Günter Grass meldete sich auch zu Wort

Einig waren sich die fünf Diskussionsteilnehmer, dass Lobbyismus notwendig ist, aber transparenter werden muss. Das war ein Ergebnis einer Diskussionsrunde im Rahmen der Koeppentage zum Thema „Lobbyismus“ mit 70 Zuschauern, zu denen auch Günter Grass zählte. Die Moderation hatte Thomas Leif (SWR) übernommen, der zugleich feststellte: „Der Einfluss der Lobbyisten in Berlin wächst.“

Petra Pau: Lobbyismus sorgt für schlechten Eindruck der Politik bei den Wählern

Petra Pau (DIE LINKE), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

„Lobbyismus ist nicht gefährlich, sondern eine legitime Interessenvertretung“, sprach Volker Heck von RWE gleich zu Beginn aus und erntete dafür keinen Widerspruch. „Lobbyismus an sich muss sich nicht schlecht sein“, ergänzte Petra Pau (DIE LINKE). Die Zahl der Lobbyisten in Berlin taxierte sie auf 4.500. Die Vizepräsidentin des Bundestages nannte aber auch den negativen Eindruck des Lobbyismus in der Bevölkerung: „Das Ansehen der Politik rangiert bei sechs Prozent. Die Bürger haben kein Vertrauen mehr in die Politik. Es ist eine Gefahr für die Demokratie.“ Robert Ardelt hält Lobbyismus, aber auch Transparenz für notwendig: „Das beste Argument soll gewinnen. Lobbying ist notwendig für Gesetzessicherheit bei Energie und im Internet, weil die Industrie die Expertise hat.“ Die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl sieht in Interessenvertretungen in der Regierung nichts Negatives. „Es müssen aber verbindliche Regelungen zur Eingrenzung des Lobbyismus getroffen werden“, schränkt die SPD-Politikerin ein. Auch die Solarbranche betreibe Lobbyismus. Für Transparenz und klare Regeln sprach sich auch der Grüne Europaabgeordnete Sven Giegold aus, der ein Ungleichgewicht im Lobbyismus sieht: „Interessen, die dann Allgemeinwohl stärken wollen, sind eher schwach. Lobbyisten mit großen Spenden und Karriereangebote haben wesentlich mehr Einfluss.“

Giegold: Banken finden immer ein Land in der EU, dass schärfere Bankenregeln EU-weit verhindert

Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen.

In der Diskussion wurde aber auch der Einfluss von Banken auf die Politik thematisiert. Dieser war sehr deutlich zu sehen, als sie vom Staat gerettet wurden, um sie in der Finanzmarktkrise nicht insolvent gehen zu lassen. Aktuell gibt es viel Widerstand gegen eine Beteiligung von Banken an der Umschuldung Griechenlands, wo die Banken dann mit Verlusten rechnen müssen. „Im Europäischen Parlament gibt es bis auf die Liberalen eine große Mehrheit für eine Finanztransaktionssteuer. Der Einführung einer solchen Steuer müssen alle Mitgliedsstaaten noch einstimmig zustimmen. So finden die internationalen Finanzkonzerne immer ein Land, das dagegen stimmt“, machte Giegold klar. Daraufhin bezeichnete Moderator Leif den Lobbyismus des Bankenverbandes als „sehr effektiv“. Auf die Nachfrage Leifs, dass der Vorstand der Deutschen Bank an Gesetzen mitarbeite, antwortete Heck: „Das ist keine nachhaltige Lösung.“ Ardelt ergänzte: „Die Banken haben das hochkomplexe Wissen, aber die Politik muss die Entscheidung treffen, nicht der Lobbyist. Eine kritische Frage richtete Leif nun auch an Högl: „Wie finden Sie, dass Banken an den Gesetzen zu Hedgefonds in der Amtszeit von SPD-Finanzminister Hans Eichel mitgearbeitet haben?“ Högl äußerte ihr Unverständnis darüber: „Ich kann das nicht verstehen und lehne es ab, weil die Ministerien sehr gut qualifizierte Beamte haben“. Sie sprach sich für ein Verbot aus, damit Lobbyisten nicht mehr an Gesetzentwürfen mitschreiben dürfen. Dem stimmte auch Pau zu und kritisierte auch sich selber für die zögerliche Umsetzung.

