40 Schüler und Studenten nahmen Anfang Dezember am Workshop „Medien und Demokratie – eine (un)geliebte Beziehung“ teil, einer 40 Schüler und Studenten nahmen Anfang Dezember am Workshop „Medien und Demokratie – eine (un)geliebte Beziehung“ teil, einer Veranstaltung des Bundestages, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Jugendpresse Deutschland.
Sie lernten in einer Woche in Berlin ausgerüstet mit Presseausweisen des Bundestages die Arbeit der Politiker und Journalisten hinter den Kulissen kennen.
In den wenigen Tagen Berlin wiederholten sich manche Sätze von Abgeordneten immer wieder, solche wie „Politik ist das Bohren dicker Bretter“ oder „die Kunst des Machbaren“ und „Demokratie ist das Organisieren von Mehrheiten“. Das klingt nach Frustration, denn kurzfristige Veränderungen sind anscheinend Mangelware und gerade die Arbeit der Opposition ist oft vergebens. Über diese Frustration selbst sprechen nur wenige Politiker, wie beispielsweise die rheinland-pfälzische CDU-Politikerin Julia Klöckner, wenn sie sagt, dass sie am Anfang ihrer Arbeit in Berlin Versagensängste gehabt habe oder dass es ihr noch immer schwer falle sich einen privaten Freiraum abseits der Arbeit zu schaffen. Manchmal seien es dann zum Beispiel Radionachrichten, die sie wieder an die Tagespolitik an Berlin erinnerten.
Kampf mit Worten
Vielleicht ist Politik in Berlin nicht nur das Bohren dicker Bretter, sondern auch der Kampf mit Worten und Stapeln von Blättern. Und oft auch einer mit der Zeit. Im ARD-Hauptstadtstudio sitzt Anna Kyrieleis, sie ist mit 28 Jahren die jüngste der 22 Hauptstadtkorrespondenten des Senders und spricht über Zeitmanagement. Wenn man den Aufwand an – die ganzen Überstunden – Zeit mit der Bezahlung gegenrechne, dann werde man diesen Job wohl kaum machen. Nach der normalen Arbeitszeit stehen oft Hintergrundgespräche mit Politikern an oder bestimmte regelmäßige Treffen verschiedener Informationskreise. Exklusivinformationen kann sich in der verschärften Konkurrenzsituation in Berlin nur erhoffen, wer diese Treffen besucht und stetigen Kontakt zu Politikern hält. Im ARD-Hauptstadtstudio stehen die meisten Türen zu den Büros offen und fast überall wird solchen Informationen hinterher telefoniert. Aber nicht alle Informationen, die die Journalisten erhalten, finden sich in den Medien wieder. Es gibt festgelegte Regeln, etwa zur Vertraulichkeit von Informationen die den Umgang mit Gesprächsinhalten einschränken; diese sind mit Ziffern gekennzeichnet. Läuft ein Statement „unter eins“, so kann es mit Angabe des Namens zitiert werden, „unter zwei“ wird ein solches Zitat mit einer abgesprochenen Floskel versehen, etwa „aus Regierungskreisen“ und schließlich die Abmachung „unter drei“ bedeutet, dass die Information als Hintergrund für den Journalisten zum Verständnis dient, jedoch nicht weiter in den Medien verwendet werden darf.
Eine gute Portion Idealismus
Aber nicht nur berlin-intern gibt es für die Medien eigene Gesetze. So ist beispielsweise das Hauptstadtstudio der ARD mit der Nachrichtenredaktion in Hamburg verknüpft, die letztlich entscheidet, was auf die Agenda und in eine Sendung kommt. So werden manchmal fertige Beiträge aus Berlin nicht gesendet oder die Wichtigkeit von Themen in Berlin und Hamburg unterschiedlich beurteilt. Zu dem Beruf des Hauptstadtkorrespondenten gehört aus allen diesen Gründen wohl auch eine gute Portion Idealismus. Gefragt, ob es nicht auch deprimierend sei, wenn man jeden Tag wieder von vorne mit der Arbeit anfangen müsse und nicht wisse, ob sie sich lohne, sagt die junge Korrespondentin, sie sehe das genau andersherum: „Es ist doch schön, jeden Abend nach Hause zu gehen und einen Beitrag von Anfang bis Ende fertig zu haben.“ Vielleicht ist es dieses Gefühl, für dass sie die zeitlichen Strapazen ihres Jobs auf sich nimmt.
