In Mecklenburg-Vorpommern besteht auf Grund des Landeshochschulgesetzes eine Latinumspflicht für Geschichtslehrer, ganz gleich, ob sie an Gymnasien oder Haupt- und Realschulen unterrichten.
Wer also Geschichte auf Lehramt studiert, benötigt das Latinum für sein erstes Staatsexamen und muss das, solange es nicht bereits zu Schulzeiten abgelegt wurde, an der Uni nachholen. In Greifswald werden dazu zwei verschiedene Kurse angeboten. Beim ersten werden die Lateinkenntnisse über vier Semester mit je vier SWS vermittelt. Der Intensivkurs hingegen dauert nur zwei Semester. Seine Arbeitsbelastung ist aber auch mit acht SWS entsprechend hoch.
Viele Studenten zögern die Lateinkurse bis zum letzten- scheinfreien- Semester hinaus. Nur wenige schaffen ihr Studium dann in der Regelstudienzeit. Dazu hängt über vielen noch wie ein Damoklesschwert die gravierende Regelung, dass, wer dreimal durch die Latinumsprüfung rattert, für immer für das Lehramt Geschichte in Deutschland gesperrt ist.
FSR fordert Abschaffung der Latinumspflicht
Dem Fachschaftsrat Geschichte ist diese Problematik wohl bekannt. Immer wieder wenden sich verzweifelte Studenten an den ihn, um Hilfe in dieser Situation zu finden. Immer wieder wird über den enorm hohen Arbeitsaufwand geklagt. Viele Betroffene fordern die Abschaffung der Latinumspflicht, da sie sie für unsinnig halten.
Besonders wird jedoch der fehlende Praxisbezug kritisiert: Im Schulunterricht werden kaum Quellen analysiert. Schon gar nicht sei damit zu rechnen, dass jeder Schüler Latein könne. An vielen Schulen besteht noch nicht einmal die Möglichkeit, Latein als zweite Fremdsprache zu wählen.
Wolfram Löbsack, Vorsitzender des FSR Geschichte, merkt an, dass das Latinum auch in keiner Weise für das Studium erforderlich ist. „In den Seminaren wird lediglich mit übersetzten Quellen gearbeitet, jedoch nie mit Originaltexten. Es ist durchaus möglich, das Studium ohne Lateinkenntnisse quasi zum Abschluss zu bringen.“
Zudem steht der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen. „Es entfallen nicht nur mehr SWS auf Latein als auf Lehrveranstaltungen für Didaktik und Pädagogik.“ so Löbsack. „Was die Studenten für die Lateinkurse zu Hause vorbereiten müssen, ist enorm: Formen lernen, Grammatik pauken, ganze Texte übersetzen.“
Insgesamt sei der Schwierigkeitsgrad der Kurse, aber auch der Prüfung zu hoch. Dies äußere sich in einer hohen Durchfallquote. Deren genauer Wert wird zwar nicht veröffentlicht, beim FSR sieht man in dieser Praxis aber den Beweis für eine hohe Quote.
Dr. Lars Deile vom Arbeitsbereich Fachdidaktik der Geschichte bringt die Meinung vieler Studenten auf den Punkt: „Das Latinum ist sinnvoll, aber in den Anforderungen nicht zu rechtfertigen. Wenn das Kultusministerium die Studienzeiten schon verkürzen will, dann sollte man beim Latinum anfangen.“
Beim Fachschaftsrat sieht man das ähnlich. Wolfram Löbsack und seine Mitstreiter setzen sich für die Abschaffung der Latinumspflicht in Mecklenburg- Vorpommern ein. „Im Interesse der Studenten und Schüler sollten die Lehramtsstudenten lieber auf ihre künftige Rolle als Lehrer umfassender vorbereitet werden, statt so viel Energie in Latinum zu investieren, das lediglich als Prestigequalifikation gilt.“, so Wolfram Löbsack.
Als Alternativen schlägt er mehr Didaktikstunden oder schulpraktische Übungen vor, hält aber auch das Ausweichen auf Sitzscheine oder Übungen in Alter Geschichte für sinnvoll. „Man könnte auch statt Latein eine moderne Fremdsprache erlernen, was angesichts des Migrations- und Integrationsaspekts von Schule sicher vernünftig erscheint.“, so Löbsack weiter. Um für Beistand zu werben, schrieb der Fachschaftsrat Briefe an die Bildungsbeauftragten der demokratischen Parteien im Landtag. Bisher erfuhr man jedoch nur wenig Unterstützung.
