Lange Zeit stand das Greifswalder Verbindungswesen öffentlich nicht mehr zur Debatte. Das wird sich spätestens ab Dienstag ändern. Zur kommenden StuPa-Sitzung haben Vertreter der Juso-Hochschulgruppe einen Antrag eingereicht, in dem ein Aussteiger-Telefon für Verbindungsstudenten gefordert wird. Inzwischen stehen auch freie Mitglieder des Studierendenparlaments, Grüne und SDS-ler als Antragsteller auf dem Papier. Begründet wird der Antrag zu einem faktischen Aussteiger-Programm mit den in Verbindungen vermittelten patriarchalischen Gesellschaftsbild, das nicht zuletzt neben Alkoholismus und Ritualen der Unterordnung Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen können.
Elitäre Anforderungen und überholte Frauenbilder
Darüber hinaus werden „elitäre Anforderungen und überholte Frauenbilder“ am Verbindungswesen kritisiert. Ferner wird in der Antragsbegründung davon ausgegangen, dass das Gemeinschaftsgefühl in studentischen Verbindungen „zwanghaft“ sei. Daher sei es Pflicht der verfassten Studierendenschaft, Angebote zu schaffen, die es potentiellen Aussteigern ermögliche, sich vom Verbindungswesen zu lösen. Das Aussteiger-Programm soll in Zusammenarbeit mit der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks realisiert werden. Den Anfang soll eine Beratungsstunde pro Woche machen, die dann gegebenenfalls ausgebaut werden soll. Ferner schreibt der Stupist und Antragsteller Eric Makswitat auf seinem Blog „Jusos im StuPa“:
„Es kann mit einer Telefonstunde einmal pro Woche begonnen werden. Es sollen Weiterleitungen für rechtliche und soziale Beratungen zu Ausstiegs- und Bedrohungsproblematiken, sowie bei der Bewältigung einer Alkohlabhängigkeit und Krisenintervention, erfolgen. Das Beratungstelefon kann dabei Bindeglied zwischen professionalisierter Hilfe und studentischem Alltagsleben sein.Wir wollen kein durchtherapiertes Telefongespräch, sondern einen wichtigen Erstkontakt herstellen. Dabei kann Hilfe bei der Suche nach kostengünstigem Wohnraum oder Unterstützung bei der Reduktion von Stress, der durch Leistungsdruck und überhöhte Anforderungen entstanden ist, geleistet werden.“
Unterschiedliche Resonanz auf Verbindungstelefon
Insbesondere aktuelle Diskussionen um den Rechtsruck des Dachverbandes der Burschenschaften, der Deutschen Burschenschaft, lassen aus Sicht der Antragsteller „Angebote und Hilfestellungen für notwendig erscheinen“, schreibt Makswitat im Folgenden Weiter. Die Frankfurter Rundschau berichtete am 16. Juni 2011, dass der Rechtsausschuss des Dachverbandes der Deutschen Burschenschaft die deutsche Abstammung als Aufnahmekriterium hinzufügen wollte und Menschen mit Migrationshintergrund auszuschließen strebte. Einen Tag später berichtete dieselbe Zeitung, dass sich „offenbar der liberale Flügel des Verbandes“ durchsetzen konnte und entsprechende Bestrebungen auf dem Eisenacher Burschentag abgewendet wurden.
Wie die Zeit unter der Überschrift „Falsch verbunden“ berichtet, gäbe es an der Universität in Göttingen bis zu vier Anrufe pro Woche, die das Beratungsangebot in Anspruch nähmen. Am häufigsten kämen demnach Anrufe von Betroffenen, die aus Familien mit langer Verbandstradition kommen und im Falle eines Austritts familiäre Konsequenzen zu befürchten hätten. In Leipzig existiert nach Angaben der Zeit eine ähnliche Hotline, die Nachfrage ist hierbei jedoch sehr gering. Inwiefern die Probleme beim Ausstieg aus Göttinger Verbindungen auch auf die Greifswalder Verbindungsszene zutreffend sind und folglich die Notwendigkeit eines Aussteiger-Telefons besteht, wurde nach webMoritz-Informationen noch nicht geprüft.
Fotos: wikipedia.de (Oscar Rex (Prag): „Landesvater der deutschen Studenten in Prag“, gemeinfrei), Christine Fratzke (Eric Makswitat)/ webMoritz-Archiv
Vielen Dank an die Juso-HSG, die den mündigen Studenten entmündigt!
