In unserer Jubiläums-Reihe „555 Jahre Universität Greifswald„ steht dieses Mal Stifter Berthold Beitz im Mittelpunkt.
Der Greifswalder Dom, das Krupp-Kolleg und das Audimax – die jüngere Baugeschichte aller drei Gebäude ist eng mit dem Namen Berthold Beitz verknüpft. Eine deutlichte Spur findet sich auf dem neuen Campus: Tausende Studenten queren täglich den zentralen Berthold-Beitz-Platz. Wer sich hinter dem Namen verbirgt, wissen indes die wenigsten Studenten. Es ist ihnen kaum zu verübeln: Denn der Ehrendoktor, Ehrensenator und Stifter unser Alma Mater ist persönlich selten in Greifswald – und in den Medien inzwischen auch nicht mehr präsent. Wer also ist Beitz?
Berthold Beitz kam 1913 in Zemmin bei Jarmen (15 Kilometer südlich von Greifswald) als Kind einfacher Leute zur Welt, verbrachte seine Schulzeit in Greifswald und machte anschließend eine Ausbildung in Stralsund. 1939 verließ er die Stadt und begann beim Energie-Unternehmen „Royal Dutch Shell“. Im Zweiten Weltkrieg war er Manager in der kriegswichtigen Ölindustrie des Deutschen Reichs, die meiste Zeit in Boryslaw (heute Ukraine). Dass er dort mehrere hundert Juden vor der Deportation bewahrte, ist vielfach belegt, die letzten Zeitzeugen leben noch.
Nach dem Krieg stand Beitz Anfang der 50er Jahre einem Hamburger Versicherungskonzern vor und wurde dann – auch für die Zeitgenossen überraschend – Generalbevollmächtigter des damals riesigen Krupp-Konzerns in Essen. Beitz war mitverantwortlich für den Umbau der einstigen Waffenschmiede in ein Unternehmen mit größtenteils ziviler Produktion. Der Konzern war bis 1967 im Alleinbesitz von Alfried Krupp und wurde anschließend auf dessen Wunsch in die Trägerschaft einer Stiftung gegeben. Auch hierfür war Beitz mitverantwortlich, bis heute steht er der Stiftung vor, die ihre Gewinne für gemeinnützige Zwecke verwendet. So ist er der Öffentlichkeit inzwischen vor allem als Wohltäter bekannt, jüngst des 55 Millionen Euro teuren Museums Folkwang in Essen.
Bereits zu DDR-Zeiten Förderer in Greifswald
Seit den 80er Jahren leitet er auch große Geldsummen der Stiftung in seine Heimat Vorpommern, besonders nach Greifswald und zur dortigen Uni, obwohl er selbst weder dort noch anderswo studiert hat. Dass Beitz bereits zu DDR-Zeiten die Sanierung des Doms mitfinanzierte und die Uni-Klinik förderte, war dabei durchaus ungewöhnlich im spannungsgeladenen deutsch-deutschen Verhältnis. Bereits zu DDR-Zeiten bekam er dafür den Greifswalder Ehrendoktor-Titel verliehen – im Fach Medizin, denn vor „Politikwissenschaft“ hatte man ihn gewarnt: Das wäre womöglich von der DDR-Propaganda ausgeschlachtet worden.
Beitz war indes schon seit den 50er Jahren immer wieder als Mittler zwischen West und Ost aufgetreten, er reiste regelmäßig nach Polen und in die Sowjetunion. Auch wenn dies primär geschäftliche Ziele hatte, hatten die Reisen meistens auch eine staatspolitische Bedeutung.
Unzweifelhaft: Das Leben des heute 97-Jährigen ist vielseitig und spannend. Eine im November 2010 erschienene Biographie widmet sich ihm auf über 600 Seiten. Autor ist der Journalist und Historiker Joachim Käppner, der das Projekt in gerade mal drei Jahren realisierte. Möglich war das unter Anderem, weil Beitz dem Buch ausdrücklich zugestimmt hat. So führte der Autor zahlreiche Gespräche mit Beitz und hatte Zugriff auf privates Archivmaterial wie auch auf das Archiv der Firma Krupp. Im Gegenzug las Beitz das Manuskript und „autorisierte“ die Biographie; ein Arbeitsschritt, bei dem das Werk nichts von seinem ursprünglichen Charakter eingebüßt habe, wie der Autor versichert. Inwiefern ihn die ausstehende Autorisierung aber schon beim Schreiben beeinflusst hat, lässt sich freilich kaum klären.
