Am 07. Juli 2011 führte der Die Linke. Sozialistisch-demokratische Studierendenverband (Die Linke. SDS) eine Veranstaltung mit Dr. Gesine Lötzsch durch. Sie referierte zum Thema „Was ist uns der Euro wert – Sozialstaatsabbau in Zeiten der Krise“ und beantwortete zum Ende Fragen des Publikums. Martin Hackbarth (Mitglied der Jusos / SPD) vom webMoritz führte nach dem Referat ein Interview mit der Bundestagsabgeordneten der Linken durch.

webMoritz: Die heutige Veranstaltung trug den Namen: „Was ist uns der Euro wert – Sozialstaatsabbau in Zeiten der Krise“. Was ist Ihnen der Euro wert?

Was ist uns der Euro wert?

Dr. Gesine Lötzsch: Ich finde der Euro ist eine Gemeinschaftswährung, die dazu dienen muss, dass alle Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union unter gleichen oder ähnlichen sozialen Bedingungen leben können und dafür müssen wir uns einsetzen.

wM: Das neue Rettungspaket für Griechenland soll zu einem Drittel (ca. 40 Mrd. Euro) von privaten Gläubigern kommen. Dabei würden Banken und Versicherer bis 2014 fällige Gelder aus griechischen Anleihen wieder reinvestieren (Pariser Modell). Ratingagenturen bewerten dies aber als kritisch und würden griechische Anleihen als „Zahlungsausfall“ bewerten. Die Folge wäre die Kreditunwürdigkeit Griechenlands und eine Erschütterung der Finanzbranche. Wie bewerten Sie den Einfluss der Ratingagenturen im internationalen Finanzgeschehen?

Lötzsch: Die Ratingagenturen sind private Organisationen, deren Einfluss überdimensional groß ist und wir sind der Auffassung: Wenn es Ratingagenturen gibt, dann müssen es auch öffentlich-rechtliche sein, denn anders wäre es nicht mehr akzeptabel. Was den Beitrag der Privaten betrifft, so sind diese noch völlig offen. Es sind bisher freiwillige Beiträge und mit Freiwilligkeit und Banken haben wir bisher schlechte Erfahrungen gemacht.

wM: Werden Banken und Versicherer aus Ihrer Sicht ausreichend in die Pflicht genommen?

Lötzsch: Nein, natürlich nicht! Ich will, dass erstens die Finanzmärkte reguliert werden und zweitens eine Finanztransaktionssteuer eingeführt wird. Die Banken und Versicherungen sollen für die Kosten der Krise aufkommen und nicht die Bürgerinnen und Bürger.

wM: Wer profitiert aus Ihrer Sicht wirklich von den Rettungspaketen?

Lötzsch: Es gibt kein Rettungspaket für Griechenland. Es werden vor allem die deutschen und französischen Banken gerettet. Das griechische Volk profitiert davon nicht. Es wird mit drastischen Sparpaketen in die Knie gezwungen.

Gesine Lötzsch und die Moderatorin Claudia Sprengel

wM: Der griechische Staat steht im Bereich der Schwarz- und Schmiergelder an der Spitze Europas. Der griechische Analyst Babis Papadimitriou meinte: „Der Grieche liebe vielleicht seine Nation, betrachte den Staat aber als Institution, die man ausplündern müsse.“ So wandern jährlich rund 27%, was rund 62,4 Mrd. Euro sind am Finanzamt vorbei. Müsste man daher nicht auch die Schuld, dieser finanziellen Misere anteilig bei der griechischen Bevölkerung suchen?

Lötzsch: Ja wissen Sie, genauso wenig wie es den Deutschen gibt, gibt es auch nicht den Griechen. Wir haben in Griechenland auch Milliardäre die keinen Beitragzum Gemeinwesen leisten  und wir haben viele Leute, die gerade mal so durchkommen. Denen kann man nicht den gleichen Vorwurf machen wie den Milliardären, die sich auf Kosten der Mehrheit bereichert haben.

wM: Die Arbeitslosenquote ist in Griechenland während des letzten Jahres um 5% auf 16% gestiegen. Die Quote beträgt in der Altersgruppe 15-24 sogar 42% und Frauen sind eher als Männer von der Arbeitslosigkeit betroffen. Sind die höhere Versteuerung von Kleinunternehmen und Selbstständigen sowie der rapide Abbau des öffentlichen Sektors unter diesen Aspekt nicht der falsche Weg?

Lötzsch: Wir brauchen in jedem Land, so auch in Griechenland einen soliden öffentlichen Sektor. Privatisierungen bedeuten immer, dass der Staat weniger Einfluss auf wichtige Entscheidungen, die alle Menschen betreffen, hat. Denken Sie nur an den Wohnungsmarkt oder den öffentlichen Nahverkehr. Jetzt soll öffentliches Eigentum der Griechen im Wert von 50 Mrd. € verschleudert werden. Unter Anderem ist die Deutsche Bank damit beauftragt, die Privatisierung voran zu treiben. Die Bank ist aber auch gleichzeitig Gläubiger. Sie treiben also ihr eigenes Geld ein. Das ist absurd.

wM: Dürfen in Zeiten finanzieller Not Sozialleistungen gekürzt werden, oder sollte das Geld anderswo herkommen?

Gesine Lötzsch zeigt Bilder aus dem Magazin "Stern"

Lötzsch: Die Kürzungen von Sozialleistungen führen immer dazu, dass die Binnenkaufkraft sinkt, das heißt, dass die wirtschaftliche Krise nur verstärkt wird . In Krisen muss man sich antizyklisch verhalten und das hat ja Deutschland gemacht, zwar im sehr geringen Maße aber immerhin mit dem Konjunkturpaket. Das haben übrigens auch die USA gemacht nach dem 11.9.2001. Damals wurden die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes verlängert. Antizyklisches Verhalten bedeutet also, man muss nicht in die Krise hinein sparen, sondern sich gegenteilig verhalten.

wM: Das Geld soll also vom Staat oder privaten Institutionen kommen?

Lötzsch: Ja, man muss private Institutionen heranziehen. Deshalb bin ich ja auch so stark für die Regulierung des Bankenwesens und der Hedgefonds und natürlich muss auch der Staat seinen Beitrag leisten, so wie es auch in Deutschland mit dem Konjunkturpaket war. Ich glaube, es muss da auch eine vernünftige Mischung aus beiden geben. Auf jeden Fall kann es nicht so weiter gehen, dass die Banken am Finanzmarkt zocken und die Gewinne einstreichen und die Verluste an die Steuerzahler durchreichen.

wM: Hat die gemeinschaftliche Währung „Euro“ noch eine Zukunft?

Lötzsch: Ich denke schon, sofern sich die Euro-Länder und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sich ihrer Verantwortung füreinander bewusst werden und sich nicht gegeneinander nieder konkurrieren, wie wir es bei den Unternehmenssteuern erleben. Wir brauchen eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialunion in Europa. Nur so wird Europa eine Zukunft haben.

wM: Vielen dank Frau Dr. Lötzsch!

 

Fotos: Martin Hackbarth