Zu manchen Gedichten hat man sofort eine Beziehung, ein inneres Bild vor Augen. Ralf Schmerberg gibt mit der DVD „Poem“ Gedichten ein Gesicht und setzt sie in Videoclip-Ästhetik um. Untermalt werden diese von sanften, unaufdringlichen Klavier- oder Celloklängen.
Zu den beeindruckensten Gedicht-Verfilmungen gehört „Sophie“ von Hans Arp. Herman van Veen spricht mit melancholischer Schwere vom Verlust eines geliebten Menschen abwechselnd mit einer Kinderstimme aus dem Off. Zerbrochene Fensterscheiben, alte Gardinenfetzen, ein verfallenes noch möbliertes Haus, das von der Vergangenheit erzählt, aus die sich der Darsteller nicht lösen kann. Trauer und Todessehnsucht schwingen in seiner Stimme: „Jeder vergangene Tag bringt dich mir näher.“
Klaus Maria Brandauer spricht in s/w-Ästhetik Heinrich Heines „Der Schiffbrüchige“. Zu sehen ist nur sein Gesicht, seine Mimik, sein Ausdruck. Die Handlung des Gedichtes wirkt umso stärker. Fest schaut er dem Zuschauer in die Augen und scheint doch zu sich selbst zu sprechen.
„Nach grauen Tagen“ von Ingeborg Bachmann setzt Schmerberg filmisch ins Großstadtgrau Berlins, eine viel zu kleine Plattenbau-Wohnung mit schreienden und überdrehten Kindern, dem jungen streitenden Elternpaar und dem Wendepunkt, mit dem die Familie nicht weniger chaotisch, jedoch deutlich friedvoller miteinander umgeht.
Weitere Gedichte von Hermann Hesse, Johann Wolfgang von Goethe, Mascha Kaléko, Kurt Tucholky, Else Lasker-Schüler, Georg Trakl, Paul Celan, Rainer Maria Rilke, Friedrich Schiller werden unter anderem dargestellt von Meret Becker, Marcia Haydée, Luise Reiner, Jürgen Vogel und unter anderem gesprochen von Paul Celan, Hannelore Elsner und Anna Thalbach.
Die filmische Interpretation verschiedenster Gedichte lief 2003 im Kino und ist ein bisher einzigartiges Projekt, Gedichten ein „Gesicht“ zu geben. Schmerberg selbst schreibt, dass der Film Impulse und Assoziationen frei setze und die eigene Empfindungs- und Wahrnehmungsbereitschaft bestimme, was der Film erzählt.
Geschrieben von Judith Küther