Überaus lesenswert und vielseitig
Doch das ist auch gar nicht nötig: Das Resultat ist in jedem Fall ein überaus lesenswertes und gut lesbares Werk, das die Stationen des langen und ereignisreichen Lebens von Beitz detailtief, aber nicht zu wissenschaftlich schildert. Käppner schreibt spannend, verzichtet auf epische Darstellungen und arbeitet in erster Linie mit Fakten. Das bedeutet, dass auch Beitz, der immer wieder als Zurückblickender zu Wort kommt, nicht das alleinige Zepter im Buch führt, sondern dieses vielmehr einer umfangreichen und vielseitigen Recherche gründet, die in einem üppigen Anhang dokumentiert ist. Käppner verzichtet auf sprachliche Effekthascherei und pflegt einen angenehmen erzählenden Stil, durchgängig im Präsens. Hier und da flicht er die eigene Meinung in Erklärungen für Entwicklungen mit ein, aber er bleibt meistens unaufdringlich.
Ein Problem könnte also nur noch die generelle Nähe des Autors zu seinem Topos sein; die kritische Distanz des Historikers zum Untersuchungsgegenstand kann Käppner nicht erreichen. Das muss er, der als Erster über Beitz‘ Leben schreibt, auch gar nicht. Es ist nicht einmal störend, um nicht zu sagen: konsequent, dass Käppner die Sympathie zu Beitz mitunter deutlich anzumerken ist und dass er in Konfliktfällen meistens (aber keineswegs immer) Position für Beitz bezieht. So ist das Engagement Beitz‘ in Greifswald nicht nur vor Ort durchaus kritisch gesehen worten – aber das ist kein Thema im Buch.
Dass der Autor als Historiker dennoch weiß, wie wichtig der Sicherheitsabstand zum eigenen Thema ist, bewahrt ihn überdies zuverlässig vor Schlimmerem, nämlich vor der kompromisslosen Anbiederung an den Dargestellten. Und dass hier und da auch eine kritischere Sicht nicht schaden könnte, kann ja immer noch in späteren Publikationen über Beitz aufgegriffen werden – überdies hat das auch die zeitgenössische Presse immer wieder getan, wie etwa im Spiegel-Archiv nachzulesen ist.
Inhaltlich ist dem Buch außer einigen Dopplungen, die auf ein zu eiliges Lektorat hindeuten, also kein Vorwurf zu machen. So bleiben nur zwei große Mängel, die das Buch hat: Es ist unhandlich. Und es ist zu teuer.
Als Mitte Januar der Buchautor Joachim Käppner in Greifswald war, hat der webMoritz ein kurzes Gespräch mit ihm über sein Buch und Beitz‘ Wirken in Vorpommern geführt.
webMoritz: In Ihrem Buch heißt es, ohne Beitz gäbe es die Uni heute womöglich nicht mehr. Warum?
Dr. Joachim Käppner: Beitz hat sich extrem dafür eingesetzt, dass Greifswald Wissenschaftsstandort bleibt und größer wird, weil er das Gefühl hatte, wenn so eine kleine Stadt in so einer abgeschiedenen Lage nicht etwas Besonderes zu bieten habe, dann hat sie ein Problem – noch dazu, wenn sie in dem Zustand ist, in dem Greifswald nach der Wende war. Es muss ja für Investoren, Besucher oder auch für Krupp-Fellows irgendwelche Gründe geben, hierher zu kommen. Und da reicht es nicht, sich verfallene Fassaden anzusehen.
webMoritz: Wieso kann sich Berthold Beitz erlauben, die Gelder der Alfried-Krupp-Stiftung in besonderem Maß für Greifswald einzusetzen? Alfried Krupp und Greifswald verbindet nicht viel.