Hat die Atomlobby ihren Einfluss überdreht?

Volker Heck (RWE).

Der Streit um den Atomausstieg war ein weiteres Schwerpunktthema der Debatte. Erst gab es den Atomausstieg von Rot-Grün. Dann setzte Schwarz-Gelb im Herbst 2010 eine Laufzeitverlängerung der Nuklearmeiler durch. Nun wollen alle einen schnelleren Ausstieg. „Was ist passiert“, fragte Leif Heck von RWE. „Es gab eine deutliche Kehrtwende der Politik. Früher waren wir in Deutschland mal stolz auf Kernenergie. Nach dem Unglück im japanischen Kernkraftwerk Fukushima im März diesen Jahres hat sich die Lage dramatisch verändert. Es gab einen unlogischen Wettbewerb um die kürzeste Laufzeit.“ Bei Schwarz-Gelb habe es die schiere Angst gegeben. „Hat die Atomlobby ihren Einfluss überdreht?“, hakte Leif nach. Eine klare Antwort gab Heck nicht, sondern er sagte: „Die Schlacht wird nicht vor Gerichten entschieden, jedoch müssen wir nach dem Aktiengesetz auch unser Vermögen und unsere Mitarbeiter schützen. Die Gesellschaft will aus der Kernenergie raus“, musste Heck einräumen. Er versprach, dass die Atomkonzerne die nach dem Atommoratorium stillgelegten Atomkraftwerke nicht wieder hochgefahren werden: „Sonst gäbe es bürgerkriegsähnliche Zustände.“

Günter Grass: Lobbyismus führt zu Misstrauen zwischen Volk und Parlament. Für die Demokratie ist das lebensgefährlich

Robert Ardelt

Autor Günter Grass meldete sich als Gast zu Wort: „Der Lobbyismus begann Ende der 40er Jahre. Die Flick-Affäre in den 1980er-Jahren war die schrecklichste Lobbygeschichte in Deutschland.“ Der Autor sieht ein „grundsätzliches Misstrauen zwischen Parlament und Volk. Für die Demokratie ist das lebensgefährlich.“ Wahlenthaltung sei eine Folge. Als ein heutiges Lobbyismusbeispiel nannte er, dass Gesundheitsreformen an Ärzten und Pharmaindustrie scheiterten. „Das ist ein Armutszeugnis der Politik.“

Lobbyismus eingrenzen mit Karrenzzeiten, Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung, Lobbyistenregister

SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl

In ihren Schlussworten nutzen die Diskussionsteilnehmer die Möglichkeit, Vorschläge für mehr Transparenz oder weniger Lobbyismus zu machen. Ardelt wiederholte: „Die Politik muss Entscheidungen treffen und dazu stehen.“ Die Scheckheftdiplomatie sei am Ende. Für Giegold steht fest, dass die Lobbyorganisationen ihre Kontakte samt Texten und Spenden offenlegen sollen und in einem Register verbindlich eintragen lassen müssen. Dem schlossen sich auch Pau und Högl an. Beide sprachen sich auch für Karrenzzeiten aus. Danach dürfen Abgeordnete erst nach einer gewissen Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Parlament bei ihrer Lobbyorganisation eine berufliche Tätigkeit aufnehmen. Högl und Pau waren sich auch einig bei einem Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung. Momentan ist nach dem Gesetz nur der Stimmenkauf verboten. „Ich erwarte von einem Abgeordneten die Abwägung von Interessen, auch wenn es jemanden aufwertet, wenn man als Abgeordneter von Lobbyisten zum Essen eingeladen wird“, argumentierte Högl. „Dann kann ich zu Hause meinen Kühlschrank abschließen, weil ich morgens, mittags und abends eingeladen werde. Und zu den Zwischenmahlzeiten wahrscheinlich auch noch“, ergänzte Pau humorvoll, die auch eine Offenlegung von Nebentätigkeiten und Einkommen forderte. Bisher müssen Abgeordnete ihre Einkommen in drei Stufen offenlegen. Die höchste Stufe ist mehr als 7.000 Euro. Ersichtlich ist dann nicht, ob es 10.000 oder 30.000 Euro sind.

Fotos: David Vössing