgebers unserer Universität ausgab, kurzerhand gelöscht. Vermutlich wurde es durch die hauseigene Denunziations-Funktion des „StudiVZ“ (Nutzer „melden“!) entlarvt. Zuvor kündete dieses noch von „Interessen“ des Betreffenden: „Demagogieren und Franzosen verhaun.“
Andere Fake-Profile, wie etwa der lokale „gläserne Student“, nutzen die Plattform des „StudiVZ“, um ihre Kommilitonen auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die solch eine digitale Anhäufung persönlicher Belanglosigkeiten mit sich bringen könnte. Zwar existiert eine Funktion, die den Zugang zum Profil nur den jeweiligen „Freunden“ erlaubt, von dieser wird aber kaum Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt wohl auch, weil sie dem zu Grunde liegenden Drang, sich zu präsentieren, zuwider läuft. Sie ändert zudem nichts daran, dass zumindest den Betreibern des „StudiVZ“ ein unbegrenzter Zugriff auf die Daten möglich bleibt.
Auch langfristig bleibt dieser Aspekt spannend, denn die Frage der wirtschaftlichen Ausgestaltung des Verzeichnisses ist noch nicht abschließend geklärt. Bisher noch werbefrei und scheinbar dem reinen Selbstzweck dienend, könnte das kleine Start-Up-Unternehmen von den vorhandenen mittelgroßen Investoren, die es derzeit stützen, schon bald zur Erwirtschaftung von Renditen gedrängt werden. Auch eine Übernahme durch einen finanzkräftigen Medienkonzern wie in den Fällen von „YouTube“ und „MySpace“ ist nicht undenkbar und könnte das „StudiVZ“ ebenfalls auf gewinnorientiertere Bahnen lenken. Vorbild „Facebook“ ist einen solchen Weg bereits gegangen. Und was läge neben dem Schalten von Werbeanzeigen dann näher, als die verfügbaren gebündelten Informationen bezüglich einer einzelnen konkreten Zielgruppe lukrativ auszuschlachten.
Derweil wird fleißig ins europäische Umland expandiert. Mittlerweile sind ähnliche Konzepte des “StudiVZ” auch in Frankreich, Italien und Polen online.
Ob das Verzeichnis nicht vielleicht dennoch wieder im Dunst der Netzgeschichte verschwinden wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls stellen sich auch bei dem geneigten Nutzer mitunter Ermüdungserscheinungen ein und man fragt sich, warum man seine Kontakte nicht einfach wieder per E-Mail pflegt. Immerhin: das „StudiVZ“ bietet einen virtuellen Abguss sozialer Netzwerke – nicht weniger, aber eben auch nicht wirklich mehr.
Geschrieben von Johannes Kühl