Käppner: Dazu gibt es eine interessante Geschichte. Denn manche Leute könnten natürlich auch sagen, es sei ein bisschen anstößig, wenn der Verwalter des Geldes der Krupp-Stiftung dieses in seiner Heimat ausgibt. Die Krupp-Stiftung hat den Auftrag, ihr Geld für gute Zwecke, etwa die Förderung von Wissenschaft und Kultur, auszugeben und das hat Beitz in Greifswald ja schon in den 80er Jahren gemacht. Da ist dann also zur Wendezeit die Frage entstanden – auch bei ihm selbst –, ob das eigentlich okay ist. Man könnte ja auch Wuppertal oder Anklam oder welchen Ort auch immer fördern. Es ist dann wohl Johannes Rau gewesen, der auf diese Einwände etwas gesagt haben soll wie: ,Sie haben aber doch die ganzen Kontakte dahin, sie kennen sich da aus, sie kennen die Leute und das muss man doch als etwas auf der Haben-Seite begreifen.‘ – Denn wenn man in eine beliebige Stadt geht, sagen auch alle anderen: „Warum nicht wir?“ Die Krupp-Stiftung hat sich dann aber auch bemüht, sich über Greifswald hinaus in den neuen Bundesländern zu engagieren – etwa in Brandenburg. Aber Greifswald und Umgebung ist unzweifelhaft der Schwerpunkt und Beitz ist damit zufrieden. Und wenn man die Ergebnisse sieht, ist das ja auch großartig. Ich bin jetzt zum ersten Mal seit 20 Jahren hier und die Veränderung ist umwerfend. Als ich kurz nach der Wende für das ZEIT-Magazin hier war, sah die Stadt grauenvoll aus, als habe der Krieg hier besonders getobt und sei gerade erst zu Ende gewesen.
webMoritz: Wie spricht Berthold Beitz über Greifswald?
Käppner: Er spricht emotional von Greifswald. Er liebt seine alte Heimat sehr und war sehr froh, als er Anfang der achtziger Jahre die Gelegenheit hatte, wieder hierher zu kommen. Das ist etwas, was ihm ans Herz geht. Er mag diese Art der Menschen und diese Landschaft und – etwas pathetisch gesagt – er hat diese Heimat im Herzen nie verlassen.
webMoritz: …obwohl es ihn hier ja weggezogen hat.
Käppner: Ja, das ist eine etwas gegenläufige Bewegung. Er wollte in den 30er Jahren als junger Mann gerne in die weite Welt. Er ist der erste in der Familie gewesen, der diesen sehr überschaubaren Horizont um Greifswald hier verlassen hat. Aber nach Übersee kam er dann doch nicht, auch wegen des Krieges, und später musste er dann weg wegen der deutschen Teilung. Und dass er dann im Westen aus SED-Sicht zur Inkarnation des deutschen Bosses wurde, ist ja auch ein Treppenwitz der Geschichte. Aber wie wir hier sehen: Er hat den Osten nie vergessen und auch nie als totales Feindbild betrachtet.
webMoritz: Wie kam es dazu, dass Sie das Buch geschrieben haben? Beitz wollte so etwas ja lange nicht.
Käppner: Das hatte zwei Gründe. Ich habe 2007 mit ihm ein Interview für die Süddeutsche Zeitung gemacht über seine Zeit in Polen und wir konnten ganz gut miteinander. Und nachdem das erschienen war, bin ich von verschiedenen Verlagen gefragt worden, ob ich mir eine Beitz-Biographie vorstellen könne und dann habe ich ihn gefragt. Und obwohl er so ein Projekt zeitlebens abgelehnt hat – ich war bestimmt nicht der erste, der das versucht hat –, hat er dann offenbar umgedacht. Das hängt sicher mit seinem hohen Alter zusammen und damit, dass seine Familie ihm zeitlebens gesagt hat, er müsse seine Geschichte aufschreiben. Und das ist der zweite und letztlich entscheidende Grund dafür, dass das Buch zustande gekommen ist.
webMoritz: Was muss man sich unter einer „autorisierten Biographie“ vorstellen?
Käppner: Das bedeutet, dass Beitz das gesamte Manuskript vor der Veröffentlichung lesen durfte. Ich hatte während des Projekts ein bisschen Sorge vor diesem Moment, denn was sollte ich tun, wenn am Ende hundert substanzielle Änderungswünsche gekommen wären? Aber erstaunlicherweise hat Beitz praktisch gar nichts geändert haben wollen – mal abgesehen von ein paar falschen Jahreszahlen und einigen Kleinigkeiten. Ich finde das sehr souverän von ihm.
webMoritz: Kann man so etwas wirklich noch Biographie nennen? Ist es nicht fast schon eine Autobiographie?
