Oliver Wunder (28) wohnt im fünften Stock eines Plattenbaus. Er studiert Geographie, Politikwissenschaft und BWL. Seit sechs Jahren schreibt er regelmäßig in seinem Blog. Ansonsten zeltet er schwarz und frittiert leidenschaftlich.

Die Taste T blitzt im Sonnenlicht. Perfekt gesäubert. Q W E R – hier also die T-Taste wieder einbauen. Langsam nehme ich sie vom Geschirrtuch, trockne sie ab und stecke sie nach einem prüfenden Blick, ob der Schmutz wirklich komplett weggeputzt ist, zurück an ihren angestammten Platz.

Zwei Stunden später habe ich die sauberste Tastatur in ganz Greifswald, wenn nicht sogar in ganz Vorpommern. Wer nimmt denn auch alle Tasten aus ihrer Fassung und wäscht sie von Hand mit der Zahnbürste? Ein akribischer Sauberkeitsfanatiker vielleicht, aber dazu zähle ich mich nicht.

Betrachter von Außen würden denken, mir sei langweilig. Nein, keineswegs. Ich muss nur lernen, intensiv lernen. Ende des Monats sind Prüfungen. Die Wochen, in denen meine Wohnung sauber und aufgeräumt wie seit langem nicht mehr ist, haben begonnen.

In der Klausurphase benehmen sich die meisten Studierenden wie Gefangene. Viele stehen morgens ab 7.30 Uhr vor der UB, um ihre Einzelzelle zu bekommen und schlimmstenfalls bis 24 Uhr zu bleiben. Ich dagegen trete den Lernarrest lieber zu Hause an. Doch wie Kaffeepausen und Blicke nach hübschen Vertretern des präferierten Geschlechts die Gefangenen der UB ablenken, kann auch ich mich nicht die ganze Zeit durchgehend konzentrieren und suche Zerstreuung.

Trocknende Tasten

Trocknende Tasten - in der Klausurphase widmet sich Oliver leidenschaftlich etlichen Reinigungsarbeiten.

Wieder und wieder kommt es zu neuen Übersprungshandlungen, während der Lernstoff das Hirn überfrachtet. Fritteuse entfetten? Okay, das muss natürlich in der Lernphase erledigt werden. Das Gefrierfach müsste auch mal wieder abgetaut werden. Es folgt eine Inventur der Lebensmittel. Dabei finde ich eine H-Milch. Abgelaufen am 11. März 2009. Eine dicke Staubschicht will mir dieses Datum erst nicht verraten. Ekelexperiment: Sie bleibt hier, bis ich ausziehe.

Nach Stunden des Büffelns sind es genau die anspruchslosen Tätigkeiten, die Linderung verschaffen. Wenn meine Eltern das früher gewusst hätten. Das wäre die perfekte Motivation für mehr Unterstützung bei der Hausarbeit gewesen. „Ollevaaa, musst du nicht lernen? Na komm, wasch doch das Geschirr ab und danach kannst du alle Küchenschränke von innen mit der Zahnbürste reinigen.“ Mama, Papa, ihr habt was falsch gemacht!

Am Tag der letzten Prüfung wird meine Wohnung perfekt blitzen und die Prüfung bestanden werden. Die Nebentätigkeiten lassen nämlich immer noch genug Zeit zum Lernen. Das Notwendige mit dem Nützlichen verbunden. Eine Symbiose auf Zeit, die an diesem Tag auseinander brechen wird. Es folgt die Zeit der weniger sauberen Wohnung. Während das meiste Gelernte innerhalb weniger Stunden weggespült werden wird, wird sich der erste Schmutz in der Wohnung ausbreiten. Ein Bierfleck auf dem Couchtisch.

Fotos: Oliver Wunder, Gabriel Kords (Porträt), Jakob Pallus (Grafik)

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Oleg Maximov.