Das sagt jedenfalls Hamlet
Auf mein Austauschjahr in Dänemark habe ich mich wunderbar vorbereitet. Fünf Stunden Liveübertragung mit Rolf Seelmann-Eggebert, dem Adelsexperten der ARD, habe ich über mich ergehen lassen, um mich mit den Dänen zu freuen, dass der Kronprinz endlich unter die Haube kommt. Die Monarchie ist ein guter Zugang zu diesem kleinen Land, denn die Dänen sind stolz auf ihre charismatische, kettenrauchende Margarethe und ihren Clan. Wer bei Herrn Olesen letztes Jahr gut aufgepasst hat, weiß, dass das dänische Königshaus das älteste der Welt ist. Gorm der Alte, Namensgeber und Stammvater der Dynastie, erklomm den Thron im Jahre 936.
Ein anderer dänischer Prinz ist aber weitaus bekannter: Hamlet heißt er, und im gleichnamigen Drama eines gewissen Shakespeare findet man noch zahlreiche Anspielungen, die sich leicht auf die heutige Zeit übertragen lassen. Beim Anblick meines Kühlschranks im Wohnheim habe ich zumindest einen Eindruck gewonnen, was mit dem bekannten Zitat ?Es ist was faul im Staate Dänemark? gemeint sein könnte. Nichts in diesem Haus erinnerte auch nur ansatzweise an die vielgerühmte skandinavische Gemütlichkeit. Im Bad fanden sich interessante Rückstände von Generationen anderer Bewohner, dafür kein Bett in meinem Zimmer. Aber das sind Probleme, die sich leicht lösen lassen. Das eine mit Salzsäure, das andere durch einen Anruf meines Mentors beim Internationalen Sekretariat der Universität. Keine zwei Stunden später hatte ich ein neues Bett – von IKEA. Das ist ein Beisiel dafür, dass man sich hier wirklich sehr viel Mühe mit der Betreuung von Austauschstudenten macht. Jedem Neuankömmling wird ein Mentor an die Seite ge-stellt, der selbst Student der gleichen Fachrichtung und in den ersten Tagen und Wochen An-sprechpartner ist. Außerdem gibt es als Vorbereitung auf das Land einen Monat voller Programm, bestehend aus einem sehr intensiven Sprach-kurs vormittags und kulturellen Aktivitäten nachmittags, also Mu-seumsbesuche und Stadterkun-dung, aber auch mehr oder weniger lustige Kennenlernspielchen und Parties.
Schnell habe ich festgestellt, dass viele Vorurteile über Dänemark schlichtweg falsch sind. Dänemark ist nicht flach. Zumindest nicht in Aarhus. Anscheinend haben sich alle Endmoränen des Landes auf dem Stadtgebiet versammelt. Für mich, die ich das flache Pommern gewöhnt bin, ist Fahrrad fahren also unmöglich. Auch, dass es hier keinen Sommer gibt, stimmt nicht. Das ist nur eine Sache der Definition. Sommer ist so lange, wie Sommer-zeit ist. Mindestens. Hartgesottene sitzen auch jetzt noch draußen im Café und wärmen sich an einem heißen Glögg. Generell ist Alkohol sehr wichtig. Der skandinavische Wod-kagürtel hat auch Dänemark fest umschlungen. Wenn man nach acht Uhr mit dem Bus fährt, kann man sicher sein, interessante Geschichten aus dem Leben eines völlig besoffenen Ole zu hören. Und An-fang November begibt sich die ganze Stadt in einen kollektiven Rausch – ein jährliches Großereignis ist nämlich der erste Verkaufstag des Juleøl der örtlichen Braue-rei.Verschiedene Sorten von Bier, die durch viele Aromastoffe weihnachtlich schmecken sollen, werden auf den Markt gebracht. Vor ein paar Jahren wurde dieser Tag vom ersten November auf den ersten Freitag des Monats verlegt, weil die Leute sonst einfach am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommen konnten.
Neben Kampftrinken üben sich die Dänen auch in anderen Disziplinen. Sport ist mindestens so wichtig wie Alkohol. Das Angebot beim Unisport ist überwältigend, und im Vergleich ist alles, was ich in Greifswald gemacht habe, Kranken-gymnastik.
