Kurzgeschichte

Oh ja, wir hatten Spaß. Jeden Tag. Auch heute, bis: „Marie, wo ist das Nutella-glas?“ Es war Felicitas, die mich so überfiel. „Nutella? Glas? Wie?“ „Ja, genau! Sag mal!“ Das war nun Judith.
Nutella ist eine sehr gute, sehr fette Schokocreme aus dem sonnigen Italien. Da ist nichts dabei, außer dass man dick von dem Zeug wird und ihr werdet euch sicherlich wundern, wenn ich nun erzähle, dass mir damals mit einem Schlag heiß wurde und meine Stimme sehr leise. Wurde ich rot? Auf jeden Fall konnte ich den Anderen nicht mehr ins Gesicht sehen. Wie sie da saßen und mich erwartungsvoll anstarrten.
„Ich… weiß auch nicht. Warum?“ „Doch, tust du.“ Meine Güte, vier gegen eine, das war nicht fair. Sie waren fordernd, durchbohrten mich regelrecht mit ihren Blicken. „Ich hab es nicht.“ Feindliches, verächtliches Murren. Mann, was sollte das?
Aber dann schienen sie ihre Taktik zu ändern, denn Judith setzte nun eine verständnisvolle Miene auf: „Wenn du das Glas mit zur Arbeit genommen hast, ist das nicht schlimm. Bring es nur wieder mit. Bitte!“
So, das reichte! Ich sammelte alle meine Kräfte, holte tief Luft und setzte mich aufrecht hin. „Nein, ich hab es nicht mit zur Arbeit genommen. Ich hab`s weggeschmissen.“
Allgemeines Lachen. „Guter Versuch, Marie, gib`s doch halt zu!“ „Als ob du Schokolade wegschmeißen würdest.“ Meine Güte, wir lebten nun schon so lange zusammen und sie hielten mich nicht nur für eine Diebin und Egoistin, sondern auch für eine Lügnerin.
Ich musste mich noch dreimal wiederholen, bis ich ernstgenommen wurde. „Ich hab‘s doch auch für Euch getan, denkt an eure Figuren!“ „Oh nein, Marie! Du, du kannst doch nicht einfach so Schokolade wegschmeißen.“ Das war Fee, die das nun stotterte. „Dann bitte hol sie wieder raus.“
Ich wurde immer leiser. Da redeten diese Mädels von Diäten und fehlender Disziplin und jetzt machten sie so einen Aufstand wegen um die Ecke gebrachter 750 Gramm Schokocreme, von denen ich zugegebenermaßen ohnehin schon vorher mindestens 400 Gramm gegessen hatte.
„Es geht nicht, ich hab‘s getrennt! Nutella und Glas in den Restmüll, Plastikdeckel in den Plastikmüll.“ Ja, soviel zu meinem Umweltbewusstsein, aber das nur am Rande, denn ich hatte nun vor mir eine furchtbar entsetzte Runde sitzen, die es irgendwie wieder zu beruhigen galt.
Agi, Fee, Judith, Barbara. Sie alle starrten mich an, als hätte ich ihnen erklärt, die Welt sei untergegangen und nicht nur das, alle Läden um uns herum hätten mindestens die nächsten drei Tage geschlossen und der Winterschlussverkauf sei sowieso abgeschafft worden. Meine Verlegenheit wandelte sich nun in Mitleid um und ich hatte plötzlich das Gefühl, ihnen vielleicht doch erklären zu müssen, was und warum da so etwas Unbegreifliches geschehen war.
Dass ich letzte Woche endlich meine heißersehnte Reise gemacht hatte, wussten sie ja. Aber was dort vorgefallen war und wie es seitdem in meinem Inneren aussah, hatte ich ihnen nicht erzählt.
Nun packte ich aus: Es war entsetzlich gewesen. Essen, Essen, Essen überall und immer, egal ob Morgens, Halbmittags, Mittags, Nachmittags oder Abends. Eine Woche lang. Ich konnte am Ende nicht mehr, weil ich mich einfach nicht hatte zurückhalten können und so war ich eines Nachts mit furchtbar schlechtem Gewissen wieder nach Hause gekommen mit Plänen im Kopf für einen kommenden gaaaanz enthaltsamen Lebensstil.
Aber anstatt nun sofort ins Bett zu fallen und mich auf die kommende schwere Zeit vorzubereiten, stolperte ich schnurstracks in die Küche. Praktisch durch magische Anziehung. Intuition eines ohnehin schon wandelnden Kühlschrankes.
Nur so, um mal zu schauen, ob sich etwas während meiner Abwesenheit verändert hatte.
Ich glaubte natürlich nicht daran, aber als ich die Türschwelle überschritten hatte, da sah ich sie. Groß, formvollendet, braun wie alle Italienerinnen. Mit einem Traumgewicht von 750 Gramm und fast voll!
Ja, woher wusste ich das? Genau, ich hatte meine Hände nicht mehr unter Kontrolle, fingerte an ihr herum. Aber so ging das nicht. Pfui, das war ja unanständig, so mit den Fingern in ihr. Ich brauchte einen Löffel! Und dann war es um uns geschehen. Wir in der Küche, die ganze Nacht vor uns. Ich war wie im Rausch.
Es dauerte lange und als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, wieder von ihr abließ, war es da: das schlechte Gewissen. Mit diesem und meinem Schokobauch kugelte ich mich nun in mein Bett. Jetzt ärgerte ich mich. Das gab es doch gar nicht. Wie konnte ich nur?
„Das machst du jetzt nicht mehr, Marie! Lass die Anderen das Glas leeren und dick werden.“ Lange lag ich wach und organisierte: morgen Äpfel und Paprika. Übermorgen dann Karotten und am Montag vielleicht auch schon wieder Knäckebrot. Denkste. Am nächsten Tag ging es ebenso weiter, wie es aufgehört hatte: Nutella- Löffel-Rausch
So ging das nicht weiter!
Nicht nur ich, alle WG-Grazien klagten über ihre Figur und zu viel Nahrung in der Bude, dass sie nichts dagegen machen könnten und immer am Essen seien. Also schmiedete ich einen Plan …
Am nächsten Morgen musste ich früh aus dem Haus. Alle schliefen noch.
Bevor ich jedoch die Wohnung verließ, ging ich noch einmal zum Tatort zurück.Ich visierte, packte und nahm sie mit nach unten, wo ich sie, nachdem ich ihren Plastikdeckel abgeschraubt hatte, in den Restmüll warf. Der Deckel landete sodann in der gelben Tonne. Wir waren fünf Personen zu Hause. Jeder hätte es gewesen sein können, hätte ich es geschafft zu leugnen.
Am nächsten Tag habe ich dann ein neues 750-Gramm-Glas gekauft. Für teure 4,95 Euro. Aber ein letztes Mal noch verteidigte ich meine Aktion. Mein Edding half mir dabei: „dick!“, „Bikini?“, „Nana“, „Schwanger“.
So ein Riesenglas hatte doch eine große Schreibfläche zu bieten und meine kleinen Drohungen wirkten: Jedenfalls wurde das originalverschlossene Glas lange Zeit nicht angerührt, bis, ja bis ich nicht mehr konnte und es anbrach.

Geschrieben von Uta-Caecilia Nabert