Wie es dazu kam, dass der sonst Hallen mit mehreren tausend Gästen füllende Rainald Grebe nun ausgerechnet im tiefsten Osten vor etwa 150 Gästen in die Tasten griff, darüber kursieren unter den Mitgliedern des Studentenclubs Kiste bereits jetzt verschiedene Versionen. Hier spielte der Künstler am 13. Mai. Als gesichert gilt, dass Grebe für seine, wie er es in einem Interview mit Spiegel Online am 14. April 2011 bezeichnete, „Idiotentour“ nach den wirklich besonderen, kleineren Orten suchte.
Das mediale Interesse an solch einer Veranstaltung scheint dabei seitens Herrn Grebes Agentur vielleicht wegen dieser geringen Größe dem zur Verfügung gestellten Kontingent an Pressekarten nach unterschätzt worden zu sein. Die Kiste-Mitglieder allerdings erwiesen sich trotz der sicherlich besonderen Belastung ob der Vorbereitung solch eines Events als sehr kooperativ und zuvorkommend.
Etwa anderthalb Stunden vor Beginn der Show erschien der etwas von einer Dusche redende Künstler wohl aus seiner Unterkunft im Studentenwohnheim zum Soundcheck hinter verschlossenen Türen. Nach Beendigung desselben wurden die Gäste bei bester Fahrstuhlhintergrundmusik in den mit Klappstühlen und Polsterbänken gut ausgefüllten Club gelassen.
Rainald Grebe leitete seinen Auftritt mit einigen Kalauern zur Erwärmung ein. Schon in den ersten Minuten wurde die in ihrer Effizienz anscheinend unterschätzte Nebelmaschine so reichlich zum Einsatz gebracht, dass der Liedermacher mitsamt seines lila Anzugs hinter dichten Schwaden verschwand und sich in der Kiste tropisches Klima verbreitete. So streute er denn auch Verweise, wie seinen Auftritt am Tag zuvor in einem Schwimmbad, in sein im ersten Teil noch eher sprach- als musiklastiges Programm ein, welche nicht nur die Kiste-Mitglieder mit Begeisterung quittierten.
Insbesondere die Raumgröße war des öfteren Zielscheibe des spöttelnden Humors des Herrn Grebe a lá „Ich rücke mal ein bisschen näher. Es ist ja nicht so weit.“ Gerade zu Beginn schien es, als habe sich der gebürtige Kölner noch nicht ganz auf sein unüblich kleines Publikum eingestellt. Lockerer, spontaner und weitaus weniger drehbuchcharakterhaft (aber mit sehr viel mehr goldenen Armwackelkatzen) wurde es allmählich spannender im zweiten Teil, wozu vielleicht, neben zwei teils auf der Bühne kletternden Fotografen, auch die frische Luft während der Pause beitrug. Besonders frenetisch war der Applaus bei Beginn des wohl bekanntesten Liedes aus Herrn Grebes Feder. Dies wusste jener zu nutzen, indem er statt des eigentlich erwarteten Bundeslandes Brandenburg das Saarland einsetzte – und abbrach.
Gerade die ganz großen Probleme – Finanzkrise, Gleichberechtigung, Klimawandel, um nur ein paar zu nennen – nahm er sich vor, konterkarierte (nicht nur mit der Größe der Kiste) und karikierte sie, ohne jedoch sie ins Lächerliche zu ziehen oder selbst in bare Albernheit abzugleiten.
Der bissig-(selbst)ironisch-satirische, teils stakkatoartig mit vollem Körpereinsatz, betont durch Licht- (und noch ein bis zwei etwas zurückhaltendere Nebel-) Effekte vorgebrachte Humor verlangte dank fast immer müheloser Pointen und ineinandergreifender Themen nicht nur volle Aufmerksamkeit, sondern vor allem Bewunderung ab. Überleitungen zwischen Suppe to go und Matthias Reim erschienen aus seinem Mund gar nicht so absurd, wie man vermuten könnte. So bettete er mehr und weniger bekannte Lieder in dieses Netz aus konträren und doch zusammenpassenden Ideen und Inhalten ein und ließ sie so in neuem Kontext, wenn auch nicht weniger verwirrend, erscheinen.
Eine interaktive Einlage mit dem Publikum – Studenten wünschen ja Fragerunden am Ende einer Veranstaltung – brachte leider keine klare Aussage zu Grebes Einstellung gegenüber Kunstrasen. Zumindest dem verbalen Geschick des Vermeidens jeder eindeutigen Aussage und kompletten Umlenkens des Themas, bis schließlich der Fragesteller selbst nicht mehr weiß, worum es ursprünglich ging, nach, hätte man sich für den Kabarettisten durchaus auch eine Politikerkarriere vorstellen können.
Was bleibt, ist ein Erfolg für die Kiste, sehr zufrieden wirkende Zuschauer, und ein gesättigtes Gefühl dank drei Stunden Reizüberflutung, die das Bedürfnis zurücklässt, jetzt erst einmal, um alles abzuspeichern, eine Zeit lang wohlig die Rauhfasertapete anzustarren.
Fotos: Tjorven Hinzke