„wie transparente Käfige“
Ulrich Adam, der Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Greifswald, Demmin und Ostvorpommern, sitzt zurückgelehnt an seinem Schreibtisch vor den großen Fenstern oben im Paul-Löbe-Haus, in einem der vielen Abgeordnetenbüros. Über die große freie Fläche vor dem Reichstag hinweg sieht man weiter hinten die Siegessäule.
17,2 Quadratmeter misst jedes dieser Büros, gegenüber sieht man unzählige weitere in einem anderen Gebäudeflügel, dort sitzen andere Abgeordnete oder deren Mitarbeiter. „Wie transparente Käfige“ seien diese Büros, sagt der CDU-Politiker, man müsse ja nicht unbedingt wissen, was für Socken die Menschen in den anderen Büros tragen. Das ist die eine Hälfte der Antwort auf die Frage, welche negativen Seiten sein Job habe. Dann sagt er, dass es natürlich ein Zeitproblem gebe und dass diese Arbeit seine Familie sehr fordere – das müsse man wissen und akzeptieren. Bevor er nach Berlin gegangen sei, habe er das anders eingeschätzt.
Zu Greifswald gefragt, erzählt er von seinem Werdegang. Eigentlich sei die Entscheidung, nach Greifswald zu ziehen, für ihn eine pragmatische gewesen, denn seine Frau bekam einen Arbeitsplatz an der Universität und so zog er ihr hinterher. Im Grunde sei es also der Universität zu verdanken, dass er dort gelandet sei, meint er und lächelt ein wenig: „Die Universität ist wichtig für den Standort Greifswald. Außerdem beleben die Studenten das Stadtbild.“
Die Entwicklung und den Zustand in seinem Wahlkreis beurteilt er weniger positiv: „Wirtschaftlich und was die Arbeitslosigkeit betrifft, ist die Lage unbefriedigend. Eine Besserung der Gesamtstimmung kann nur durch einen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht werden.“ Die Wirtschaft ankurbelnd wirke sich im Moment die Aufhebung der EU-Kontingent-Regelung für den Schiffbau aus. Andere Branchen wie der Tourismus seien bereits gut ausgebaut, aber er allein könne die Probleme nicht lösen. Darüber hinaus seien „Biotechnologie und weitere Innovationen eine Zukunftsperspektive für Mecklenburg-Vorpommern“. Er macht keine großen Gesten, und es ist, als rufe er sich die Bilder, von denen er erzählt, alle noch einmal einzeln ins Gedächtnis, er doziert ein bisschen, um dann aber gleich wieder zu sagen: „Unterbrechen Sie ruhig, fragen Sie ruhig.“
fünfmal Wasser, dreimal Orangensaft, zweimal Apfelsaft
Vielleicht sind es besonders die kleinen Einblicke in den Berliner Bundestagskosmos, die den Teilnehmern des Workshops in Erinnerung bleiben werden. Wie schnell man sich beispielsweise daran gewöhnt, dass in den Ausschusssälen auf dem Tisch immer schon diese kleinen Flaschen stehen – immer gleich angeordnet und abgezählt: fünfmal Wasser, dreimal Orangensaft, zweimal Apfelsaft. Immer in einem gleichschenkligen Dreieck angeordnet, man trinkt sie aus, gedankenlos, zwei Stunden später, wieder zurück im Raum sind sie wie von selbst wieder aufgefüllt. Oder die Aktenhalter auf den Toiletten und die seltsamen Kunstwerke, die überall zu finden sind. Aber auch die normalerweise unsichtbaren unterirdischen Fußmärsche der Politiker, Journalisten und Angestellten durch Gänge unter dem Reichstag und den angrenzenden Gebäuden, in denen teilweise unverkleidet die Rohre an der Decke verlaufen. Die elektronischen Tafeln, die dort ähnlich den Abflugzeiten an Flughäfen die nächsten Ausschusssitzungen mit Uhrzeit, Partei und Ort angeben. Aber auch kurze Statements von den Menschen, die in Berlin Politik machen. Regierungssprecher Bela Anda, der, gefragt nach der Bedeutung der Eitelkeit in seinem Metier, sagt: „Ich bin nicht eitel.“ Oder Wolfgang Thierse: „Meines schönen Bartes wegen werde ich nicht gewählt.“ Wie um es zu beweisen, ist er kurz danach auch schon wieder unterwegs zu einem weiteren Termin. Es gibt immer eine nächste Sitzung, ein nächstes Hintergrundgespräch, ein nächstes Interview.
Geschrieben von Im Labyrinth der Mächtigen