Daß die vier Anrufe in Göttingen Scherzanrufe sind, weiß mittlerweile sogar der Spiegel. In Leipzig hat das Projekt gar nicht funktioniert.
Ganz im Ernst: Glaubt Makswitat tatsächlich, daß es in den Verbindungen wie in Sekten zugeht?
Nein, -Makswitat- glaubt das nicht. Und genau deswegen verlangt der Antrag auch nicht die eingestampften „Burschiflyer“, die sang- und klanglos in die Versenkung abgerutscht sind und auf keinem Mensatisch mehr ausliegen, wieder zu beleben. Der Antrag löst sich von Vorverurteilungen und möchte eine ganz konkrete Weiterleitungsoption – Von Studenten für Studenten – anbieten. Der Antrag ist geprägt von Erfahrungen und dem Austausch der Antragsteller mit u.a. ehemaligen Verbindungsstudenten.
zur Thematik: Göttingen.
Der AStA Göttingen hat im direkten Kontakt von 5-6 Anrufern in der Woche(!) gesprochen. Das einige Verbindungsstudierende diese Hilfe für „Scherzanrufe“ missbrauchen ist nicht nur dämlich, sondern schändlich. Ja, die Uni in Göttingen ist doppelt so groß, aber wenn wir nur halb so viele Anrufer in der Woche haben wie der AStA dort, dann ist das Projekt hier sinnvoll und lohnenswert.
Denn es wusste schon Willy Brandt:
" Es ist wichtiger, etwas im kleinen zu tun, als im großen darüber zu reden."
Na dann: Good night, and good luck!
Ich glaube ja, auch wenn ich den Antrag prinzipiell gutheiße, -Makswitat- hat nicht so richtig Ahnung. Sonst würdest du hier nicht von "Vorverurteilungen" durch die "sang- und klanglos in die Versenkung abgerutschten" Burschiflyer reden.
In dieser Mini-Broschüre des ASta ging es nämlich ausschließlich um die Verbindungen Markomannia und Rugia, die beiden nachweislich Kontakte ins rechtsextreme Spektrum pfleg(t)en. Das ist belegbar, durch personelle Überschneidungen mit rechtsextremen Organisationen im Falle der Rugia bzw. durch Einladungen rechtsoffener revanchistischer Referenten im Falle der Markomannia. Das Thema wurde ja oft genug behandelt, selbst die Universität hat die B! Markomannia nach Protesten von der Spendentafel im restaurierten Hauptgebäude gestrichen usw.
Ich will hier auch gar nicht das Burschi-Fass neu aufmachen, die Diskussionen wurden häufig genug geführt, nicht selten war der AStA-Flyer Anlass dazu. Von sang-und klanglos kann also keine Rede sein, eine Wiederbelebung wäre angesichts der Anwerbeversuche (Verbindungsjargon "keilen") gegenüber Neuzugängen an der Uni im Rahmen der Ersti-Woche vielleicht sogar sinnvoll.
@Marxal: von Entmündigung kann wohl kaum die Rede sein. Eher stellt sich die Frage, ob Studentenverbindungen mit ihren autoritären und hierarchischen Strukturen die Leute nicht viel mehr entmündigen und über das Einspannen in ein dichtes Netz interner Aktivitäten eine "entmündigte" Lebenswelt gestalten…
+1!
Eigentlich würde ich jetzt darauf hinweisen, dass z.B. der aktuelle Bildungsminister von MVP Deine Meinung zu unseren Referenten nicht teilt – was keine Wertung des Ministers sein soll, aber deutlich zeigt, dass Dein Beleg mehr als fragwürdig ist. Ebenfalls würde ich darauf eingehen, dass die Geschichte mit der Spentafel auf eine Apfelfront und S. Jabbusch zurückgeht, der dann allerdings im Rahmen der Diskussionen beim Webmoritz seine Fakten doch nur noch als Thesen bezeichnen mochte.
Aber freundlicherweise wolltest Du ja dieses Fass nicht aufmachen und insofern kann ich mir meine Kommentare verkneifen.
Gruß, Klaus
Dann kneif doch! Aber kneifen ist in der Burschenschaft ja nicht angesagt, deshalb ja auch so Männlichkeitsriten wie Mensurfechten und Vollrausch-Kneipen. Aber lassen wir das.