Bis es zu einer Verbesserung der Situation kommt, rät der Fachschaftsrat, wenn möglich, die benötigten Lateinkenntnisse nicht an der Universität Greifswald zu erwerben. Stattdessen empfiehlt der FSR auf Lateincrashkurse auszuweichen, wie sie etwa die Hamburger Akademie Bonae Artes anbietet. So könne man viel Zeit sparen, die sonst für die Lateinkurse an der Uni geopfert werden müsste.
Billig sind solche Intensivkurse jedoch nicht. Bonae Artes etwa verlangt für einen fünf- bis sechswöchigen Kurs 525 Euro. Eine Unterkunft ist nicht inbegriffen, auch muss die eigentliche Latinumsprüfung noch an einer Schulbehörde oder berechtigten Universität abgelegt werden.
Latinumsbefürworter stellen ihre Sicht dar
Der Lateindozent Jens Metz äußert Verständnis für die Studierenden. Er sei sich bewusst, dass die Latinumskurse eine große Belastung darstellen. Dennoch teile er nicht die Argumentation der Studierenden. „Die meisten dieser Argumente sind einer inneren Abneigung der Studenten gegen die lateinische Sprache entsprungen. Diese erkläre ich mir durch den Lernaufwand und die Prüfungsangst.“, so Metz.
„Die Durchfallquote veröffentliche ich aus zwei Gründen nicht. Erstens, um die Diskussion nicht weiter anzuheizen. Zweitens bin ich mir bewusst, dass infolge der Tatsache, dass viele Studenten das Latinum bis kurz vor dem Staatsexamen aufschieben, die Latinumsprüfung zu einer Art ‚Zulassungsklausur‘ für das Staatsexamen hochstilisiert wird, und drittens werden bzw. wurden in Greifswald von Prüfungen dieser Relevanz nie Durchfallquoten herausgegeben.“
Für das Nichtbestehen einiger Studenten macht er ein fehlendes Grundverständnis von grammatischen Strukturen und die Abwesenheit der Studenten von den Kursen verantwortlich. Wer alleine versuche, die komplexen Strukturen der lateinischen Sprache zu begreifen, mache es sich noch einmal enorm schwer.
Den Latinumstourismus, die Latinumsprüfung etwa an einer Schule oder in einem anderen Bundesland abzulegen, hält er für problematisch. An der Universität Greifswald kenne man die Prüfer und wisse auch als Student, welche Lektüre einen erwartet. Lege man das Latinum etwa an einer Schule ab, könne man mit Dichtung oder anderen, schwierigeren Texten konfrontiert werden, die an der Uni nicht behandelt und deshalb auch nicht abgeprüft werden würden, so Metz.
Von Seiten der Studierenden wird aber vor allem damit argumentiert, die Lateinkenntnisse hätten weder im Studium selbst, noch im späteren Beruf einen Praxisbezug und kämen kaum zur Anwendung. Bestreiten will dies von Seiten der Latinumsbefürworter niemand.
Dr. Bernard van Wickevoort Crommelin vom Lehrbereich Alte Geschichte weist jedoch darauf hin, dass gerade ein Praxisbezug im Studium zwar wünschenswert, aber nicht machbar sei: „Da Bachelor-Studenten keine Lateinkenntnisse benötigen, kann in Seminaren nicht mit lateinischen Originalquellen gearbeitet werden. Ansonsten müssten für Bachelor- und Lehramtsstudenten zwei unterschiedliche Seminare angeboten werden. Das ist natürlich nicht möglich“, so van Wickevoort Crommelin.
