Im Rahmen unserer Serie “Greifswalder rund um den Globus” erscheinen in loser Abfolge Berichte von Kommilitonen über Erfahrungen im Ausland. Dieses Mal berichtet die Greifswalder Studentin Jenny Dittberner über die bisherigen Eindrücke ihres Auslandssemesters im polnischen Zielona Góra.
Doch nicht nur die „Äußerlichkeiten“ der hiesigen Uni sind mir recht ungewohnt, auch das „Innenleben“, der Universitätsbetrieb, weicht in manchen kleineren oder größeren Dingen von meinen Greifswalder Gewohnheiten ab. So beginnen z. B. fast alle Seminare mit einer Anwesenheitsliste, die der Dozent Name für Name durchgeht. Fehlstunden werden eingetragen, und wer zu oft fehlt, der hat den Kurs nicht bestanden oder er muss zumindest in die Sprechstunde kommen. Es scheint jedoch ein Heilmittel gegen die Anwesenheitsliste zu geben: ärztliche Krankenbescheinigungen.
Diese kleinen Zettelchen landen ausgesprochen zahlreich auf den Tischen der Dozenten, und es wäre schon regelrecht erstaunlich, wie oft es vorkommen soll, dass ein Student für nur einen Tag, oder gar für nur eine Unterrichtsstunde, ernstlich krank war… Ein hiesiger Kommilitone erzählte mir mal: „Ich war schon dreimal nicht bei … Aber ich kenne hier einen Arzt, zu dem kann ich gehen, der gibt mir dann so einen Zettel. Aber siehst du? So entsteht eine Lüge.“ Ich bin mir sicher, dass auch die Dozenten um den wahren „Wert“ dieser Krankenzettel wissen. Warum sie trotzdem dieses seltsame „Spiel“ mitspielen, bleibt mir jedoch absolut schleierhaft.
Ein Umstand, der die „Schwänz-Rate“ ,und somit auch die Anzahl erschummelter Krankenscheine, sicher noch erhöht, dürfte darin liegen, dass hier, zumindest in manchen Fächern, bereits während des Semesters Noten vergeben werden: für Vorträge, für schriftliche Prüfungen (kolokwium) oder aber auch „hinterrücks“, ohne dass der Student überhaupt weiß, dass er heute z. B. für seine Mitarbeit bewertet wurde. Das erinnert natürlich stark an Schulzeiten, und ich weiß nicht, ob ich diese Regelung nützlich finden soll, da sie die Studenten zu kontinuierlichem Lernen anhält, oder ob sie nicht eher eine Bevormundung darstellt, die den Studenten entmündigt und die ihm permanent unterstellt, dass er eigentlich faul sei und sich ohne Druck von Außen ja sowieso keine Mühe geben werde.
Straffere Organisation als bei den hiesigen Bachelor-Studiengängen
„Die Universität hier ist schulmäßiger.“, meint auch Dr. Reinhard Rösler, außerordentlicher Professor an der Germanistik in Zielona Góra. „Die Lehrveranstaltungen sind vorgegeben und werden nicht selbst zusammengesucht. Stattdessen haben die Studenten einen straffen Plan, der abgearbeitet wird.“ Das mag Greifswalder Ohren sehr vertraut klingen, doch ist das polnische Modell noch ein paar Maschen enger: Während sich ein Greifswalder Bachelor wenigstens noch aussuchen darf, ob er sein Studium Generale mit BWL oder lieber mit dem Graecum verbringt, sind in Zielona Góra sogar die fachfremden Elemente fest vorgeschrieben. So müssen z. B. Polonisten bestimmte Vorlesungen der Geschichte besuchen, alle Philologen müssen ein Semester lang Latein belegen und jeder Student, egal welcher Studienrichtung, muss im ersten Studienjahr einmal wöchentlich zum „Sportunterricht“ (was mir als ERASMUS-Studentin zum Glück erspart blieb…).
Eine Wahlmöglichkeit haben die hiesigen Studenten jedoch, das ist die sogenannte „Spezialisierung“ innerhalb ihres Studienfachs. So muss sich z. B. jeder Polonist zwischen zwei „Spezialisierungen“ entscheiden: Lehramt oder Textredaktion. In der Textredaktion werden dann Kurse besucht, in denen man Texte am Computer formatiert und korrigiert oder in denen man fremdwortgespickte Diktate schreibt, um die Regeln der polnischen Orthographie und Interpunktion zu verinnerlichen. Durch die Spezialisierung wird das Studium sehr praxisorientiert, und es wird gewährleistet, dass auch die Leute, die nicht auf Lehramt studieren, am Ende einige handfeste Fähigkeiten besitzen, mit denen sie auf dem Arbeitsmarkt punkten können.
Moderne Ausstattung der Seminarräume
Ähnlich sieht es auch in der Germanistik aus, wo man zwischen den „Lehramt“ oder „Übersetzer“ wählen kann. Ich besuche die hiesigen Übersetzungskurse und bin offen gesagt ziemlich beeindruckt, was für gute Bedingungen an so einer doch recht kleinen Uni geboten werden: So steht z. B. in einem der Unterrichtsräume eine schalldichte Dolmetscherkabine. In diese setzt sich der jeweilige Student, der gerade an der Reihe ist, zu übersetzen. Er bekommt einen Text vorgelesen und spricht seine Verdolmetschung in ein Mikrophon. Die anderen Studenten „draußen“, außerhalb der Kabine setzen Kopfhörer auf und können so die Worte des „Dolmetschers“ verfolgen – wie auf einer echten Konferenz oder wie im EU-Parlament.
Zusätzliche Würze bekommt der Kurs noch durch den Dozenten, der selber Dolmetscher ist und immer wieder Anekdoten aus seinem Berufsleben einzustreuen versteht. Also: Ein rundum schöner, praxisorientierter Kurs. Und eine solche Tendenz zur „Realitätsnähe“ scheint mir durchaus ein generelles Merkmal der hiesigen Uni zu sein. Denn während z. B. ein Greifswalder Germanist schon im Bachelor mit „Gender Studies“ oder „Postmoderner Literatur“ traktiert wird, finden sich hier, in Zielona Góra, solche akademischen Modethemen erst im magister (auf „deutsch“: Master)– wenn überhaupt.
Fotos: Jenny Dittberner