Greifswalder Studientag führt an ungewöhnliche Perspektiven
auf Recht und die Rechtswissenschaft heran

Dass Justitia, die Schutzpatronin der Juristerei, blind für alle Unterschiede jener ist, die vor ihrem Richterstuhl Gerechtigkeit suchen, ist ein ebenso altes wie schönes Ideal. Ob reich, ob arm, ob schwarz, ob weiß, ob Frau oder Mann, jung oder alt – vor ihr sind alle gleich, und alle erhalten Gerechtigkeit durch ihren Richterspruch.

Diesem weltenthobenen Idealbild entsprachen Gesetze und Rechtssprechung wohl zu keiner Zeit. Ob und inwieweit dies jeweils von Ständerecht, Klassengesellschaft, Rassismus oder Chauvinismus zeugte, war eine Frage des in der fraglichen Gesellschaft dominanten Diskurses. Inzwischen dürfte man wohl fraglos behaupten, dass Recht stets nur eine Annäherung an jenes hohe Ideal der Unparteilichkeit sein kann – und das gilt auch für die liberalen Demokratien.
Den Fragen, was Rechtsnormen an gesellschaftlichen Zusammenhängen und ideologischen Konzepten zu Grunde liegt, und welche Realität die Implementierung von Rechtsnormen ihrerseits in der Gesellschaft erschafft, will ein zweitägiger Studientag nachgehen, der am 2. und 3. Dezember in Greifswald stattfinden wird. Er richtet sich besonders an Studierende – nicht nur der Rechtswissenschaft – die den ihnen sonst gut sortiert und verdaulich zubereiteten Lehrstoff mal aus ungewohnter Perspektive sehen wollen.
„Die Rechtswissenschaft ist eine Herrschaftswissenschaft“, sagt Ulrike Lembke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Greifswalder Fakultät und Mitorganisatorin, und klagt über die mangelnde Thematisierung dieses Zusammenhanges im Jurastudium. Eine Thematisierung, die ihrer Meinung nach besonders gut von feministischer Rechtswissenschaft geleistet werden kann. „Feministische Rechtswissenschaft – oder Legal Gender Studies – ist die kritische Reflexion dessen, was Studierende als die ‚Herrschende Meinung‘ kennen lernen“, sagt Lembke und verweist darauf, dass innerhalb der Rechtswissenschaft sich höchstens noch die kritische Kriminologie diesen Fragen widmet. „Damit ist sie hauptsächlich Rechtskritik und Rechtswissenschaftskritik, und zwar aus feministischer Sicht.“
Eine Befragung des rechtswissenschaftlichen Diskurses unter Zugrundelegung von Analysekategorien wie Rasse, Geschlecht oder sozialem Status ist der Kern feministischer Rechtswissenschaft, womit sie ihrem Anspruch nach vor allem Ideologiekritik ist. Ihre Wurzeln finden sich in den Antidiskriminierungsdiskursen der letzten Jahrzehnte. In deutschen Landen fasst sie allerdings nur langsam Fuß. Ein einziger Lehrstuhl bundesweit erwähnt diesen Schwerpunkt in seiner Widmung, und auch wenn andere Lehrende derartige Sichtweisen in ihre Lehre einfließen lassen, ist der Nachholbedarf gegenüber etwa Österreich enorm. So existiert hierzulande kein einziges Buch zum Thema, das eine studierendenorientierte Einführung anhand deutscher Probleme leistet.
Diesem Problem abzuhelfen verabredete sich eine Gruppe von Juristinnen auf dem diesjährigen Feministischen Juristinnentag, der in Greifswald stattfand. Ihre Beiträge zum geplanten Studienbuch, die in verschiedene Aspekte des Themas einführen sollen, werden im Verlauf des Studientages vorgestellt werden. „Wir erhoffen eine Art Praxistest für das spätere Buch“, erklärt Mitorganisatorin Lena Foljanty. Aus diesem Grund habe man viel Raum für Diskussionen und Gedankenaustausch eingeplant.
„Die Gender Studies gehören in den Lehrkanon der Rechtswissenschaft“, bekräftigt sie das weitgesteckte Ziel von Studientag und Studienbuch. Mit der zweitägigen Lehrveranstaltung und dem wohl im Herbst nächsten Jahres zu erwartenden Studienbuch könnten wichtige Zeichen in dieser Richtung gesetzt werden.

Geschrieben von Mirko Gründer