Zu Besuch auf der Buchmesse in Frankfurt

„Sie überschritten eine Grenze ohne zu wissen, was sie getan hatten. Was geschah im Jahre 1377?“ fragen die weißen Lettern im Eingangsbereich des Forums auf dem Frankfurter Messe-Gelände. 1377 – das ist nicht gerade ein Datum, das deutsche Schüler im Geschichtsunterricht lernen und doch fand in eben diesem Jahr eine Revolution statt. Sie verlief zwar gänzlich unblutig, aber sie veränderte die Welt nachhaltig. 1377 wurde in Korea der Buchdruck erfunden und damit ein Ereignis erst möglich gemacht, das in diesem Jahr zu seinen Wurzeln zurückkehrte, indem es Korea als Gastland auswählte: Die Frankfurter Buchmesse.

Rund 280 000 Besucher kamen zwischen dem 19. und dem 23. Oktober zur weltgrößten Messe für Druckerzeugnisse. Neben Lesungen und anderen kulturellen Veranstaltungen wurde ihnen von mehr als 7.200 Einzelausstellern aus 101 Ländern der eine oder andere Leckerbissen geboten. Autoren griffen zum Stift und signierten ihre Werke, andere lasen daraus vor. Neben den großen präsentierten sich auch viele kleine Verlage, die eher Nischen besetzen. Wer kennt schon den „Verlag für Motorbücher“, der all das herausgibt, was dem Herz eines jeden Auto- und Motorradfans einen Kick-Start verpasst? Erstmals waren in diesem Jahr auch die Spiel-Verlage vertreten, außerdem gab es einen Sonderbereich für Comics und Kalender.
Ganz nach dem Motto „Lesen gefährdet die Dummheit“ eines bekannten deutschen Verlags beeindrucken den Besucher jedoch besonders die Unmengen an Belletristik. Riesige Bücherwände laden immer wieder zum Stehen bleiben und Staunen ein. Mit abwesendem Blick verziehen sich Leseratten in eine Ecke, um hemmungslos zu schmökern. Nur wer gekommen ist, um Bücher zu erstehen, wird enttäuscht: Dies ist stets erst am letzten Ausstellungstag möglich.
„Ein Tag ohne Lektüre hinterlässt einen schalen Geschmack“, lautet die Auffassung der Koreaner. Im Gastland sind Bücher eine Frage der Moral. So verwundert es nicht, dass die Poeten des Landes ein besonderes Ansehen genießen. Doch die Literatur ist in dem geteilten Land nicht nur schöne Unterhaltung, sondern auch ein Mittel, um die eigene Vergangenheit zu verarbeiten. Der Star unter den koreanischen Schriftstellern, der 72jährige Ko Un, beschäftigt sich in seinen Gedichten nicht nur mit den Schrecken des Bürgerkriegs und der Militärdiktatur, sondern engagiert sich auch persönlich für Humanität und nationale Versöhnung. Im Juli dieses Jahres flogen er und 92 weitere südkoreanische Schriftsteller zu einem Treffen mit nordkoreanischen Kollegen nach Pjöngjang. Und auch, wenn letztere in Frankfurt nicht vertreten waren, scheint die Versöhnung in der Literatur weit vorangeschritten, die Feder mal wieder mächtiger als das Schwert zu sein.
Vergangenheitsbewältigung betreibt auch Arno Geiger, der zur Ausstellungseröffnung mit dem „Deutschen Buchpreis“ geehrt wurde. In seinem Werk „Es geht uns gut“ gelingt es ihm, Vergängliches und Augenblick in eine überzeugende Balance zu bringen. Doch nicht nur die Auszeichnung für Geiger, sondern auch die große Anzahl junger Leute, die die Hallen auf dem Frankfurter Messegelände besuchten, zeigt, dass Bücher auch im Zeitalter von Handy und Internet gefragt sind.
„Ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt“, sagt ein altes arabisches Sprichwort. In Frankfurt liegt der Garten Eden.

Geschrieben von Kai Doering