Eine Abschaffung des Latinums halten sowohl Metz als auch van Wickevoort Crommelin für problematisch: „Die meisten Bundesländer verlangen das Latinum von ihren Lehrern. Ich kann es nicht verantworten, wenn ein Student aus Greifswald seinen Studienort nicht wechseln könnte oder später keine Arbeit in einem anderen Bundesland aufnehmen darf, nur weil M-V das Latinum nicht von seinen Lehramtsstudenten verlangen sollte“, so van Wickevoort Crommelin. Metz gibt weiterhin zu bedenken, dass nicht jeder, der auf Lehramt studiert, auch Lehrer wird. „Ich selbst bin das beste Beispiel.“, so Metz. „Ohne Latinum wäre den Studenten dann aber auch der Weg in die Forschung versperrt.“
Dem Argument, Latein sei spätestens seit dem Mittelalter ein tote Sprache, widerspricht Metz. Latein sei mehr als 2000 Jahre die Weltsprache gewesen und bis ins 19. Jahrhundert die Wissenschaftssprache – wie heute Englisch. „Wer also den Wert der historischen Weltsprache Latein untergräbt, untergräbt per se auch den Wert der aktuellen Weltsprache Englisch“, fügt Metz an.
Van Wickevoort Crommelin wirft einen weiteren Aspekt auf: Die Sicht des Wissenschaftlers. „Ich denke, die ganze Problematik wird viel zu formal gesehen. Die Diskussion darf in keinem Fall nur unter Gesichtspunkten der Verwertbarkeit des Latinums geführt werden, etwa im Unterricht. Es geht primär um die inhaltliche Dimension.“, gibt van Wickevoort Crommelin zu bedenken.
Insofern soll mit dem Lateinischen vor allem die Fähigkeit zur Interpretation und Deutung von Sprache vermittelt werden. „Es geht also um die dahinter stehende Deutung von Welt, im Sinne von Weltsicht, und um das Verstehen von Denkweisen.“
Kommission berät Lösungsvorschläge
Aber auch auf Seiten der Latinumsbefürworter will man die Probleme der Studenten nicht kleinreden. Es gibt verschiedene Vorschläge, die zurzeit unbefriedigende Praxis zu ändern. Jens Metz etwa schlägt die Einführung eines Propädeutikums, also Vorstudiums vor, in dem die terminologisch-metasprachlichen Grundlagen für das Studium geschaffen werden sollen – auch das Latinum.
Weiterhin berät man, eine bestimmte Semestergrenze einzuführen, bis zu der das Latinum spätestens abgelegt werden muss. Damit soll verhindert werden, dass Studenten ihr Staatsexamen praktisch in der Tasche haben, jedoch am Latinum auf den letzten Metern scheitern.
Im Laufe dieses Semesters noch will eine Kommission von Lehrenden über das weitere Vorgehen beraten. Ihr werden neben Jens Metz auch Prof. Dr. Stamm- Kuhlmann, derzeit Direktor des Instituts, und Professor Dr. Spieß, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Geschichte des Mittelalters, angehören.
Bildquellen:
Startseite: flickr (veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz, aufgenommen von -Marlith-)
Wolfram Löbsack: Homepage des FSR Geschichte, keine CC-Lizenz
Historisches Institut: Homepage des Historischen Instituts, keine CC-Lizenz
Guter Artikel! Ein paar Anmerkungen:
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(Womit wohl auch erklärt ist, warum ich mit dem Thema relativ viel Erfahrung habe.)
– Eine Möglichkeit, die der Universität durchaus offen stünde (auch wenn dies natürlich schwieriger ist, wenn die Latinumspflicht nicht einfach auf Grudn der Studienordnung, sondern des Landeshochschulgesetzes besteht), wird gar nicht in Betracht gezogen: Daß statt des Latinums ein unversitätsinterner Sprachnachweis gefordert wird. Das Schlimmste am Latinum ist gar nicht, daß es so furchtbar schwer ist. Schwer ist es sicher auch, aber das eigentlich Schlimme ist der ungeheure Druck durch die maximal drei Prüfungsversuche – und das lebenslang und bundesweit. Bei einem uniinternen Sprachnachweis könnte diese Begrenzung fallen. Studenten würden sich eher in die Prüfung trauen, manche würden es schneller schaffen, die schiere Angst, die Vielen das Bestehen des Latinums so schwer macht, wäre viel, viel kleiner, weil man schlimmstenfalls ein halbes Jahr verliert und nicht ein ganzes Studium. Eine solche Lösung wäre ein fairer Kompromiss zwischen der durchaus gerechtfertigten Ansicht, daß Latein für das Geschichtsstudium doch öfters noch wichtig sein kann und dem Wunsch der Studenten, wegen einer oft nur begrenzt nützlichen Sprache ihren Berufswunsch aufgeben zu müssen. Gerade mittelalterliche Quellen liegen sehr häufig nicht übersetzt vor, Latein für Historiker ist also durchaus nicht unsinnig, andererseits muß ein Lateinnachweis ja nicht immer gleich das mit formalen Hürden gespickte Latinum sein.
