Letzte Woche tagte in einer „Dringlichkeits-Sitzung“ die Bürgerschaft der Hansestadt Greifswald. Hintergrund war der mögliche Aufstieg der ersten Männermannschaft des Greifswalder Sportvereins GSV 04 in die neu geschaffene Regionalliga. Diese ist mit vielen Auflagen versehen, die einen Ausbau & Umbau notwendig machen sollen.

Die Bürgerschaft musste über eine von der Verwaltung ausgearbeiteten Antrag über den Ausbau des Volksstadions entscheiden. Insgesamt sollen – zunächst – an die 750.000 Euro ins Stadion fließen. 540.000 Euro davon aus Mitteln der Stadt.

Nach über drei Stunden hitziger Debatte stimmte die Bürgerschaft für den Ausbau des Stadions. CDU und FDP stimmten geschlossen für den Ausbau, die Links-Partei & Grüne / OK größtenteils dagegen, die SPD enthielt sich aus Protest über das „Eilverfahren“ der Stimme.

Über die anstehende Entscheidung hatten wir bereits vor zwei Wochen berichtet und auch Stellung bezogen. Deshalb wollen wir heute einen (anonymen) Leser zu Wort kommen lassen, der die Sitzung in einem Leserbrief [in unseren Augen!] treffend kommentiert:

„Es war richtig großes Kino, welches die Bürgerschaft am vergangenen Donnerstag da präsentierte. Erstmals betrat der ’schwarze Block‘ die Arena der Kommunalpolitik. Die meist leicht adipösen Herren der CDU-Fraktion betraten fast geschlossen, in meist zu engen schwarzen T-Shirts mit GSV-Logo, den heiligen Saal des demokratischen Meinungsstreits.

GSV 04 Fans unter sich.

(Mitglieder der CDU-Fraktion im Pausengespräch- Foto: Jabbusch)

Auf einer Reihe von Stühlen im Zuschauerbereich lagen schon lange vor Beginn der Sitzung Mappen und Papiere, die diese als besetzt auswiesen. Wie sich später zeigen sollte, reserviert von einigen Damen der Verwaltung für die Herren der Mannschaft des GSV 04. Für kommunalpolitisch interessierte Greifswalder, war kaum Platz. Einmalig, als sich herausstellte, dass die reservierten Stühle nicht ausreichten, wuselten die Damen herum und besorgten neues Gestühl. Bislang galt für kommunalpolitisch Interessierte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Entweder mussten sie stehen oder, so dies aus alters- und krankheitsgründen nicht möglich war, den Ort der Veranstaltung verlassen.

GSV 04 üben Druck aus

Im Zuschauerbereich also eine Menge GSV 04 und Freunde und Förderer der lokalen Fussballmannschaft. Das ganze erinnerte an die kleine niedliche, vom Geparden gehetzte, Antilope, die schon den Odem des nahenden Todes mit ihren Nüstern aufnimmt und wissend um das baldige Ende ihres irdischen Daseins, einen letzten verzweifelten Haken schlägt. So ähnlich mussten sich die Abgeordneten der „Opposition“ gefühlt haben. Denn genau hinter ihnen, deren Kritik an diesem Verfahren schon im Vorfeld laut geworden war, hatte man die GSV 04er platziert.

Vorn saß ihnen ein sichtlich fahriger und überforderter Bürgerschaftspräsident, der gleichzeitig Verwaltungsratsvorsitzender des GSV 04 ist, gegenüber. Selbstherrlich verkündete er sinngemäß, ein Thema ist dringlich, wenn er es für dringlich hält und die Sitzung anberaumt.

Die Linke kritisierte das Fehlen des Oberbürgermeisters (OB) bei einer so wichtigen Entscheidung. Egi Liskow hatte dafür eine plausible Begründung parat, der OB hätte einen Schwächeanfall. Bevor man sich Gedanken über eine bald anstehende Neuwahl des Stadtoberhauptes machen konnte, schob er aber nach, der gelernte Physiker Arthur König würde sich bereits auf dem Wege der Besserung befinden. Zwei Tage später berichtete die Lokalzeitung, der König hätte keinen Schwächeanfall erlitten, er wäre lediglich unpässlich und würde seinen Dienst bald wieder aufnehmen.

Der Anführer des schwarzen Blocks schwang dann eine peinlich pathetische Rede, die nur so von fussballerischen Allgemeinplätzen, wie „das runde muss ins Eckige“, ein „Spiel dauert 90 Minuten“ und dergleichen, strotzte. SPD-Chef Kuessner hatte einen ganz passablen Vorschlag: Er wollte zu einer Spendensammlung mit Hilfe der Lokalzeitung aufrufen und die Entscheidung bis zu nächsten Bürgerschaftssitzung vertagen. Doch er hatte die Rechnung ohne die Befürworter gemacht.

Neben Trainer Zachhuber durfte dann auch der GSV-Vereinsvorsitzende reden. Seine Rede war fast eine Erpressung. Wenn die Bürgerschaft nicht an diesem Abend im Sinne des Vereins entscheidet, wird der Verein noch am nächsten Tag die Anmeldung zur Regionalliga zurückziehen. Zurück zog dann die SPD ihren Antrag auf Vertagung der Entscheidung. Der spendenaufruf blieb.

