Fast schien es, als würde der 555. Geburtstag der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald sang- und klanglos verstreichen. Auch Jan Messerschmidt, Pressesprecher der Universität ging noch am Nachmittag des 17. Oktober davon aus, schließlich teilte er dem webMoritz mit, dass lediglich runde Jubiläen, aber keine Schnapszahlen gefeiert würden. „Das kann Ihnen jeder Historiker bestätigen“, erklärte Meßerschmidt abschließend.
Doch ganz unberücksichtigt sollte dieses Datum dann doch nicht bleiben, wurde doch der Namenspatron anlässlich dieses Tages als Geburtstagsgeschenk abgelegt. Verantwortlich für diesen feierlichen Akt zeigten sich die Hochschulgruppe „Hedonismus inna Greifswalder Hochschule“, Teil der Greifswalder Sektion der Hedonistischen Internationale Greifswald sowie die neonkonservative Sektion Greifswald.
Fackelumzug fand aus ökologischen Gründen nicht statt
In einem großen Kreis stellen sie sich auf, um sich auf den bevorstehenden Fackelumzug einzustimmen. Sie stehen nicht irgendwo, sondern auf dem Wall, direkt vor dem langen Stein, der einem ehemaligen frühzeitlichen Grab entstammt und nun die Funktion übernimmt, den gefallenen Burschenschaftlern aus Greifswald zu gedenken. Die Fackeln wurden jedoch nicht angezündet. Der sogenannte „Jörg Schönbohm-Block“, lehnt Fackeln aus ökologischen Gründen ab. Schließlich würden brennende Fackeln die Umwelt verschmutzen. Alleine aus diesem Grund sei es unzumutbar, die Fackeln anzuzünden. „Wir können ja gerne die Fackeln vor uns her tragen, ohne sie anzuzünden, alles andere können wir jedoch nicht vertreten.“, erklärte einer der Anhänger. Bei dem Jörg-Schönbohm-Block handelt es sich um Anhänger einer Namensumbenennung der Greifswalder Universität in „Jörg-Schönbohm-Universität Greifswald“.
Thilo-Sarrazin und Benedikt XVI. als Patron vorgeschlagen
Doch auch andere Namen flogen im Vorfeld der inzenierten Umbenennung durch den Raum. So wurde beispielsweise vorgeschlagen, die Universität nach einem Sozialdemokraten zu benennen: Thilo Sarrazin. Doch auch der Papst Josef Ratzinger wurde ins Spiel gebracht. „Aber wie sollte die Universität dann genannt werden? Papst Benedikt XVI. Universität oder Josef Ratzinger Universität?“, fragte ich in die Runde. „Nee, wenn dann muss es schon Ratzi-Universität heißen. Es muss ja schließlich jugendlich klingen“, wirft ein Teilnehmer dieses Blocks ein.
Die Mehrheit der Anwesenden war jedoch keineswegs für einen neuen Namenspatron. Kein Wunder, sind sie doch „die Konservativen, die den alten Namen zurück wollen.“ Schließlich trägt die Universität erst seit 1933 den Titel „Ernst-Moritz-Arndt“. Und so bewegte sich die Gruppe Studierender, nachdem sie sich an Ort und Stelle nationalhistorischer Bedeutung versammelt hatte, ganz ökologisch ohne Fackeln in Richtung des Universitätshauptgebäudes um der alten ehrwürdigen Dame das Geschenk zu überreichen: Den Namen „Universität Greifswald“.
Für den Akt der Überreichung, wurde eigens ein hauptamtlicher Umbenenner bestellt. „Da sich in den letzten 19 Monaten, also seit dem Ende der letzten Debatte über den Namenspatron, nichts geändert hat, werden wir heute Nacht der Universität zu ihrem 555. Gründungstag den schönen Namen „Universität Greifswald“ zurückgeben“, erklärte ein Vorredner. Es folgte nun der historische Akt der Umbenennung der Universität. Begleitet wurde diese Zeremonie mit Sprechchören wie „Für die Freiheit gegen Arndt.“ Im Halbkreis stellten sich die Studierenden auf, um den Hauptamtlichen Umbenenner zur Tat schreiten zu lassen. Ganz akkurat und sorgfältig zog er ein schwarzes Klebeband heraus, maß es akribisch vom ersten bis zum letzten Buchstaben des Namens Ernst Moritz Arndt ab und überklebte es. Anschließend wurde das Universitätsschild noch mit Ernst Moritz Arndt Masken verziert, wobei bei einer von Ihnen das Gesicht durchkreuzt war. Rechtsgültigkeit hat diese Umbenennung jedoch nicht.
