Wegen des großen Andrangs lief der Streifen  „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ im Cinestar Greifswald gleich zweimal. Da die Vorstellung um 18 Uhr bereits zehn Minuten vor Beginn restlos ausverkauft war und sich die Leute weiterhin in das Foyer drängten, wurde kurzerhand eine zweite Filmvorführung auf 19:30 Uhr angesetzt. Zur großen Freude von Regisseur Peter Ohlendorf, der eigens mit angereist war, „um den Leuten die Möglichkeit zu geben, über das, was da passiert, zu reden“. Und es war eine Menge, das da passierte auf der Kinoleinwand über rechtsextreme Rockkonzerte.

Gröhlende Skinheads in voller Montur feiern zu den Liedern rechtsextremer Gruppen, deren Texte vor Fremdenhass und Volksverhetzung nur so strotzen. Sie huldigen den größten Verbrechern der Menschheitsgeschichte und erheben ihre Hände immer und immer wieder zum Hitlergruß. „Hast du mal eine Kotztüte?“, fragte eine 23jährige Studentin ihren Sitznachbarn.

„Blut muss fließen knüppelhageldick“

Was der Journalist Thomas Kuban (Pseudonym) hier mit versteckter Kamera gefilmt hat, ist kein Einzelfall. Jedes Wochenende kommt es in Deutschland, Ungarn, Österreich und der Schweiz, in England, Frankreich oder Italien zu solchen ungeheuerlichen Veranstaltungen. Und immer wieder hört man diese eine Liedzeile: „Blut muss fließen knüppelhageldick, wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik“. Ein „Evergreen“ unter den neonazistischen Liedern, wie es Peter Ohlendorf bei einem Interview in der ZDF-Sendung aspekte im Februar 2012 beschreibt. Wie kann das sein? Wie können derartige Konzerte überhaupt stattfinden, wo doch auf der Hand liegt, dass hier eindeutig gegen die Verfassung verstoßen wird?

Verdrängt von den Behörden, verbreitet durch Musik

Erschreckend sind auch die Reaktionen in der Bevölkerung, die unweigerlich Bestandteil von Thomas Kubans Recherchearbeit wurden und im Film mit dokumentiert sind. Da trifft man auf österreichische Polizisten, die sich mit den Neonazis per Handschlag begrüßen und das Konzert rechtzeitig vor Beginn verlassen. Man hört eine Diskothekbetreiberin, die sich bei den „Konzertbesuchern“ entschuldigt, weil die Polizei vor der Tür steht und die Musik nicht länger duldet. Der ehemalige bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) weist auf einer Pressekonferenz trotz eindeutiger Aufzeichnungen von Straftaten auf Konzerten in Bayern jegliche Verantwortung von sich. Wie auch der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) schiebt er die „Bedrohung durch islamistische Terrorismus“ als gewichtigeres Problem vor. Es scheint, als wolle niemand wahrhaben, welcher braune Sumpf sich in Deutschland breit macht.

Im Gespräch mit Peter Ohlendorf

Im Gespräch mit Peter Ohlendorf

Aber der Film zeigt auch ein paar Unverdrossene, die aufgestanden sind und Nein zur Verbreitung brauner Ideologie gesagt haben. Ein Aktionsbündnis gegen Rechts aus Nordhessen wird exemplarisch vorgestellt, ebenso wie couragierte Szene-Forscher und Beamte. Die Betreiber eines Jugendzentrums klagen jedoch, dass die Rechtsrock-Konzerte in der Region ihrem Veranstaltungsangebot allmählich den Rang ablaufen. „Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen“, erklärte Ian Stuart Donaldsons, britischer Rechtsrock-Pionier, bereits 1993 in einem Fernsehinterview. Und wenn man sich die Aufnahmen von Thomas Kuban so ansieht, scheint der Plan, junge Menschen mit brauner Musik zu radikalisieren, gut zu funktionieren.

Der Film „Blut muss fließen“ macht deutlich, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Er zeigt auch, dass es möglich ist, etwas gegen die Gefahr von Rechtsextremismus zu unternehmen. Dennoch, ohne pathetisch zu wirken, wird hier ein sehr erschütterndes Bild gemalt, das einer Gesellschaft, die Rechtsnationalität banalisiert und bewusst übersieht. Oder, wie Peter Ohlendorf es in der anschließenden Diskussionsrunde ausdrückte, „es scheint als wären viele auf dem rechten Auge blind.“

„Darüber muss man reden“

Nach knapp anderthalb Stunden Rechtsrock aus der Knopflochperspektive (Kuban drehte mit einer kleinen Kamera, die aus einem Knopfloch oben an seinem Hemd filmte) gab es einiges zu verdauen. Und auch als im Kinosaal schon längst wieder die Lichter eingeschaltet waren, blieben viele Besucher erst einmal auf ihren Plätzen sitzen. Umso bedauerlicher, dass sich schließlich nur etwa 20 Leute zu der angekündigten Gesprächsrunde mit dem Drehbuchautor zusammenfanden. Denn Diskussionsbedarf war definitiv vorhanden, sei es, was die Rolle der Polizei auf den Konzerten anging, oder warum so viele Rundfunkanstalten die Ausstrahlung dieser brisanten Dokumentation abgelehnt hatten. Weiterhin wurden viele Fragen an Ohlendorf gestellt, die die Undercover-Arbeit Kubans betrafen. Und sogar persönliche Erfahrungen, die Personen aus der Runde mit rechtsradikal Gesinnten gemacht hatten, wurden geteilt und diskutiert. Einig waren sich die Anwesenden hinsichtlich der Bedeutsamkeit des Projekts: Es gab zahlreiche Nachfragen, wann und wo die nächsten Veranstaltungen stattfinden, und Mehrere zeigten sich sogar interessiert, selbst eine Filmvorführung zu organisieren.

Die Diskussionsrunde nach der Filmvorführung

Thomas Kuban und Peter Ohlendorf haben sich mit dem Film „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ das Ziel gesetzt, einen Impuls zu geben: „Guckt hin! Lasst es nicht so einfach passieren! Unterschätzt nicht, was da läuft!“, so drückt es Peter Ohlendorf in dem bereits oben angeführten Interview aus. Ich glaube, man kann guten Gewissens behaupten, dass diese Botschaft in Greifswald angekommen ist.

Fotos: Laura Hassinger
Flyer: Veranstalter (ohne CC-Lizenz)