Mag sein, dass der Protest gegen die B! Markomannia als offizielle Geldgeber durch die Apfelfront (die Bestand ja nicht nur aus Herrn Jabbusch) initiiert wurde, trotzdem hat ja die Uni reagiert und den Namen von der Spendertafel gestrichen/durch den Namen einer Privatperson ersetzt.
Desweiteren könnte man darauf eingehen, das die durch dich hier vertretene B! Mitglied im Dachverband der Deutschen Burschenschaft sowie der Burschenschaftlichen Gemeinschaft ist. Ich denke, die mediale Präsenz in Hinblick auf die "Putsch"-Pläne von Rassisten innerhalb der DB aufgrund der Mitgliedschaft eines Menschen, dessen "Gesichts-Morphologie" den Vorvorgestrigen nicht passte, dürfte kaum jemandem entgangen sein.
Aber wir wollten das Fass ja freundlicherweise nicht wieder aufmachen…
Verkneifen ist m.E. grundsätzlich etwas anderes als Kneifen. Und dass wir nicht kneifen, das sieht man doch wohl am Besten daran, dass wir Markomannen uns hier bisher jeder Diskussion im Webmoritz gestellt haben und keinen Vorwurf unkommentiert gelassen haben.
Gruß, Klaus
… was ich durchaus registrier(t)e und als positiv erachte!
Kleine Wortspäßchen seien verziehen 😉
Gruß zurück
Wer nicht den Arsch in der Hose hat, selber einen eigenen Standpunkt zu pflegen und auch zu vertreten, und dafür ein solches Angebot in Anspruch nehmen muss, der ist .E. in einer Studentenverbindung fehl am Platz.
Insofern begrüße ich den Antrag. Er stellt eine vermutlich unnötige, aber mglw. durchaus brauchbare Möglichkeit bereit, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Gruß, Klaus
In wie weit sind die, im übrigen in keinster Weise belegten, Probleme Einzelner das Problem der gesamten Studierendenschaft und somit Thema im StuPa?
Das Greifswalder Verbindungswesen stellt einen sehr kleinen Ausschnitt aus der gesamten Studierendenschaft dar und ist trotzdem immer wieder Thema. Die wenigsten können mit Verbindungen, Burschenschaften, Corps usw. überhaupt etwas anfangen und so geistern Geschichten über Alkoholismus, psychischen Druck und Frauenfeindlichkeit unaufhörlich durch Studentische Medien, das StuPa und Asta-Flyer. Stellt man jedoch die Frage woher besagte Meinungen, denn mehr ist es oft nicht, kommen so bleibt die Antwort meist diffus.
Es nervt schlicht und ergreifend, dass wir Studierende städig gewarnt und bevormundet werden. Es ist doch lächerlich wenn sich darüber aufgeregt wird das in Verbindungen viel Bier getrunken wird und danach möglicher Weise gebrochen. Welchem Nicht-Verbindungsstudenten ist das nicht auch schon einmal so gegangen. Und natürlich gibt es eine hierarische Ordnung in einer Verbindung aber die gibt es in einem Fußballverein auch. Und auch hier haben einige Mitglieder Angst auszusteigen. Das ist aber das Problem Einzelner und die Überwindung zu seiner Entscheidung auch bei Gegenwind zu stehen ist Teil Persönlichkeitsentwicklung.
Das StuPa soll der gesamten Studierendenschaft dienen, konstruktiv arbeiten. Um So eine Telefonhotline einzurichten müsste es doch einen Anlass, ein konkretes Problem geben! Mir scheint es jedoch so als ob man den aktuellen Uni Spiegel durchgeblättert hat um dort auf Ideensuche zu gehen. Der gesamte Antrag ist doch nur weiterer Versuch sich zu profilieren.