– Die Aussage, man solle von einer Prüfung an der Schule oder in anderen Bundesländern Abstand nehmen, weil man nicht wisse, womit man da konfrontiert würde, ist grob falsch. Da das Latinum durch eine KMK-Vereinbarung geregelt ist, hat man hier sehr große Sicherheit hinsichtlich dessen, was genau verlangt wird und wie es bewertet wird. Aus der KMK-Vereinbarung: „Mit der Zuerkennung des Latinums wird die Fähigkeit bestätigt, lateinische Originaltexte im sprachlichen Schwierigkeitsgrad inhaltlich anspruchsvollerer Stellen (bezogen auf Bereiche der politischen Rede, der Philosophie und der Historiographie) in Inhalt, Aufbau und Aussage zu erfassen.“ (Vollständiger Text zum Download: http://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuell… Wenn einem da in der Prüfung Ovid vorgelegt wird, sollte man dagegen klagen können. Im übrigen erteilen die zuständigen Schulbehörden bzw. Prüfungskommissionen in der Regel auch gerne Auskunft zu den üblichen Anforderungen (für Studenten aus Greifswald wäre in der Regel das Schulamt Greifswald zuständig). In vielen Bundesländern (aber nicht allen!) ist z.B. eine Einschränkung auf Cicero üblich. Gerade die staatlichen Prüfungen sind in dieser Hinsicht sehr stark normiert, vielleicht wäre es gut, wenn sich die Universität in ihren Vorbereitungen daran orientieren würde, statt Studenten den Weg zur staatlichen Prüfung unnötig zu verbauen. Es ist erfreulich, wenn die Uni Greifswald selbst prüft, aber je mehr Alternativen eine Student hat, desto besser, schon aus rein organisatorischen Gründen.
Ich hab mein Latinum gemacht. Es ist eine tolle Sprache, ich habe viele tolle Erkenntnisse gewonnen und mein sprachliches Grundverständnis vertieft. Ich kann jedem empfehlen Latein zu lernen.
Aber: Eine Notwendigkeit für den Lateinunterricht an Schulen jedweder Art ist einfach nicht gegeben! Manche Quellen mag es nicht in übersetzter Form geben, aber die für den Unterricht relevanten sind eindeutig vorhanden. Das Latinum ist für einen GeschichtslehrerIn eine Luxusqualifikation, die an der Realität von 99 % aller Schulen vorbei geht.
Das einzige überzeugende Argument für die Latinumspflicht ist, dass es in anderen Bundesländern verlangt würde. Hier fand ich den Kompromiss von "APohlke" sehr ansprechend.
Das Problem ist ja, dass Lehrer in erster Linie Wissenschaftler und nur Teil-Pädagogen sind. Die Latein-Pflicht ist nur die sichtbare Spitze eines Eisbergssystems, dass insich nicht stimmig ist.
Die Schüler als Menschen sollten im Vordergrund stehen und nicht die wissenschaftliche Ausbildung.
Liebe(r) Frau/Herr Pohlke,
leider ist Ihre Sichtweise zu eng. Es ist zwar einerseits richtig, dass ein bestimmter Autorenkanon für das Latinum in Frage kommt; andererseits ist es aber so, dass infolge der knappen Zeit nicht jeder dieser möglichen Prüfungsautoren in den Latinumskursen der Universität gelesen werden kann. Wenn innerhalb der Universität Cäsar und Cicero gelesen werden, ist davon auszugehen, dass diese auch in der Prüfung drankommen. Wer aber "Latinumstourismus" betreibt, läuft Gefahr, dass er sich z.B. im Rahmen der universitären Latinumskurse mit diesen Autoren beschäftigt, aber dort, wo er/sie sich der Prüfung unterzieht, d.h. nicht an ihrer/seiner "Heimat- Uni", ein anderer "erlaubter" Autor drankommt, mit dessen Sprache und Stil sowie ggf. Vokabular man nicht zurechtkommt. Darin besteht die Problematik des Latinumstourismus`.
