Ein Semester in Greifswald
Wer kennt sie nicht, die typischen Eigenschaften eines jeden Erstsemester-Studenten: hochmotiviert, übereifrig, ahnungslos und im besten Fall auch wissbegierig. Wahrscheinlich werden sie auch deshalb von ihren Kommilitonen liebevoll „Erstis“ genannt. Ab Oktober 2004 sollte auch ich einer von ihnen werden. So begann ich mein erstes Studium an der EMAU. Im Gepäck: all die bekannten Erkennungsmerkmale.
Mein erster Enthusiasmus verflog allerdings schon in der „Ersti-Woche“. Denn da hieß es anstehen und Geduld haben! Besonders am Tag der Begrüßung in beziehungsweise vor der Mensa. Als ich all die Neuankömmlinge dort das erste Mal auf einem Haufen sah, war mein erster Gedanke: Massenabfertigung! Wie am Fließband wurden wir unseren entsprechenden Studiengängen und Tutoren aufgeteilt. Doch dann stellte sich gerade dieses Gedränge als vorteilhaft heraus: Man fühlte sich alles andere als allein gelassen und konnte ganz einfach die ersten Kontakte knüpfen.
Danach ging es noch zu Fuß durch die Greifswalder Innenstadt. Da kam ich mir weniger als Erststudent sondern eher als Erstklässler vor. Mit Namenschild und Geschenkbeutel (Man könnte auch sagen: getarnte Zuckertüte) watschelte ich immer meinen Tutoren hinterher. Ich fand das sehr amüsant und tat das, was alle Erstis taten: Ja nicht den Anschluss verlieren!
Jetzt begann also, fern der Heimat, der „Ernst des Lebens“. Der entwickelte sich jedoch in den ersten Monaten entgegen meiner Vorstellungen. Mit welchen großen und kleinen Probleme man im Alltag und an der Uni aber auch konfrontiert wird: leerer Kühlschrank, bügeln, kaputter Fahrradschlauch, Konto im Minus, GEZ-Prüfer an der Haustür, vergessene Familiengeburtstage, radfahrer-unfreundliche Bordsteinkanten, Platzjagd im Hörsaal (zumindest am Anfang des Semesters), und touristenähnliche Orientierungslosigkeit an der Uni. Und das sind nur die Highlights! Umso stolzer war ich dann aber, wenn ich eines dieser Probleme erfolgreich beheben konnte.
Allgemeine Ahnungslosigkeit herrschte natürlich auch in meinem ersten Semester Studieren. Was bedeuten nur all die Abkürzungen wie „AStA“ oder „c.t.“? Wie funktioniert eine Kopierkarte? Was ist der „OPAC“? Und: Wieso gibt es in der Mensa immer eine lange und eine kurze Warteschlange an der Kasse?
Solche Fragen lassen einen vorkommen, als hätte man das Wort „Ersti“ direkt auf die Stirn tätowiert bekommen. Als es mir dann zu viele Fragen wurden, habe ich sie ganz einfach laut gestellt. Negative Erfahrungen habe ich damit nie gemacht. Ich bekam immer freundliche und hilfreiche Antworten von Mitarbeitern oder Kommilitonen.
Und dann kam der Tag, an dem dieses Tattoo verblasste. An einem der Hochschulinformationstage kam im Audimax ein junges Mädchen auf mich zu und fragte mich, wo das Theologische Institut sei. Jetzt sollte ich also antworten! Außer mir vor Begeisterung wurde mir erst im Nachhinein bewusst, was ich ihr eigentlich geantwortet hatte: „Nein, keine Ahnung, ich studier’ hier auch erst ein paar Monate.“ Ich weiß, nicht sehr hilfreich, aber ich sah für sie so aus, als hätte ich das wissen können! Allein das zählte für mich in diesem Moment.
Jetzt ist mein erstes Semester schon wieder vorbei. Die ersten Prüfungen sind geschrieben, die ersten Freundschaften entstanden und das anfängliche Heimweh (nahezu) verflogen. Und, das Wichtigste: Meine „Ersti“-Eigenschaften habe ich abgelegt und werde mein zweites Semester mit weniger Übereifer, dafür mit mehr Ahnung angehen!
Geschrieben von Anne Waldow