Ein Gastkommentar von Robert Straßburg
Mittwoch, 23.Juni 2010 – Hallen am Bahnhof in Greifswald
17:00
An diesem schönen sonnigen Mittwochnachmittag wurde die Studierendenschaft der EMAU Greifswald eingeladen, an ihrer Vollversammlung teilzunehmen und mitzubestimmen. Geladen waren also knapp 12.000 Studenten. Insgesamt 160 Studenteninnen und Studenten saßen um 17:00 Uhr auf den bereitstehenden Bierbänken. Die Leute wirkten in der nun zu überdimensionierten Halle regelrecht verloren. Eingefunden hatten sich also 1,3 Prozent der Studenten! 1,3 Prozent! Wo war der Rest? Man findet keine vernünftigen oder rationellen Gründe. Wohnraumsituation, Lehre, Essen in der Mensa, Fahrradwege, Erhalt von letzten Diplomstudiengängen, Novellierung des Landeshochschulgesetzes, studentische Medien und nicht zu vergessen der Erhalt der Lehramtsausbildung betreffen viele Studierende oder noch Kommende.
Letztes Jahr saßen über 1000 Studenteninnen und Studenten auf dem Innenhof des Alten Campus. War Arndt interessanter, die Werbung besser, der sonnige Innenhof gemütlicher oder lockte das Geld?
Der erste Teil der Vollversammlung verlief noch ernsthaft und stellte zum Glück die zentralen aktuellen Themen in den Raum und zur Diskussion.
19:00
Die Pause war ein Schnitt. Nicht einmal die Hälfte der anfangs Anwesenden kehrte zurück und entzog endgültig dieser Vollversammlung jegliche Bedeutung. Inzwischen saßen nach der Pause nur noch an die 60 Studenten in der Halle. Also 0,5 Prozent! Gefühlte ein Drittel davon waren Mitglieder des Studierendenparlaments oder des Allgemeinen Studierendenausschusses.
Verstreut auf den Bänken der Halle saßen die Restlichen – allein oder in Gruppen. Eine ernsthafte Vollversammlung, das war allen bewusst, konnte dies nicht mehr sein und veranlasste einige ältere Semester, ihre Karten zu zücken und das Skatblatt zu reizen. Anträge wurden dennoch weiterhin vorgetragen, teilweise jedoch aus dem Auditorium sehr emotional und unsachlich kommentiert. Intoleranz und Vorurteile von angehenden Akademikern, die teilweise studentische Führungspositionen innehalten, entkräfteten populistisch ernsthafte Wünsche und Interessen von Studierenden.
Um 20.15 endete die Vollversammlung und sollte ursprünglich in das „Public Viewing“ übergehen…
Gründe?!
Vieles spielt mit hinein: Die Festivalsaison, die aktuelle Fussball-WM, Prüfungen oder Vorbereitungen, der endlich eingekehrte Sommer mit Sonne. Darüber hinaus eine Auswahl an Stimmungsbildern zu der Frage nach der Teilnahme an der Vollversammlung: „Die eigene Meinung wird sowieso nicht wahrgenommen.“, „Die bewegen ja eh nichts.“, „Vier Stunden in der Halle?“, „Ich habe keine Aushänge gelesen.“, „Es war zu spät ausgeschrieben.“, „Keine Zeit.“, „Da werden schon genügend andere hingehen.“
Jedoch gab es Mails mit der Einladung, in den meisten Instituten hingen Plakate, es wurde geflyert und der AStA informierte via Newsletter darüber.
Es lassen sich zig Gründe und Ausreden finden. Aber fragt sich bitte jeder ehrlich: Sind diese Gründe wirklich so wichtig? Wie viel bin ich bereit, auf Kosten meines „Ichs“ für die Gemeinschaft herzugeben? Kann man sich einen Nachmittag überwinden oder selber zwingen? Es muss nicht mehr mit Repressionen, Gewalt, Verhaftung oder Verfolgung gerechnet werden. Die Chance, seine Meinung und Wünsche frei zu äußern besteht und einzig an diesem Tag ergibt sich die Gelegenheit basisdemokratisch teilzuhaben. Wir haben alles, wofür die Generation vor uns noch auf die Straße gehen musste. Es mag sein, dass es „nur“ die Uni und nicht die „Welt“ oder ein „historischer Moment“ ist, aber diese hart erkämpfte Möglichkeit der Partizipation und direkten Gestaltung muss als wesentlicher Bestandteil unseres Lebens verstanden werden. Eine Vollversammlung darf nicht länger als lästiger Punkt im Jahresablauf, wo sowieso nur die Gleichen reden, gesehen werden.
Wo warst du? Es ging um dich.
Danke an die, die dort waren und vorbeigeschaut haben.
Fotos: webMoritz-Archiv (Vollversammlung im Hörsaal), Gabriel Kords (Vollversammlung 2010, Hallen am Bahnhof), StuPa-AG Wahlen (Fotomontage VV 2009)
Vielleicht wäre ein Termin in der ersten Hälfte der Vorlseungszeit auch besser als in der zweiten Hälfte. Den neuen Schwung am Semesterstart (gerade der neuen Studenten) besser nutzen.
Und dann krankt die VV natürlich auch an ihrem Status. Egal ob beschlussfähig oder nicht, sie kann nicht entscheiden, sie kann nur appellieren.