Im Übrigen: Wer in Deutschland dreimal durch das Latinum fällt, hat nur noch die Chance, ins Ausland zu gehen, und beispielsweise in der Schweiz ist- wie ich selbst gesehen habe- Ovid durchaus ein Prüfungsautor. Insofern ist die von Ihnen kritisierte Aussage alles andere als "grob falsch".
Schön, dass der Artikel beide Seiten zu Wort kommen lässt.
Zu Herrn Metz:
Veröffentlichung der Durchfallquote: Er veröffentlicht sie nicht. "Erstens, um die Diskussion nicht weiter anzuheizen." – Das zeigt, dass sie verdammt hoch sein muss.
"(…)und drittens werden bzw. wurden in Greifswald von Prüfungen dieser Relevanz nie Durchfallquoten herausgegeben.“ Das stimmt schlicht nicht. Ergebnisse der Logikprüfungen (Philosophie) werden öffentlich ausgehangen. Die Methodenklausur, die bei vielen Bachelorstundeten für Unmut gesorgt hat, steht eben auch wegen ihrer hohen, (bekannten), inzwischen gesunkenen, Durchfallerquoten in der Kritik.
Nutzen des Latinums in Greifswald für den künftigen Lehrer:
„Die meisten Bundesländer verlangen das Latinum von ihren Lehrern. Ich kann es nicht verantworten, wenn ein Student aus Greifswald seinen Studienort nicht wechseln könnte oder später keine Arbeit in einem anderen Bundesland aufnehmen darf, nur weil M-V das Latinum nicht von seinen Lehramtsstudenten verlangen sollte“
Da mache ich mir mal überhaupt keine Sorgen. Wenn Lehrer (in vielen Bundesländern) für fachfremden Unterricht herangezogen werden oder wie in MV für Schulstufen, für die sie nicht ausgebildet sind, und Lehrer mit Kampagnen und höheren Gehältern für andere Bundesländer abgeworben werden, dann vermute ich nicht, dass sie ihren künftigen Lehrer das Latinum verlangen. Außerdem könnte die Abschaffung des Latinums in MV ein Signal für andere Bundesländer sein. Ebenso wie bei den Studiengebühren. Sie sind kein muss. Es gab keinen Dominoeffekt. Es geht auch anders.
"Die Diskussion darf in keinem Fall nur unter Gesichtspunkten der Verwertbarkeit des Latinums geführt werden, etwa im Unterricht. Es geht primär um die inhaltliche Dimension.“ (Van Wickevoort Crommelin)
Welche? Entweder ich kann mir mit Latein Sphären für mein Studium oder meinen Unterricht erschließen oder eben nicht. Dieser Satz lässt mich vermuten, es geht um Latein an sich.
Mindestens Herr Metz lebt von den Lateinkursen und hat daher als zumindest interessenbehaftet zu gelten.
Es ist wohltuend, zu dieser inzwischen emotional hochaufgeladenen Debatte einen sachlichen Artikel zu lesen. Dafür vielen Dank. Aber ein Absatz hat mich so sehr entsetzt, dass ich ihn nicht unkommentiert lassen mag:
"Bis es zu einer Verbesserung der Situation kommt, rät der Fachschaftsrat, wenn möglich, die benötigten Lateinkenntnisse nicht an der Universität Greifswald zu erwerben. Stattdessen empfiehlt der FSR auf Lateincrashkurse auszuweichen, wie sie etwa die Hamburger Akademie Bonae Artes anbietet."
In Zeiten, in denen wir uns dagegen zur Wehr setzen müssen, dass das Studium den Kindern der sogenannten Besserverdienenden vorbehalten bleibt, macht ein FSR Werbung für einen kommerziellen Anbieter von teuren Lateinkursen, obwohl die Studierenden an der Uni Greifswald kostenlos Sprachkurse besuchen können, die von hochqualifizierten Lehrkräften angeboten werden? Warum? Das kann ich nicht begreifen.
Dass dann sofort andere kommerzielle Anbieter auftreten, die dieses Forum hier als Plattform nutzen, um kostenlos Werbung zu machen, überrascht mich nicht, ärgert mich aber doch.
