Anmerkungen zum Zeitgeist

„Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fordert, einmal im Ernst durchaus verständlich würde.“
(Friedrich Schlegel)

Neulich fragte mich ein Kommilitone, wozu man denn das Studium der Ur- und Frühgeschichte im Zusammenhang mit unserem Uni-Schwerpunkt „Ostseeraum“ brauche. „Und auch ein Mittelalterzentrum – das ist doch alles schon so lange her. Politik und Wirtschaft wären doch Dinge, auf die man sich viel mehr konzentrieren sollte …“ – Politik und Wirtschaft! Nichts prägt die Debatte um das Schicksal der Alma Mater Gryphiswaldensis in unseren Tagen mehr als diese Faktoren.
Die Ökonomie ist es, unter deren Dogmen sich alles zu fügen hat – selbst die Wis­senschaft. Dass damit das Grundverständnis einer Universität angegriffen wird, ist in den Reaktionen auf die Kürzungspläne schon mehrfach und hoffentlich auch laut genug angeklungen.
In unserem „neuen Europa“ ist die wirtschaftliche Vernetzung nur ein Faktor, der die Bereitschaft zur Zusammenarbeit ermöglicht. Die wesentliche Basis ist jedoch die Definition der eigenen Identität. Seit dem 19 Jahrhundert hat man diese Identität „national“ begriffen und deren historische Basis in einer Zeit verankert, die sich in unserer Region großteils nur durch archäologisch-frühgeschichtliche Forschungen ergründen lässt. Ohne eine kritische Untersuchung – die auch sich selbst gegenüber kritisch ist – würde vieles dieser Identitätsursprünge bald wieder zu einer „nebulösen Vergangenheit“ mutieren, aus der erneut Gedankengut entspringen kann, das diese „Nationalität“ politisch-wirtschaftlich versteht. Und dann wird auch der „westliche Ökonom“ wach, für den sich im besten Fall nur die Absatzmärkte verschließen.
Mit der Einschränkung der Wissenschaft ist aber nicht nur deren Weiterentwicklung sondern auch die Aufrechterhaltung ihrer bisherigen Erkenntnisse gefährdet. Was sich anbahnt, wenn man beispielsweise ernsthaft auf die Idee kommt, sich vom Studium der Theologie zu verabschieden, zeigt sich im Kontext von Ridley Scotts neuem Blockbuster „Kingdom of Heaven“ der sich der Problematik der (mittelalterlichen) Kreuzzüge widmet.
Wenn der Diskurs über religiöse Fragen nicht mehr möglich ist und Glauben zur Privatsache degradiert wird, ist eine Fundamentalisierung vorprogrammiert. In solchen Fällen ist der dilettantische Umgang mit christlich-abendländischen Werten kein gutes Omen dafür, wer in dem heraufbeschworenen „Kampf der Kulturen“ die Oberhand gewinnen wird. Aus dem englischen Titel des Films wird der Bezug zum anbrechenden Reich Gottes ersichtlich, für das hier das schon oft angeklungene „Bild des Himmlischen Jerusalem“ die Vision lieferte, die die Menschen damals dazu bewegt hat, es im ‘irdischen Jerusalem’ zu suchen, so wie es Liam Neeson als alternder Kreuzritter bereits im Trailer verkündet.
Diesem Werk nun im Deutschen den Titel „Königreich der Himmel“ zu geben, zeugt von dem Unverständnis derer, die dort zugange waren. Es mag zwar den ‘Siebenten Himmel’ geben, aber in diesem Zusammenhang im Plural zu sprechen, negiert den inhaltlichen Bezug vollkommen – aber es klingt halt „irgendwie mystisch“ und das muss ausreichen, um die Konsumenten ins Kino zu bewegen.
Doch was ist, wenn aus Konsumenten Gläubige werden und die neuen Medien sich aus den Ketten der Ökonomie weiter befreien und zu Instrumentarien von Volks­frömmigkeit oder gar Fanatismus entwickeln?
Was ist, wenn die führenden Gestalten dieser Welt sich nicht nur selbst im Ver­ständnis eines Gottesgnadentums sehen, sondern auch so gesehen werden – zum Beispiel weil es „cool“ ist, sich mit schwarzer Atemmaske und wallendem Umhang zur „dunklen Seite“ zu bekennen?
Wer soll diesen Entwicklungen die Richtung weisen, wenn nicht eine Universität? Wir befinden uns in einer Zeit des Suchens – und wer meint, allein durch die kurzsichtige ratio Antworten zu finden, der gleicht dem der „systematisch“ Bäume fällt, um den Wald besser sehen zu können …

Geschrieben von Arvid Hansmann