Es galt als allwissend, war gewissermaßen allmächtig und von allen gefürchtet: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) in der ehemaligen Deutschen Demokratische Republik (DDR). Darüber hinaus war die Stasi eine der bürokratischsten Behörden aller Zeiten und füllte ganze Keller mit Akten. Dennoch wagten es immer wieder einzelne Bürger, sich zu widersetzen, sich aufzulehnen oder gar offen zu rebellieren. So auch in Greifswald und in ganz Vorpommern, wie ein Vortrag im Pommerschen Landesmuseum am vergangenen Donnerstag (1. November) zeigte.

Unter dem Titel „Ein System geht baden: Widerstand und Opposition an der Ostseeküste. Greifswald und Vorpommern zu DDR-Zeiten“ zeigte Dr. Christian Halbrock Beispiele aus 40 Jahren Widerstandsgeschichte. Dr. Halbrock ist Mitarbeiter des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, umgangssprachlich auch „Gauck-Behörde“, und forscht unter anderem zur DDR-Kirchengeschichte, zur Geschichte der unabhängigen Friedens- und Umweltgruppen und zur DDR-Spionage in Schweden. Dementsprechend konnten die gut 40 Zuhörer fundiertes Fachwissen erwarten, und sie wurden auch nicht enttäuscht.

Von Anklam bis Stralsund, von Beharren bis Sabotage

Zu jedem der über 30 von der Stasi fotographisch dokumentierten Beispiele entlang der ganzen vorpommerschen Ostseeküste erfuhren die zumeist älteren Zuhörer eine Geschichte. Waren es nun pazifistische Losungen an Mauern und Häusern, Schmähbriefe an lokale Parteifunktionäre oder die unaufgeklärten Fälle von Sabotage an Güterwaggons in Stralsund, zu allem konnte Dr. Halbrock aus dem Stegreif etwas erzählen. Auch das Karteikartensystem der Stasi, welches das Auffinden ähnlicher Widerstandsfälle in den Aktenbergen in einer Zeit vor Großrechnern und digitaler Datensammelwut ermöglichte, wurde kurz, aber einleuchtend erklärt.

Über die vielen Einzelfälle ging dennoch nicht der Blick auf das ganze System verloren. So erfuhren die Zuhörer, dass vor allem aus dem kirchlichen und studentischen Umfeld Widerstand gegen das System der DDR kam, dass fast 40 Prozent der Widerstandstaten nie aufgeklärt wurden und dass die Stasi von „Beharren“ bis „offenes Auflehnen“ an die 60 abgestufte Begriffe für Nonkonformität und Widerstand benutzte.

Auch Greifswald hatte eine eigene „Widerstandsgruppe“. Dabei handelte es sich um einen kleinen Kreis evangelischer und alternativer junger Erwachsener um den Fotographen Robert Conrad, die vor allem durch unangepasstes Reiseverhalten (Trampen), Dokumentation des Verfalls und Abrisses der Greifswalder Innenstadt („Es entsteht der Eindruck, Greifswald sei heruntergekommen.“) und groben jugendlichen Unfug (Verbrennen einer DDR-Flagge während einer Dachbodenfeier) ins Visier der Stasi rückten. Auf Letzteres wurde die Stasi durch Insiderinformationen aufmerksam. Dass bei einer solchen Dachbodenfeier mit vermutlich 20 Teilnehmern ein Informant anwesend war, zeigt klar auf, wieso die Stasi so gefürchtet war und als allwissend galt. Auf 1.180 Bürger kam ein hauptamtlicher Stasimitarbeiter, die Quote der informellen und unregelmäßigen Informanten muss weit höher gelegen haben.

Unzureichende Aufarbeitung der NSDAP-Herrschaft

Einen schalen Nachgeschmack hinterlässt die Tatsache, dass knapp 60 Prozent der Anti-DDR-Parolen auf Wänden und Häusern nationalsozialistische Symbole und Gedanken zum Thema hatten. Gerade das Hakenkreuz war eine weit verbreitete und schwer zurück zu verfolgende Möglichkeit, „die Genossen auf die Palme zu bringen“. Auch Vergleiche der SED mit der NSDAP waren häufig. Einen tatsächlichen nationalsozialistischen Hintergrund bescheinigte Dr. Halbrock nur wenigen dieser Parolen, meist sei es nur um die Provokation gegangen.

Am Ende dieser Zeitreise stand das Wissen, dass die Stasi doch nicht jeden gekriegt hat – und die Erleichterung, dass man heutzutage nicht mehr zu diesen Formen der Meinungsäußerung gezwungen ist, sondern frei reden kann.

Der Vortrag von Dr. Halbrock ist Teil der Reihe „Bausteine zur Landesgeschichte“. Am 13. November  ab 19 Uhr geht es dann um „Erich von Pommern. Ein pommerscher Fürst als Unionskönig Skandinaviens“, der Eintritt kostet wie immer 2,50 Euro.

Titelbild: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte (ohne CC-Lizenz)