Wir treffen uns am Koeppenhaus in der Bahnhofsstraße. Das regnerische Januarwetter der letzten Tage scheint es gut mit uns zu meinen und die Chancen, trocken durch die nächste Stunde zu kommen, stehen gut. Es ist 13 Uhr als wir uns mit unserer Stadtführerin Franziska Klette auf die Spuren Wolfgang Koeppens und Hans Falladas machen.

Beginnend mit dem Geburtshaus des einen und abschließend mit dem des anderen, führt uns unser Rundgang nicht nur durch die Innenstadt Greifswalds, sondern auch durch das Leben und die Literatur der beiden Autoren.
Unser erstes Etappenziel ist Wolfgang Koeppens Geburtshaus, welches heute unter anderem eine Ausstellung, ein Archiv und ein Café beherbergt. Obwohl das Gebäude 2002 renoviert wurde, kann man noch immer ein altes Treppengeländer und einen großen Kachelofen aus Koeppens Zeiten entdecken. Kurz darauf stehen wir in seinem Arbeitszimmer. Es scheint fast als hätte er den Raum nur kurz verlassen und käme jeden Moment zurück. In einer Ecke liegt ein Stapel Zeitungen, die der Literat nicht nur las, sondern mit Randnotizen kommentierte. Der Schreibtisch steht, als warte er nur auf seinen Besitzer. Wolfgang Koeppens Nachlass ging nach seinem Tod an den Suhrkamp-Verlag, welcher Inventarteile, aber vor allem Bücher und Schriften des Autors an das Koeppenhaus weitergab. Sie befinden sich zusammen mit circa 12000 Briefen und Fotos im Archiv des Hauses.
Wir verlassen das Koeppenhaus und machen uns auf in Richtung Wall. Wir bemerken die teilweise noch alten Hinterhöfe der Bahnhofsstraße, so oder ähnlich muss es wohl auch ausgesehen haben als Fallada und Koeppen den Wall entlang spazierten. Wir überqueren die Rubenowbrücke und folgen dem Weg, bis wir freie Sicht auf das Oberverwaltungsgerichts und seinen Hinterhof erlangen. Früher befand sich in einem Anbau des Hauses ein Gefängnis, welches auch zu DDR-Zeiten noch als Stasiuntersuchungsgefängnis diente. Heute steht dort kein Stein mehr, der an einen solchen Anbau erinnert und doch hat selbst ein Hans Fallada ,welcher nach einem misslungenen Selbstmordversuch bereits einige Zeit in der Psychiatrie verbracht hatte, die Mauern des Gefängnisses von Innen gesehen. In seinem Werk ?Strafgefangener Zelle 32? beschreibt er seinen dortigen Aufenthalt, zu dem er aufgrund von Veruntreuung verurteilt wurde. Um an Schreibmaterialien zu gelangen, bespitzelte er seine Mitinsassen, was dazu führte, dass diese ihn schnitten. Letztendlich bescherte ihm gute Führung eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis. ?Falladas Buch ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frisst‘ bezieht sich jedoch nicht auf seinen Greifswalder Gefängnisaufenthalt sondern auf einen späteren in Neumünster,? erklärt uns Franziska Klette.
Derweil führt sie uns zur alten Uni-Bibliothek in der Rubenowstraße. Noch im Laufschritt, um nicht alt zu lange frieren zu müssen, berichtet sie uns, dass Wolfgang Koeppen hier ein häufig gesehener Gast war, wenn auch illegaler Weise. Er hatte nie die Möglichkeit, offiziell an der Ernst-Moritz-Arndt Universität zu studieren und doch wurde er 1990 zum Ehrendoktor der Universität und später zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
Unser nächstes Ziel ist die Hunnenstraße. Wir stehen auf dem alten Straßenpflaster und blicken auf den Dom als Franziska Klette erwähnt, dass Koeppen diesen Weg regelmäßig gegangen sei. Sie zitiert ein paar Zeilen aus dem Werk ?Jugend?, die eben dieses Pflaster, auf dem wir stehen, beschreiben.