mal ganz allgemein: darf/soll im Stupa nur über Dinge entschieden werden, die die große Gesamtheit der Studierenden betrifft und wenn ja, wer bitte ist das genau? Eine Stärke der Demokratie ist es, auch Minderheiten miteinzubeziehen. Und – sofern du wählen warst – hast du deinen Willen an Abgeordnete des Stupa deligiert, die dann demokratisch Anträge einbringen usw. Wenn dir daran was nicht passt, musst du dich der Wahl verweigern auf die Barrikaden klettern, öffentlich Aufstand proben, dich selbst ins Stupa wählen lassen – oder dich eben mit den dort stattfindenden Debatten zufrieden geben. So funktioniert repäsentative Demokratie, verstehst du das?! (Anscheinend nicht, sonst würdest du nicht von "Bevormundung" sprechen)
Darüberhinaus ist es für diesen speziellen Antrag unerheblich, ob die Mehrheit der Studierenden was mit dem Verbindungswesen anfangen kann. Es geht ja um die Überlegung, Leuten ein Hilfsangebot zu stellen, die bereits Teil des Verbindungswesens sind. Den Großteil der Mediziner interessiert sich ja auch nicht für die Kommunikationswissenschaften, BWLern geht vielleicht das Max-Planck-Institut am A*sch vorbei… das entscheidet aber noch längst nicht, wie relevant diese Institute für Wissenschaft und Forschung sind. (mal so als einfacher Vergleich)
Danke für den super Vergleich und die Nachhilfe in politischer Bildung. Doch die eigentliche Frage in wie weit dieses Hilfsangebot überhaupt notwendig ist wurde bisher auch in deiner Antwort nicht beantworten. Entspringt die Idee einer Hilfsbedürfdigkeit von Verbindungsaussteiger nicht viel mehr der Unterstellung von Alkoholismus, psychischen Druck etc. Das Problem wird also impliziert in dem man die unhaltbaren Zustände in Verbindungen anprangert aus denen diese Aussteigerprobleme zwangsläufig resultieren. Das Problem ist somit gemacht!
Gib dem Projekt doch mal ein halbes Jahr, dann kann eine Zwischenbilanz gezogen werden, ob und in welchem Maße es von den Betroffenen angenommen wurde. Die anfallenden Kosten für solch ein Projekt sind zudem relativ gering.
Und Alkoholismus ist vermutlich das geringste Problem bei studentischen Verbindungen (wenn auch kein zu vernachlässigendes). Das interne Mobbing und der Gruppendruck gegen potentiell Aussteigewillige scheint mir weitaus drängender für die Betroffenen.
Probleme einfach als nicht existent abzutun, löst sie nicht.
Gern geschehen 😉
Das mit dem "gemachten Problem" und den angeblich nicht zu belegenden Vorwürfen sehe ich anders. Du kannst dazu gern mal den ein oder anderen Comment einer Verbindung studieren. Sicherlich kann man nicht alle Verbindungen unter Generalverdacht stellen. Viele Fakten zu den Vorgängen in Verbindungen sind jedoch hinlänglich bekannt; regelmäßiger Alkoholkonsum (der eben nicht freiwillig ist und dessen exzessiver Umfang durch interne Regeln bestimmt wird) oder Mensurfechten (ebenfalls häufig "Pflichtpartien") gehören dazu. Darüber kann man sich in Zeitungen, Zeitschriften im Internet oder in Fachliteratur informieren!
Während z.B. ein Mensa-Clubbie eben auf eigene Verantwortung säuft und nach dem sechsten Bier und dem vierten Cuba libre nach Hause gehen kann, stehen Verbindungsstudenten in manchen Fällen eben unter dem Zwang, weiterzumachen. (Was die Folgen sein können, habe ich hier schonmal in anderem Zusammenhang dargelegt, als ich persönlich einen nicht mehr ansprechbaren und immer wieder das Bewusstsein verlierenden Burschi aus nem Kellereingang gezogen und dem Notarzt übergeben habe.)
Hier entsteht eine Form der Abhängigkeit durch sozialen Druck, einige junge Studierende wohnen ja vielleicht auf dem Haus, möchten Ausgrenzung, soziale Isolation etc. vermeiden und machen eben deshalb mit. Die Freiwilligkeit geht da irgendwo verloren.
Ich verstehe irgendwie nicht, was dein Problem ist. Oben hast du doch geschrieben, dass es die Mehrheit der Studierenden nicht interessiert, wieso agitierst du dann so vehement gegen die Projektidee?
[Keine Beleidigungen, bitte!]
"Wie die Zeit unter der Überschrift “Falsch verbunden” berichtet, gäbe es an der Universität in Göttingen bis zu vier Anrufe pro Woche, die das Beratungsangebot in Anspruch nähmen."
Das ist durchaus möglich. Es soll sich jedoch um Spaßanrufer handeln, die das Angebot nicht ernsthaft in Anspruch nehmen. Sowohl das Angebot zur Beratung von Verbindungsstudenten in Leipzig, als auch das in Göttingen, dürfen als Reinfall betrachtet werden.
"Sowohl das Angebot zur Beratung von Verbindungsstudenten in Leipzig, als auch das in Göttingen, dürfen als Reinfall betrachtet werden."
Recht wacklige Hypothese.