Ihre gestählten Körper hüllen die Dänen dann gerne in extrem schicke Kleidung. Norwegerpullis gelten hier als Erkennungsmerkmal für Skandinavistikstudenten aus Deutschland, der modebewussten Bevölkerung hingegen scheinen sie fremd zu sein. Überhaupt setzen sich Trends anscheinend schneller durch als bei uns: Fängt man in Pommern gerade zaghaft an, seine Jeans in die Stiefel zu stopfen, ist das hier schon wieder out. Dass Mode so ein wichtiges Thema ist, liegt auch daran, dass die Bewohner von aarhus und somit die ganze Stadt in ständiger Konkurrenz zum prestigeträchtigeren Kopenhagen stehen. Aarhus ist in vieler Hinsicht die ewige Zweite, so etwa in der Einwohnerzahl (ca. 250.000). Die-sem Image versucht man entgegenzuwirken. ?Neapel des Nordens? wird Aarhus wegen seiner Leben-digkeit auch genannt, und man kämpft zumindest darum, die Kul-turmetropole des Landes zu werden. Vor kurzem eröffnete das ARoS, ein grandioses Museum für moderne Kunst. Weitere Highligts sind unter anderem die jährliche Festwoche im August, in der sich die ganze Stadt in eine große Bühne für Open-Air-Konzerte verwandelt, und ein Kurzfilmfestival. Darüber hinaus gibt es Cafés, Bars und Clubs in rauen Mengen.
Ihr jugendliches Image bezieht die Stadt vor allem durch die Universität. Der Campus liegt etwas außerhalb und erinnert selbst zu Semesteranfang mit seinen Ententeichen manchmal eher an einen malerischen Kurpark, sodass ich mich anfangs fragte, wo sich die 25.000 Studenten verstecken. Aber diese Uni hat etwas, das in Greifs-wald mittlerweile fehlt: Es gibt extrem viel Platz. Die Studenten verstecken sich also nicht, sie verteilen sich einfach nur besser. Bisher habe ich keine überfüllten Seminar-räume gesehen, jeder Fachbereich hat für seine Studenten mindestens einen Aufenthaltsraum und eine geräumige Bibliothek, die man rund um die Uhr nutzen kann. Eintritts-karte hierfür ist der Studenten-ausweis, eine schicke Plastikkarte mit Foto und Chip, die zu jeder Tages- und Nachtzeit Zugang zum Institut verschafft.
Dass Bildung in Skandinavien groß geschrieben wird, ist kein Geheim-nis mehr. Daher ist die Uni natuerlich extrem gut ausgestattet. Aber auch das Studieren selbst ist effektiver als bei uns. Auch hier ist man auf Austauschstudenten eingestellt, sodass es in fast jedem Fachbereich Seminare auf Englisch gibt. Die Vorbereitung ist zeitintensiver, weil sie meistens in study groups abläuft: Texte und Fragen beantwortet man zusammen mit anderen in einer Gruppe, auf die man sich natürlich auch wieder vorbereiten muss… ein Teufelskreis. Dadurch werden die Seminare selbst aber wesentlich lebhafter, interessanter und anspruchsvoller. Der Umgang zwischen Dozent und Student ist wesentlich lockerer und wenig hierarchisch. Das hängt auch damit zusammen, dass der Dozent greifbarer wirkt, wenn man ihn statt mit seinem akademischen Titel einfach mit seinem Vornamen anredet. Aber vielleicht ist das nur der erste oberflächliche Eindruck, mal sehen, ob ich nach meinen Prüfungen immer noch so denke.
Letztlich ist es ja angeblich egal, wo man sein Erasmusjahr verbringt. Jede Stadt, jede Uni bildet dafür nur die Kulisse. Wobei Aarhus aber eine besonders schöne ist.
Um noch mal auf Hamlet zurückzukommen: Er kriegt direkt was auf die Mütze. Dänemark ist kein Gefängnis. Denn: ?Dann ist die Welt eins?.
Geschrieben von Sarah Spiegel