Kurz darauf gehen wir die Lange Straße in Richtung Markt. Unsere Führerin erzählt uns, dass Koeppen stets gut für sein leibliches und geistiges Wohl sorgte. Leibliches Wohl durch gutes Essen und geistiges Wohl durch Bücher. Als James Joyce Ulysses veröffentlichte, Koeppen sich das Buch aber nicht leisten konnte, überredete er einen Händler, ihm das Buch für eine Woche zu überlassen. Die Vorstellung, dass es jemand schafft, innerhalb einer Woche dieses Werk zu lesen, vielleicht sogar mehrmals und es auch noch ,zu verstehen sorgt bei uns für Staunen. Dies könnte jedoch auch darauf zurückzuführen sein, dass Wolfgang Koeppens Stil dem von Joyce aber auch dem Kafkas ähnelte. Er spielte mit Worten und stellte aktuelle Gesellschaftsbilder in den Mittelpunkt seiner Betrachtung. So spiegelt sein Buch ?Das Treibhaus? den Politik-Sumpf der Nachkriegszeit wider. Immer noch in der Langen Straße unterwegs erzählt man uns, dass Koeppen so seine ganz persönliche Meinung zur Literatur Falladas hatte. Er bezeichnete ihn zwar als großartigen Erzähler, aber Literatur sei das seiner Meinung nach nicht. Hans Fallada, der eigentlich Rudolf Ditzen heißt und dessen Künstlername auf Hans im Glück und die Gänsehirtin zurückgeht sei stilistisch eher mit Kurt Tucholsky zu vergleichen, verdeutlicht uns unsere Stadtführerin.
Mit ein paar Anekdoten mehr im Gepäck, erreichen wir den Markt und das ?ratlose Rathaus?, wie Koeppen es in seinem Buch ?Jugend? bezeichnet. Er fühlte sich in Greifswald nie wohl und so zitiert Franziska Klette erneut: ?In meiner Stadt war ich allein.? Wolfgang Koeppen wurde unehelich geboren und obwohl sein Vater die Vaterschaft anerkannte, kümmerte er sich nie um seinen Sohn. Als Kind verbrachte Koeppen ein paar Jahre in Polen, eine Zeit, die er genoss und in der er Greifswald hinter sich ließ.
Als nächstes führt uns unser Rundgang zu Koeppens Schule, die gleich in einer Nebenstraße des Marktes liegt. Koeppen wollte stets das Gymnasium an der Bahnhofsstraße besuchen, musste aber aus finanziellen Gründen auf die Mittelschule gehen. Das sture Auswendiglernen und Wiederholen unterforderte den intelligenten und belesenen Jungen und steigerte seine Unzufriedenheit, was dazu führte, dass er die Schule schließlich verließ.
Vorbei an dem Gymnasium, welches Koeppen so gern besucht hätte, führt uns unser Rundgang zur letzten Station, dem Falladahaus in der Steinstraße. Dieses wurde 2002 renoviert und die Wohnung, in der Fallada 1893 das Licht der Welt erblickte, wurde der Pommerschen Literaturgesellschaft e.V. zur Verfügung gestellt. Die 180 qm dienen heute als Treffpunkt für Literatur- und Kunstliebhaber aller Art. Außerdem beherbergen die Räumlichkeiten eine Ausstellung, die Lebensabschnitte Hans Falladas kennzeichnet. So finden wir die Gefängnistür, hinter der er 1924 ein paar Wochen verbrachte und die Totenmaske des Autors.
Im Falladahaus treffen wir auch auf Isabelle Tirschmann, die vergangenen Sommer das Projekt ?LiteraTour durch Greifswald? ins Leben rief.  Mithilfe des Koeppen-Archives und des Falladahauses wurde eine literarische  Stadtführung vorbreitet, die nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Schwedisch und Italienisch angeboten wird. Die Idee war, nicht nur eine Stadtführung sondern einen persönlicheren Einblick in das literarische Geschehen Greifswalds zu ermöglichen: ?Es soll nicht nur vorgeführt werden.? Und so gibt es nach dem Rundgang noch einmal die Möglichkeit bei einer Tasse Kaffee über das Gesehene zu sprechen, Fragen zu stellen und zu diskutieren.

Geschrieben von Anne Schuldt