moritz sprach mit zwei Geisteswissenschaftlern über Kürzungswahn, gescheiterte Studiengänge und eine Universität am Abgrund

Über die Professoren Hartmut Lutz und Jürgen Klein vom Institut für Anglistik/Amerikanistik brechen die Kürzungswellen inzwischen im Halbjahresrythmus herein. Inzwischen vermittele ihr Institut den Eindruck eines Steinbruchs, aus dem man sich bedienen könne, schildert Hartmut Lutz, obwohl weder fachliche Gründe noch die zurzeit etwa 900 Studierenden am Institut dafür sprächen. Doch weder Spitzenrankings noch Studierendenzahlen finden bei den Verantwortlichen Gehör.

Die Philosophische Fakultät steht nach Lutz‘ Einschätzung bald vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik. Seit Einführung des Bachelors und des Masters gebe es riesige Probleme, weil die erhoffte Globalisierung im Bildungsbereich ausgeblieben sei. „Wir ahmen das englische System nach“, pflichtet ihm sein Kollege Jürgen Klein bei, „allerdings schlecht und undifferenziert.“ Lutz führt aus, dass es eine international anerkannte Stärke der alten Abschlüsse gewesen sei, dass die Leute aus einer Universität kamen, an der unabhängig von wirtschaftlichen Zweckabsichten über Probleme des menschlichen Miteinanders, der Kultur nachgedacht werden konnte. „Heute“, so Lutz, „hat sich die Sprache der Wirtschaft an unserer Universität festgesetzt. Es gibt eine Linie vom Ministerium über das Rektorat und den Dekan bis zu uns, die dieses Denken forciert.“
„Handelt es sich bei den Streichungen denn wirklich um politische Erfordernisse?“ fragt Jürgen Klein. „Nein“, beantwortet er die Frage gleich selbst, „es werden Interessen als Naturgesetze verkauft.“ Am Geld mangelt es in Greifswald anscheinend nicht mehr so stark, nur dessen Verteilung ist umstritten. „Daran wie es verteilt werden soll, sieht man, was diese Leute für eine Idee von der Universität haben“, führt Klein aus, „ich glaube, sie haben gar keine, weil sie nicht wissen, was das für ein geistiger Zusammenhang ist und wie dieser in die Gesellschaft hineinwirkt.“ Etwas werde in den aktuellen Debatten unterschlagen, nämlich dass der Prozess Langzeitwirkungen auf die Region habe und der Tod der Philosophischen Fakultät einhergehe mit dem Tod der Region. „Wir müssen hier in Greifswald eine komplexe Durchdringung und Bearbeitung der europäischen Wissenschaft und Kultur leisten“, fordert Klein, „ansonsten schneiden wir uns von der allgemeinen Entwicklung ab und werden eine Provinzuniversität.“
Sein Kollege Hartmut Lutz sieht ein grundsätzliches Problem in der zunehmenden Entfremdung der Geisteswissenschaften von den Naturwissenschaften. „Sie sprechen zwei verschiedene Sprachen“, erläutert Lutz. Das mühsame Suchen von Daten sei zwar eine wissenschaftliche Leistung, der auch die Geisteswissenschaftler bedürften, dies allein helfe aber bei interkulturellen Zusammenhängen und Wirkungsabsichten, die hinter den Daten stünden, nicht weiter.
Lutz fragt sich inzwischen, was überhaupt mit der Universität geschehen solle, wenn sie keinen geisteswissenschaftlichen Nachwuchs mehr habe. „Das, was in Zukunft in Greifswald gemacht werden soll, kann auch an einer Fachhochschule stattfinden, dazu braucht es keine Universität des wissenschaftlichen Dialogs und der eigenständigen Forschung.“ Jürgen Klein ergänzt, dass bei den Zukunftsplänen keinerlei Rücksicht auf die wissenschaftliche Konstitution eines Faches genommen werde: „Je nachdem wie die konjunkturellen Winde wehen, sollen die Wissenschaften zurecht gestutzt werden. Wenn das gemacht wird, dann ist die deutsche Wissenschaftstradition am Ende!“

Geschrieben von Ulrich Kötter