Da muss sicher mehr Werbung gemacht werden. Nicht nur wann und wo die VV stattfindet, sondern auch warum es wichtig ist. Wenn es denn wichtig ist. Jede VV über die gleichen Dinge zu reden, ist ja auch nicht grad spannend.
ich finde ja, man sollte eine solche Veranstaltung dann einfach konsequent abbrechen.
ich habe im letzten semester immer mehr den eindruck gewonnen, dass der studierendenschaft die meisten ihrer ureigensten belange lichtjahre weit am hintern vorbei gehen.
und ich füge hinzu, dass ich dem ASTA nahelegen möchte, in zukunft nur noch unmittelbare beratungs- und vermittlungsfunktionen für die studentenschaft einzunehmen.
zeit, energie und geld sind dinge, die für die gestaltung von angeboten,die nicht angenommen werden, einfach zu schade sind.
Das wäre genau die falsche Reaktion. In Zukunft stehen massive Einschneidungen in die Universitäten seitens der Landesregierung an. Dem Land wäre es mehr als lieb, wenn die Studentische Selbstverwaltung endlich dicht gemacht würde. Dann könnte man sämtliche Sparkonzepte durchpeitschen, die die Unis kaputtmachen würden.
Ein besserer Ansatz ist es, dass diese Veranstaltungen in Zukunft deutlich früher beworben werden und den Studenten die Vorteile vor Augen geführt werden, die sich aus dieser lange erstrittenen Errungenschaft ergeben: eine Mitbestimmungsrecht der Studenten, was ihre Universität angeht.
sicher, da haben Sie recht.
trotzdem prognostiziere ich folgendes:
DIe Landesregierungen werden ausschließlich das tun, was sie für richtig halten.
Greifswald wird längerfristig ein Naturwissenschaftliches Forschungszentrum mit billigen Studentischen hilfskräften als Laboranten.
Die Kreisgebietsreform wird durchgeboxt.
und es wird maximal 2% der Studierenden interessieren.
"Greifswald wird längerfristig ein Naturwissenschaftliches Forschungszentrum mit billigen Studentischen hilfskräften als Laboranten."
Vorsicht! Wenn man dies ewig gebetsmühlenartig wiederhohlt, wird es eines Tages vielleicht Wirklichkeit! Wer so argumentiert, bezeugt, dass er bereits aufgeben hat, bevor überhaupt Verhandlungen laufen, Proteste stattfinden und fundierte Positionen ausgetauscht werden!
Ganz am Ende stehen politische Entscheidungen!
aufgeben käme mir nie in den sinn.
ich mache alle nase lang auf die zustände aufmerksam, versuche leute zu mobilisieren, den mund aufzumachen, sich nicht zu ergeben.
aus genau dieser tätigkeit ist leider auch in den letzten 2 jahren mein relativer pessimismus erwachsen.
aber hey, manchmal ist es auch schön, nicht recht zu behalten.
"Wir haben alles, wofür die Generation vor uns noch auf die Straße gehen musste." Dieser Satz des Autors offenbart den springenden Punkt in diesem Dilemma.
Nach meiner Meinung ist die deutsche Gesellschaft, und damit auch die Mehrheit der Greifswalder Studenten, einfach gesprochen zu satt. Man muss im Prinzip für nichts mehr "kämpfen".
Ein zweiter Aspekt könnte mit hinein spielen, wenn man an den mittlerweile stark ausgeprägten Egoismus in Deutschland denkt. Die wenigsten scheint es zu kümmern, was mit ihren Mitmenschen passiert. Allenfalls die Familie und die Freunde sind da noch von Belang.
Zwei Gründe, die meiner Meinung nach auch die verschwindend geringe Beteiligung an der Vollversammlung erklären könnte…
Naja, also so richtig was von der Vollversammlung mitbekommen habe ich auch nicht … nur kurz mal einen Flyer gesehen, der mehr wie Werbung für ne Mira-Party aussah als für eine ernst zu nehmende Angelegenheit.
"Intoleranz und Vorurteile von angehenden Akademikern, die teilweise studentische Führungspositionen innehalten, entkräfteten populistisch ernsthafte Wünsche und Interessen von Studierenden." –> hui, objektive Darstellung der GEschehnisse für die Nichtanwesenden? Wenn das vor Ort auch so abgelaufen ist, habe ich nichts verpasst.
Vielleicht liegt es ja auch neben dem denkbar ungünstig gewählten Termin einfach an der Belanglosigkeit der Vollversammlung. Da dort getroffene Entscheidungen selbst bei Beschlussfähigkeit nicht mehr als eine Empfehlung an das StuPa darstellen, hat die Teilnahme nichts mit Partizipation zu tun. Wären die Beschlüsse bindend, könnte man da auch etwas bewegen, aber so fehlt letztlich der Sinn, mal abgesehen vom "Stimmungsbild".
Und wenn ich an den Ablauf der letzten VV denke, kommt mir das Grauen. Da stehen über 1000 Studenten im Innenhof der Uni, und dann beginnt eine ewige Diskussion über Änderungsanträge, Änderungsanträge zu Änderungsanträgen, Ablaufregeln laut Geschäftsordnung, natürlich die obligatorischen GO-Anträge und Abstimmungen dazu – das tut sich doch kaum ein Student freiwillig an. Und das alles nur, damit trotz Beschlussfähigkeit letzten Endes nichts passiert. Da muss man keine fadenscheinigen Entschuldigungen suchen – das gegenwärtige VV-System führt sich quasi selbst ad absurdum.