Käppner: Nein, eine Autobiographie ist das nicht. Das hätte Herr Beitz auch nie gemacht. Er war überhaupt zögerlich, ob es jemals ein Buch über sein Leben geben soll; er selbst wollte es jedenfalls nicht schreiben. Er hat ohnehin eine ganz sonderbare Form von Bescheidenheit und er ist nicht ein Typ, der ständig über sich spricht, um sich in der Anerkennung der anderen zu baden. So etwas erlebt man ja gerade bei Managern relativ häufig. Da ist Beitz wirklich ein anderer Typ; er braucht nicht ständig Applaus. Das macht ihn zu einem besonderen Menschen und in meinem Fall die Zusammenarbeit mit ihm extrem angenehm. Denn hätte er bei jedem Wort überlegt, wie das wohl auf diesen und jenen wirken könnte, dann wären wir heute noch nicht fertig mit der Autorisierung.
webMoritz: Warum Alfried Krupp dereinst Berthold Beitz als Generalbevollmächtigten ausgewählt hat, bleibt auch in Ihrem Buch ein bisschen rätselhaft. Haben Sie vielleicht doch eine Erklärung dafür – auch wenn sie nicht explizit im Buch steht?
Käppner: Ich finde, das steht durchaus im Buch. Ich habe im Kapitel über Beitz und Krupp versucht, das persönliche Verhältnis zwischen den beiden zu erklären. Ich glaube, die beiden haben sich nicht gesucht, aber gefunden. Beide waren Menschen, die innerlich sehr unabhängig waren und für die Vertrauen ein rares Gut war. Der alte Krupp hatte praktisch niemand, dem er vertrauen konnte, weder seinen alten Freunden noch seiner Familie. Und Beitz war zwar im Gegensatz zu Alfried Krupp jemand, der sehr gern unter Menschen war. Aber auch er vertraut nur sehr schwer und nach sehr langer Zeit – unter anderem durch die Erlebnisse in Polen. Das glaubt man gar nicht, wenn man ihn so erlebt. Aber er bleibt vorsichtig-distanziert im Inneren, auch wenn man das gar nicht merkt. Und an diesem für die beiden so seltenen Punkt, dass da jemand ist, dem man vertrauen kann, da haben sie sich gefunden. Das ist für mich die Erklärung. Daraus resultiert auch die absolute Loyalität Beitz‘ zu Krupp.
webMoritz: Und so erklärt das auch Berthold Beitz?
Käppner: Ja. Wobei er es nicht so deutlich sagt. Er sagt einfach nur: Wir haben uns gut verstanden und uns niemals hintergangen. Und heute noch fragt er sich bei allen großen Entscheidungen die er trifft: Was hätte Alfried dazu gesagt? Wobei er im hohen Alter auch ein paar Entscheidungen getroffen hat, die Alfried so sicher nicht getroffen hätte.
webMoritz: Ihr Buch enthält sehr wenige kritische Worte über Beitz. Ist er ein Mann ohne Fehler?
Käppner: Ich hatte mit dem Problem der großen Nähe zu Beitz sehr zu kämpfen und ich bin auch nicht sicher, ob es mir immer gelungen ist, genug Distanz zu wahren. Im Gegensatz zu vielen Personen, über die man Biographien schreibt, hat Beitz hauptsächlich sehr positive Dinge getan– angefangen mit den Rettungsaktionen in der Nazizeit bis hin zur Ostpolitik. Er ist auch als Unternehmensleiter in Zeiten der globalen Gier jemand, der ein etwas humaneres Modell verkörpert. Das macht es sehr schwierig, in kritischer Distanz zu bleiben. Natürlich gibt es Punkte, bei denen man sagen kann, dass er nicht alles richtig gemacht hat. Ich glaube sogar, dass er industriepolitisch vieles falsch gemacht hat – so ist etwa die Schließung des Stahlwerks Rheinhausen eine der schlimmsten Niederlagen seines Lebens.
Ein kritischerer Ton hätte dem Buch aber einfach nicht entsprochen. Ich habe ein sehr positives Bild von Beitz gewonnen.
Beitz indes, so war auf der Lesung im Krupp-Kolleg Woche zu hören, ist auch im hohen Alter bei guter Gesundheit und arbeitet immer noch täglich in seiner Funktion als Kuratoriumsvorsitzender bei der Krupp-Stiftung. „Die Arbeit macht Spaß“, habe er noch im Dezember 2010 zu seinem Weggefährten Horst Dieter Marheineke gesagt, erzählt dieser. Dass Beitz auch in Zukunft in Greifswald wirkt, ist ebenfalls möglich. Bereits 2009 erklärte die Universität gegenüber dem webMoritz, für das Neubauvorhaben in der Loefflerstraße habe Beitz eine Unterstützung durch die Krupp-Stiftung „fest zugesagt“.
Bilder: Berlin Verlag (Cover), Gabriel Kords (Käppner, Tafel), Uni Greifswald/Pressestelle (Beitz und Westermann)
Greifswald / Berthold Beitz