Und weil ich auch viel Erfahrung mit dem Thema habe, möchte ich den Studentinnen und Studenten einen guten Rat geben: Wenn SIe Geld übrig haben, dann investieren Sie es in gute Bücher. Die nützen immer.
Und in einer Zeit, in der alle um den Erhalt der Philosophischen Fakultät kämpfen müssten, sollte sie nicht noch künstlich dadurch geschwächt werden, dass die vermeintlich letzte Bastion der hiesigen Altertumswissenschaften durch die Abwanderung der Latein"schüler" an externe Anbieter abgegeben wird.
Daß für einen (von bundesweit mindestens einem Dutzend) Anbietern von Lateincrashkursen für genau einen in dem Artikel ausführlich Werbung gemacht wird – nun gut, vielleicht kannte der Autor nur diesen einen Anbieter. Daß dann Hinweise auf andere Anbieter zensiert werden mit der Begründung, der Hinweis sei Werbung – das finde ich dreist. Man kann sehr wohl auch neutral von "Lateincrashkursen privater Anbieter" reden und den Studirenden, die sich dafür interessieren, die Internetrecherche überlassen, wenn einem Werbefreiheit wichtig ist. Wenn man sich aber für Namensnennung entschieden hat, sollte gleiches Recht für alle gelten.
Zum Vorwurf der "Kommerzialität" – die Dozenten an der Universität arbeiten auch nicht aus purer Menschenfreundlichkeit ohne Gehalt, sondern werden von uns Steurzahlern für ihre Arbeit bezahlt (oft allerdings nicht besodners gut, wie zu ihrer Ehrenrettung gesagt werden muß). Ich würde mich übrigens dem Ratschlag, statt Universitätskurse private Kurse zu bevorzugen in der allgemeinen Form auch nicht anschließen. Die Universitätskurse sind ein wichtiger Bestandteil des Lateinerwerbs. Es wäre äußerst wünschenswert, wenn sie alle Bedürfnisse der Studenten abdecken würden. Daß es ein breites Angebot privater Kurse gibt, zeigt aber, daß genau dies den Universitäten nicht immer gelingt. Übrigens sind die Teilnehmer solcher Kurse meistens keineswegs die "Besserverdienenden", sondern sehr häufig Stundenten, die sich die Kursgebühr sehr hart selbst erarbeitet haben. Sie würden diesen für sie oft sehr schmerzlichen Aufwand an Geld und – was manchmal fast noch schwerer wiegt – Zeit kaum opfern, wenn die Universitätskurse ihre Bedürfnisse angemessen abdecken würden. Dies gelingt aber den Universitäten aus verschiedenen Gründen nicht immer. So gibt es sehr, sehr wenige Universitäten, die vergleichbare Crashkurse in den Semesterferien überhaupt anbieten, Sprachkurse der Universitäten sind fast immer semesterbegleitend. Pädagogisch kann man für und gegen Crashkurse argumentieren, das Kernproblem ist aber, daß manche Studierende semesterbegleitende Sprachkurse in ihrer Arbeitsorganisation nicht einbauen können. Manchem liegt die Arbeitsform eines Crashkurses einfach mehr, für andere stellen semesterbegleitende Sprachkurse unüberwindliche organisatorische Hürden dar, z.B. durch die Kollision der Kurszeiten mit anderen Studienveranstaltungen. Oft stehen in Universitätskursen (dies gilt jetzt nicht unbedingt spezifisch für Greifswald, sondern ist eher eine allgemeine Erfahrungstatsache) gar nicht genug Plätze zur Verfügung, so daß entweder Teilnehmer abgewiesen werden müssen oder die Kurse sehr voll sind. Durch die neuen Studiengänge ist der Druck auf die Studierenden, die vorgeschriebenen Studienzeiten einzuhalten, immens gewachsen. Ein Jahr länger zu studieren, wenn der Sprachkurs eben dieses Jahr nicht in den Stundenplan paßt, ist heute oft keine Option mehr. Hier gibt es objektive Mängel in den Angeboten vieler Universitäten. Sie sind oft zu unflexibel, nicht ausreichend und zu schwer vereinbar mit den übrigen Studienanforderungen.