Hintergrund
Vor mittlerweile anderthalb Jahren entbrannte an der Greifswalder Universität bereits zum dritten Mal ein heftiger Streit um den Sinn des Namenspatrons Ernst Moritz Arndt. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob der aus Pommern stammende Dichter und politische Denker im 21. Jahrhundert noch als Namenspatron der Universität herhalten kann. Anlass dazu gaben die zahlreichen politischen Schriften Arndts, die in der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege entstanden sind und in denen Arndt, um die Deutschen gegen den französischen Unterdrücker zu mobilisieren, besonders drastisch gegen Frankreich und die Franzosen im Allgemeinen hetzte. Darüber hinaus wurde Arndt nicht zuletzt durch seine Schrift „Über den Volkshass und den Gebrauch einer fremden Sprache“ zur treibenden Kraft des frühen deutschen Nationalismus im 19. Jahrhunderts. Die Gegner des Namenspatrons sahen vor allem in seinen sprachnationalistischen Ausführungen und der engen Verwebung von Sprache und Volk und der damit in seinen Schriften einher gehenden Hierarchisierung einer besonders hochwertigen Sprache – dem Deutschen – im Vergleich zu den vermeintlich minderwertigen Sprachen, wie beispielsweise dem Französischen, rassistische Denkmuster. Dazu kommt eine besonders drastisch ausfallende Judenfeindlichkeit in Arndts Schriften zum Vorschein.
Die Befürworter für die Beibehaltung des Namenspatrons betonten hingegen, dass man Arndt nicht nur im Sinne der heutigen Zeit sehen dürfe und nicht nur an heutigen Maßstäben messen dürfe, sondern im Spiegel seiner Zeit. Damals waren sowohl Rassismus als auch Judenfeindlichkeit fester Bestandteil der gesellschaftlichen Mitte, argumentierten die Befürworter. Der Emanzipationsprozess, in dem sich die gesellschaftliche Mitte von Judenfeindlichkeit und Rassismus abgrenzte, habe sich erst in den folgenden Jahrhunderten vollzogen. Positiv anzurechnen und als Vorbild für Studierende tauglich sei Arndt, so die Befürworter, vor allem aufgrund seines unermüdlichen Engagements für die Befreiung deutscher Staaten von der napoleonischen Fremdherrschaft, seine Schriften, in denen sich für die Abschaffung der Leibeigenschaft eingesetzt wurde, die Ablehnung von Angriffskriegen, die Forderung nach der Abschaffung der Geheimpolizei, die Wahl von Richtern sowie die allgemeine Reform der Deutschen Monarchien hin zu einem vereinten Deutschland in Form einer konstitutionellen Monarchie mit einem starken Kaiser, was – im Spiegel der damaligen Zeit – fortschrittlich gewesen sei.
Nachdem sich 90 Prozent der Studierenden in einer beschlussfähigen Vollversammlung für eine Ablegung des Namens aussprachen, konnte das Lager der Befürworter des Namenspatrons in einer Urabstimmung ein halbes Jahr später eine knappe Mehrheit auf sich vereinigen. Der Senat stimmte ebenfalls für die Beibehaltung des Namens mit der Begründung, dass Arndt als Patron zur ständigen Diskussion und Forschung um Arndts Zeit selbst, als auch um die Diskussion um Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus anrege. Außer auf den Namensschildern kommt die Patronage im öffentlichen Leben kaum zur Geltung, Rektor Rainer Westermann bemüht zu jeder Erstsemesterbegrüßung darum, den Namenspatron so wenig wie möglich zu erwähnen.
Fotos: blog.17vier (Artikelbilder, CC-Lizenz), wikipedia.de (Ernst Moritz Arndt, Gemeinfrei)
"Rektor Rainer Westermann bemüht zu jeder Erstsemesterbegrüßung darum, den Namenspatron so wenig wie möglich zu erwähnen." Stimmt im Allgemeinen, aber dieses Jahr hat er in zwei Sätzen erwähnt, dass Arndt positive und negative Seiten habe und sogar (im Gegensatz zur Unihomepage) das Wort "Antisemitismus" ausgesprochen.