Christine Fratzke (22) schreibt gerne und viel – klar, sie studiert ja auch Germanistik – wie: To-do-Listen, Artikel, Postkarten (zuletzt aus Kopenhagen), facebook-Nachrichten und Bachelorarbeit. Seit 2007 ist sie bei den moritz-Medien und gehört mittlerweile zum Inventar.

Ich will kein Musiknazi sein. Ich brauche Musik. Und höre sie stundenlang. Morgens, mittags, abends, im Radio, vom MP3-Player, in Clubs, klicke mich stundenlang durch Youtube- und tape.tv-Videos. Aber allzu oft passiert es mir, dass ich schlechter Musik unfreiwillig ausgesetzt werde. Musikzwang nenne ich das.

Am Herrentag beispielsweise. Mit Freunden genoss ich die Sommersonne am Tierpark, nebenbei dudelte angenehme Musik vom MP3-Player. Dann kam diese Männergruppe. Mit selbstgebautem Bollerwagen und dazugehöriger Musikanlage steuerten sie den freien Fleck unweit von unserer Gruppe an. Was folgte, war mehrstündiger Musikzwang: Chartsongs mit fetten Bässen, dann auch „Klassiker“ wie Destiny´s Child und Rihanna. Und das Ganze in einer alles übertönenden Endlosschleife. Gefühlte einhundert Male hörten wir „Dancehall Caballeros“ von Seeed. Zuerst sang ich noch gut gelaunt mit, doch nach der zigsten Wiederholung war Schluss mit lustig. Wehren konnten wir uns nicht und den Platz räumen? Nee, dann hätten die Musikfolterer ja gewonnen!

"Keep your shitty music to yourself" - Das wünscht sich die Autorin auch.

Doch Zwangsmusik bin ich nicht nur am Herrentag ausgesetzt, es verfolgt mich auch oft in meinen Alltag. Beim Einkaufen – viele Ladenbetreiber wissen anscheinend nicht, dass es noch einen anderen Radiosender als Ostseewelle gibt –, die Teenies, die sich nachts lautstark mit ihren Handys vor meinem Fenster ihre Lieblingssongs vorspielen oder unter der Dusche. Das mit dem Radio hören unter der Dusche ist so eine alte Angewohnheit von mir: Radio an, Dusche an. Das tolle Lied, was zum Beginn lief, ist schnell vorbei und mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit kommt ein Song, den ich absolut abscheulich finde. In meinem Fall ist es der Christenbarde Xavier Naidoo. Und da stehe ich: Nass und wehrlos. Und dann „Ich kenne nichts, iiiiich kenne nichts…“

Aus vielen Situationen kann man dem Musikzwang entkommen. Läuft blöde Musik im Club, gehe ich nach Hause. Auch das Radio lässt sich, wenn man nicht gerade unter der Dusche steht, na klar, ausschalten. Ohropax hat mir auch schon geholfen. Manchmal aber kann ich mich nicht wehren.

Mein Dilemma: Eigentlich wäre ich gerne toleranter in dieser Beziehung. Ich kann natürlich nicht von jedem Menschen einen guten Musikgeschmack verlangen, das ist mir klar. Und natürlich machen mir auch manchmal trashige Lieder total Spaß. Nur wünsche ich mir hin und wieder ein wenig mehr Rücksicht von meiner Umwelt. Einfach mal den Regler runterschrauben, die Bässe raus und auf die zehntausendste Wiederholung eines Liedes verzichten. Ich will kein Musiknazi sein. Aber anspruchsvoll, das schon.

Fotos: Gabriel Kords (Porträt), Christine Fratzke, Jakob Pallus (Grafik)

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Torsten Heil.