Ein Greifswalder Filmemacher, Roland Emmerich und die Berlinale 2005
Das blutunterlaufene Auge starrt mich aus der Tiefe des Abgrundes an. Das dunkle Gemäuer ist gefüllt mit unzähligen Schätzen und Relikten vergangener Kulturen – hier wohnt der alte Meister, der weiß, wie es jenseits der glänzenden Märchenwelt aussah…
Zugegeben, so alt ist dieser Meister noch gar nicht und das Gemäuer ist auch kaum mehr als 100 Jahre alt. Der Name dieses Meisters ist Thomas Frick. Er ist einer derjenigen, die in unserer bunten Medienwelt hinter der Fassade, besser hinter der Kamera stehen – er ist Regisseur. Als ich ihn Anfang Februar in Babelsberg besuchte, tat ich dies im Kontext der glamourösen Berlinale.
Wer sich seine bewegte Vita ansieht, merkt, dass Greifswald darin einen zentralen Platz einnimmt: Hier drehte er seine ersten Filme, darunter das kafkaeske Werk „Das Massaker“, das man sich auf seiner Homepage www.frickfilm.de herunterladen kann. Es gibt einen grotesken Einblick in die vergangene Hinterhofwelt der 80er, mit dem er seinerzeit Probleme mit der Stasi bekam. Später führte es ihn bis nach Hollywood. Dort arbeitete er zeitweise mit dem Herrn zusammen, der dieses Jahr zum „obersten Richter“ über den Berlinale-Wettbewerb ernannt wurde und der mir wenig später auch noch begegnet ist, wie ihr ja beim „Editional“ gesehen habt: Roland Emmerich.
Anders als dieser konzentrierte sich Thomas Frick nicht auf Alieninvasionen oder gigantische Naturkatastrophen, sondern widmete sich mehr der Darstellung verschrobener Charaktere und makaberer Situationen. Mit seinen Kurzfilmen war er in den letzten Jahren mehrfach auf der Berlinale vertreten. „Das Genre des Kurzfilms wird in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen“, berichtete er mir bei einer großen Tasse Earl Grey in seiner Küche. „Dabei wird das Kino vielleicht weniger das entsprechende Medium sein. Vielmehr sind DVD-Zusammenstellungen und das Internet die Basis für Filme, die in unserer schnelllebigen Zeit eine interessante Geschichte kompakt vermitteln.“
Aber Thomas Frick drehte auch Langfilme. Mit „Detective Lovelorn und die Rache des Pharao“ schuf er 2001 ein Sciencefiction-Fantasy Abenteuer, das als Low-Budget-Produktion bewusst die Stilmittel des Genres wie Special-Effects parodiert, aber mit Schauspielern wie Horst Buchholz und Eva Hassmann (Ehefrau von Otto Waalkes) von Professionalität ebenso wie von lebendigem Humor zeugt. Mit diesem Film beteiligte er sich 2002 auch bei der Berlinale.
„Wenn man an diesem riesigen Festival teilnimmt, kann der letztendliche Erfolg sehr unterschiedlich aussehen. Vieles geht einfach unter. Aber es muss nicht immer bedeuten, dass nur derjenige ‚groß raus kommt’, der die entsprechenden Produktionsfirmen hinter sich hat. Für etliche Filmemacher und Schauspieler ist die Berlinale das gepriesene Karrieresprungbrett“. Er verwies auf seinen Bekannten Andreas Dresen und dessen Film „Halbe Treppe“, während er sich auf einem klobigen Holzstuhl mit grauem Kunstlederüberzug zurücklehnte. Dieses ergonomische Meisterwerk ist ein Geschenk der Evangelischen Studentengemeinde (ESG), das sie ihm bei ihrem Auszug aus dem geschichtsträchtigen Turm der Jakobi-Kirche im Herbst 2003 übergab. Als Frick damals einige seiner Filme vorstellte, entsann er sich ein wenig melancholisch seiner „Greifswalder Zeit“, in der er unter anderem auch Vertrauensstudent in der ESG war.
Auf die Frage, ob er sich in Zukunft auch vorstellen könnte, an einem großen „Blockbuster“ mitzuwirken entgegnete er: „Wenn sich solche Möglichkeiten ergeben, kann wohl kaum jemand „nein“ sagen. Aber es ist halt nicht gerade einfach, an derartige heranzukommen. Im März fangen hier auf dem Babelsberger Studiogelände die Wachowski-Brüder an, für den Film „V for Vendetta“ zu drehen. Die Natalie Portman kommt ja auch hierher …“ – „Ja ich weiß!“ konterte ich fasziniert und hoffte nun, jemanden mit dem entsprechenden „Vitamin B“ vor mir zu haben, der mir vielleicht einen Set-Besuch oder gar eine Statistenrolle organisieren könnte. „Also da kann ich dir leider auch nicht sehr viel weiterhelfen. Wenn die großen amerikanischen Produktionsfirmen hierher kommen, bringen sie meist ihre ganze Crew mit. Für Außenstehende ist es äußerst schwer dort heranzukommen.“
Nachdem Thomas Frick geduldig den sturzbachartigen Ausführungen zu meiner Sicht auf die Medienwelt gelauscht hatte – ich ließ ihn in diesem „Interview“ eigentlich kaum zu Wort kommen, wie ich mir hinterher eingestehen musste – kam nach knapp zwei Stunden seine Freundin dazu, die ich gleich ins Gespräch mit einband. Da wir alle an diesem Tag noch etwas anderes vorhatten, verabschiedete ich mich von den beiden, die sich nun – mit einer Taschenlampe bestückt – über den Dachboden in das Nachbarhaus begaben, während ich das Mietshaus regulär über das knarrende Treppenhaus verließ.
Ich musste wieder zurück zum Potsdamer Platz und mich routiniert zum Fotografieren der „Stars“ auf den Klapphocker stellen, denn eine offizielle Presseakkreditierung war dem moritz erneut nicht zuerkannt worden.
Das „blutunterlaufene Auge“ vom Anfang war übrigens nur so ein Schaumzuckerteil, das sich in der Küche befand.
Geschrieben von Arvid Hansmann