Regelwerk des DFBDie Linke wies auf den umfangreichen Katalog der DFB-Sicherheitsrichtlinien hin, der gar nicht in vollem Umfang erfüllbar sei. Reflexartig, wie fast immer, wenn Peter Multhauf von der Linkspartei einen seiner berühmten Auftritte hat, reagierte ein sichtlich echauffierter Senator (Vertreter des Bürgermeisters / der Stadtverwaltung) und bezichtige ihn, die Unwahrheit gesprochen zu haben. Diese Richtlinie ließe schließlich Ausnahmegenehmigungen zu.

Ende der Diskussion? Vorerst wohl schon. Beide haben Recht. Der eine mehr, der andere weniger. Das was da umgebaut werden soll, entspricht eben nur zu einem Teil den Mindestanforderungen an die Regionalliga. Die Mindeststandards sind weit umfangreicher als der Bürgerschaft vorgegaukelt wurde. So müssen sicherlich noch in Teile der äußeren Umfriedung, Sanitäreinrichtungen in den einzelnen Sektoren, Beschallungstechnik und Telekommunikationsanlagen investiert werden. Der geplante Tunnel für Spieler und Schiedsrichter hingegen, ist nicht gefordert. Ob tatsächlich Container für die Mannschaften angeschafft werden müssen, ergibt sich aus dieser Richtlinie ebenfalls nicht.

Es ist zu vermuten, dass der Umbau tatsächlich deutlich teurer wird als geplant. Aber in der Eile der Notwendigkeit einer Entscheidung, kann das ein oder andere schon einmal untergehen, nicht wahr?. Der Verwaltung ist jedenfalls ein Lob zu zollen: In der Kürze der Zeit, konnte sie schon einen konkreten Plan und „fast sichere Zahlen“ für den Umbau nennen. In Greifswald scheint das Bild von den faulen Beamten jedenfalls nicht zu stimmen.

Was die Bürgerschaft da bot, waren Lehrstunden Greifswalder Demokratie. Die Mehrheit des schwarzen Blocks stand. Das ganze Procedere, nichts weiter als eine Scheinveranstaltung mit offenkundig schon vorher feststehendem Ergebnis. Wieder einmal.“

Auszug aus den DFB-Mindeststandards

Danke an den Autor.

Ich möchte auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass gerade einmal vor vier Wochen, die Bürgerschaft gemeinsam festlegte, dass die Investitionsstau an den Schule (27 Millionen Euro, siehe Bild) das dringendste Problem sei – hinzukommen Sporthallen und Kitas.

Grafik aus der letzten Sitzung

Vor vier Wochen, als dieser Vortrag von einem Mitglied des Bildungsausschuss der Bürgerschaft gehalten wurde, hieß es jedoch, dass der Stadt keine Mittel zur Sanierung der Schulen zur Verfügung ständen. Vier Wochen später nun sind doch 750.000 Euro da. Und die erste Idee, die den Herren der CDU kommt, ist diese in ihren Lieblingsverein zu stecken. Wunderbar!

Hier noch mal der Versuch die Absurditäten aufzulisten:

  • Die Beschlussvorlage, über die abgestimmt wurde, wurde erst eine Woche vorher veröffentlicht und bis zur Sitzung vier mal (inklusive der Zahlen) verändert. Die Ausschüsse, die auch über den Antrag befanden, hatten also andere Zahlen. Sowieso kann sich als nur um geschätzte Ausgaben handeln, die mit heißer Nadel zusammengestrickt wurden.
  • Die endgültige Beschlussvorlage wurde erst IN der Sitzung eingereicht. Die Mitglieder des Parlaments bekamen dafür 10 Minuten Lesepause, die natürlich kaum jemand zum lesen nutze.
  • Eine Absprache in den Fraktionen war so natürlich auch nicht möglich.
  • Die CDU-Fraktion hat mit ihren GSV 04 T-Shirts deutlich gezeigt, dass es Ihnen um puren Populismus kurz vor der nächsten Kommunalwahl ging. Jemand der ein GSV 04 T-Shirt trägt, braucht an einer Debatte nicht teilnehmen.
  • Überall gab es Befangenheit: Der Bürgerschäftspräsident ist Vorsitzender des Verwaltungsrates, zwei andere Mitglieder der CDU-Fraktion sitzen im Vorstand der Fußballabteilung. Das sie mit abstimmten ist nicht nur rechtlich bedenklich, sondern schlechter Stil. Zum Vergleich: Vor einiger Zeit wurde ein Beschluss wieder aufgehoben, weil eine Dame aus der Linkspartei Fraktion Grüne/Ok mitabstimmte, deren Kind in der betreffenden Kita ging. Befangenheit gab’s aber auch in der Linkspartei: Birgit Socher ist verheiratet mit einem ehemaligen Spieler des GSV 04 und stimmte entsprechend gegen ihre Fraktion und für den Stadionausbau. (Update: Frau Sochers Mann spielte nicht beim GSV 04, sondern einer Vorgängermannschaft! – Siehe Kommentar 35!)
  • Vortrag von FDP-Mitglied Magnus Frisch (FDP) über den Sanierungsbedarf an Greifswalder Grundschulen

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