Die Einführung von Studiengebühren beginnt dieses Jahr – anderswo
Die Einschläge kommen näher. Zum Oktober dieses Jahres wollen vier Bundesländer – Baden-Württemberg, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen – allgemeine Studiengebühren einführen. Ab Oktober sollen Studenten in diesen Ländern bis zu 500 Euro Gebühren pro Semester dafür hinlegen, studieren zu dürfen. Nicht nur die Langzeitstudenten. Nicht nur diejenigen, die von außerhalb zum Studieren ins Land kommen. Und erst recht nicht nur diejenigen, die schon ein Zweitstudium anfangen oder angefangen haben. Nein, jeder einzelne, jede einzelne, alle.
Die Zeiten, in denen das gebührenfreie Studium als zivilisatorische Errungenschaft betrachtet wurde, scheinen vorbei. So werden heute immer wieder die gleichen Argumente von den gleichen Leuten für die Studiengebühr ins Feld geführt, allen voran die selbsternannten Vernunftspolitiker in CDU und SPD. Ja, auch in der SPD.
Es heißt, man komme um Sparzwänge nicht herum, man müsse die jungen Leute außerdem auf Leistungsfähigkeit trimmen. Auch sei es ja wohl sehr einfach, Studiengebühren sozialverträglich zu gestalten. Der Gefahr, die Anzahl der Studierenden aus sozial schwächeren Familien könnte noch weiter zurück gehen, könne man ganz einfach durch Modelle von Studienkonten, Studienkrediten und mehr Stipendien begegnen. Die Unerheblichkeit der Kosten, die einer Universität durch länger Studierende entstehen, ignoriert man, weil es sich bei der Wählerschaft am Stammtisch gut macht, wenn man sich über faule Studenten aufregt.
Ein grundlegendes Problem wird dabei ignoriert oder ausgeblendet. Abgesehen davon, dass die Verfassungsmäßigkeit von Studiengebühren in Deutschland auf keinen Fall sicher ist, sind seit 1976 auch menschenrechtliche Verträge in Kraft. Mit anderen europäischen Staaten verpflichtete sich Deutschland im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den Hochschulunterricht „auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich“ zu machen. Dies begründet sich auf der Anerkennung des Rechtes eines jeden auf Bildung. Dem Studenten bleibt nur zu hoffen, dass sich Politiker mit ihren Forderungen nach Studiengebühren spätestens wegen dieses Vertrages in die Nesseln setzen.
Hoffnung darauf besteht noch. So stellte das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung einer Entscheidung zu Rückmeldegebühren fest: Der völkerrechtliche Charakter dieses Vertrages schließe nicht aus, dass einzelne aus diesem unmittelbar Rechte ableiten könnten. Damit wäre zumindest neben der Frage der Verfassungsmäßigkeit ein weiterer Angriffspunkt für die wenigen verbleibenden Gebührengegner vorhanden, die noch nicht in den Chorus über Sparzwang, so genannte Vernunft und Schluderstudenten eingefallen sind.
Was interessiert das jetzt die Studenten in Mecklenburg-Vorpommern? Schließ-lich spricht sich die Landespolitik hier seit Jahren immer noch gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren aus. Es ist einfach nicht damit zu rechnen, dass die Landesregierung, die dieses Jahr neu gewählt wird, sehr lange auf ihrem Standpunkt bestehen bleiben wird. Trotz der Notwendigkeit für das Land, mehr Studenten anzuziehen, gibt es jetzt schon genügend Menschen, die darin kein Konfliktpotential sehen.
So arbeitete zum Beispiel der Greifswalder Professor Wolfgang Joecks, nebenbei Senatsvorsitzender, mit einer Arbeitsgruppe ein Modell zur „nachhaltigen Finanzierung unserer Universität“ aus (siehe moritz 49). Darin sprach er sich ungeachtet möglicher Abschreckungseffekte für eine nachträgliche Finanzierung der Universität durch ehemalige Studenten der Greifswalder Alma Mater mit einem bestimmten Mindesteinkommen aus. Weiterhin forderte er die Erhöhung des Semesterbeitrages um rund 90 Euro – mit der einfachen Begründung, weitere Ausgaben von 50 Cent pro Tag könne jeder Student aufbringen.
Was ihm diese Einsicht in eines jeden Studenten Geldbeutel verschaffte, ließ er ebenso offen wie den Grund für seine Sicherheit, mit der er über mögliche Probleme für die Studierendenzahlen in M-V hinwegsehen konnte. Ebenso wurde nicht klar, warum er einerseits die Landesregierung kritisierte, nie Beweis darüber geführt zu haben, dass kein Geld für die Hochschulen da sei. Andererseits legte er nicht dar, warum sich bei einer nachträglichen Finanzierung durch fertige Studenten das Land nicht noch weiter aus der Hochschulfinanzierung zurückziehen sollte. Doch auch ohne diesen Beitrag von Joecks ist zu erwarten, dass in der Landespolitik die normalen Abschleifprozesse der Tagespolitik dazu beitragen werden, Meinungen zu relativieren und Positionen zu schwächen. Das Diktat der vermeintlichen Vernunft, hinter dem ein alles ökonomisierendes Weltbild steht, wird es sich nicht nehmen lassen, die verbleibenden Widerstände aufzureiben. Wer das kostenfreie Studium als etwas Positives ansieht, das es um jeden Preis zu erhalten gilt, gerät schnell ins Kreuzfeuer. Diejenigen, die sich nicht mehr entsinnen, dass derartige Errungenschaften erkämpft werden mussten und so schnell nicht wiederhergestellt werden, müssen sich mit dem Vorwurf auseinander setzen, primär an sich zu denken und nicht auch an jene, die sozial schwächer gestellt sind.Auf die Kurzsichtigkeit der Menschen kann man sich wohl verlassen. Meck-lenburg-Vorpommern wird so zu einem Schützengraben gegen Studiengebühren werden, der früher oder später von hinten ausgebombt wird. Die Klagenden können dann die Reste eines Systems zusammenkratzen.
Geschrieben von Stephan Kosa