Was kommerzielle Anbieter den Universitäten dadurch oft voraus haben, ist eine Serviceorientierung auf die Bedürfnisse der Studenten hin. Diese fehlt an den Universitäten manchmal nicht nur objektiv, sondern auch mental. Studierenden wird an der Universität zumindest manchmal das Gefühl gegeben, daß sie mit ihren Problemen alleine gelassen werden. Sie haben dann den Eindruck, daß man allein ihnen die Schuld für die Probleme mit dem Latein zuschiebt, selbst da, wo handfeste oragnisatorische Probleme vorliegen. Was sich Studenten bei einem kommerziellen Kurs in dieser Situation einkaufen, sind nicht nur Kenntnisse, sondern ist eine Lernsituation, in der sie das Gefühl haben, daß der Dozent ihre Probleme als seine Probleme annimmt und sich für deren Lösung verantwortlich fühlt.
Natürlich findet bei einem Nebeneinander von universitäre und privaten Anbietern auch eine Selektion statt: Wer mit den Angeboten der Universität gut klar kommt, wird nicht zusätzlich Resourcen (Zeit und Geld) in private Angebote investieren. Es stünde den Universitäten gut an, wenn sie also aus der beklagten Situation den Schluß zögen, daß sie sich mehr anstrengen sollten, die Bedürfnisse aller Studierenden besser zu berücksichtigen und so kommerzielle Anbieter weitgehend unnötig zu machen.
nur mal so als Einwurf – die Theologen müssen drei Sprachen lernen: Hebräisch, Altgriechisch und Latein, soweit ich weiß machen die zum Studienbeginn erstmal zwei oder drei Sprachsemester…
es wäre eher mal an der zeit sich zu einigen:
entweder haben alle lehrämter eine zwischenprüfung oder nicht !
dieses inofizielle institutsinterne gehabe lässt die belastung der studenten zum ende des grundstudiums und darüber hinaus stark variieren.
die anglisten müssen alle eine dritte fremdsprache belegen und das aus gründen, die nicht näher erläutert werden.
die latinumsdiskussion ist meines erachtens humbug !
wie will man denn ohne latein geschichte studieren? mit LEO ?
Ne, mit übersetzten Quellen.
– Zudem steht der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen. „Es entfallen nicht nur mehr SWS auf Latein als auf Lehrveranstaltungen für Didaktik und Pädagogik.“ so Löbsack. „Was die Studenten für die Lateinkurse zu Hause vorbereiten müssen, ist enorm: Formen lernen, Grammatik pauken, ganze Texte übersetzen.“-
16 SWS Latein vs. 21 (H/R) bzw. 22 (Gym) SWS Erziehungswissenschaft (inkl. Psychologie und Politik/Philosophie), plus 9/10 SWS Fachdidaktik (je Fach).
Meiner Meinung nach ist unsere pädagogische Aubildung dennoch ausbaufähig.
Natürlich müssen Formen auswendiggelernt werden, Regeln verstanden und angewendet werden, natürlich müssen ganze Texte übersetzt werden, doch verlangen wir nicht von unseren SchülerInnen, dass sie Daten lernen, Zusammenhänge erkennen und erklären können, gar auf andere Systeme übertragen können? Erwarten wir nicht, dass sie sich anstrengen, Interesse zeigen und sich vielleicht von unserer Begeisterung für unser Fach anstecken lassen?
Ja, der Aufwand, der schließlich zum Latinum führte, war groß. Ja, selten musste ich meine Lateinkenntnisse in Seminaren unter Beweis stellen, aber ich habe sie für Hausarbeiten genutzt. Denn ich entscheide, was ich aus meinem Wissen und meinem Studium mache. Ich entscheide, welche Quellen ich im Unterricht verwende und wie ich meinen SchülerInnen die Antike, das Mittelalter näher bringe: als etwas von der Geschichtswissenschaft komplett Durchleuchtetes und deshlab so Einfaches, das man es auf ein paar übersetzte Quellen reduzieren kann oder eben als Erkunden und Erleben einer Welt, die unserer voranging und diese prägte.
Manchmal muss man sich durchkämpfen durch Regeln und Grammtiken, manchmal muss man früher anfangen, als im letzten Semester. Ich will die Thematik nicht vereinfachen – natürlich gibt es finanzielle, zeitliche Grenzen, nicht jeder besteht die Prüfung beim ersten Anlauf, aber sie abzuschaffen, ist nicht der richtige Weg, nicht das richtige Signal.