Am 7. Juni wählt Greifswald eine neue Bürgerschaft. Der webMoritz interviewt Vertreter aller Parteien und Wählergemeinschaften. Heute: Dr. Gerhard Bartels von DIE LINKE.

webMoritz: Etwa 30% der Greifswalder sind Studenten oder Hochschul-Mitarbeiter. Welche Möglichkeiten, glauben Sie, hat die Bürgerschaft, etwas für diese Gruppe zu tun?

Dr. Gerhard Bartels: Auch wenn es sehr viele sind, sind es erstmal Bürger von Greifswald wie alle anderen auch. Natürlich ist es eine wichtige Gruppe. Die Universität ist der größte Arbeitgeber und die Studenten machen die Stadt jung. Insofern sind natürlich alle Sachen, die in der Bürgerschaft beschlossen werden wichtig, gerade auch für diese Gruppe.

Was ich mir wünschen würde wäre eine engere Zusammenarbeit zwischen der Stadtverwaltung und der Universität unter dem Gesichtspunkt, dass der Kooperationsvertrag, der ja schon sehr allgemein formuliert ist, endlich mit Leben gefüllt wird. Und da sehe ich sehr viele Spielräume. Natürlich muss man auch, was das Leben betrifft, etwas unternehmen.

dr_bartels-300x200-linke-kreisverbandAlso gerade beim Wohnraum für Studierende, wo in der Vergangenheit einfach zu viel abgerissen worden ist. Wenn man da ganze Blöcke oder wenigstens Aufgänge für Studierende aufbereitet hätte, durch die WVG zum Beispiel, hätten wir manche Sorge nicht. Für die Stadt wäre das auch gut, denn dann würde der Mietspiegel sinken.

webMoritz: In welchen dieser Bereiche sehen Sie akute Probleme?

Dr. Gerhard Bartels: Das was wir alle kennen: Studierende bewegen sich ja viel mit Fahrrädern durch die Stadt. Greifswald ist stolz darauf, dass es eine der Städte in Deutschland mit der größten Fahrraddichte ist. Aber da ist an Fahrradwegen noch viel zu tun. Also wenn ich vom Platz der Freiheit komme zum Beispiel, egal ob ich die Robert-Blum-Straße langfahre oder die Anklamer Straße – das sind ja wichtige Strecken.

„Wir brauchen ein Förderprogramm für Studentenwohnheime“

webMoritz: Wann soll sich das ändern?

Dr. Gerhard Bartels: Das ist eine gute Frage. Was wir dazu brauchen ist erst mal ein zusammenhängendes Konzept um dann zu schauen, in welcher Reihenfolge man das machen kann.

Im Moment wird es natürlich schwierig, weil viele Städtebaufördermittel – in den nächsten Jahren fast alle – in das sogenannte technische Rathaus fließen werden. Es wird also für Stadthaushalt schwer sein dort etwas zu tun. Es hat sich jetzt zum Beispiel auch gezeigt, wenn ich die Konjunkturpakete 1 und 2 sehe, dass die Stadt keine Planung für solche Dinge in der Schublade hat. Wenn sie das hätte, dann hätte man vielleicht das ein oder andere Projekt in diesem Zusammenhang mit anmelden können, aber da war ja Bedingung, dass die Planungen fertig sind. Damit das möglichst schnell in Angriff genommen wird.

webMoritz: Greifswald hat zu wenig Wohnraum zu studentischen Preisen. Was kann die Stadt tun?

Dr. Gerhard Bartels: Das ist bei der jetzigen Situation nicht ganz so einfach. Der eigentlich beste Weg liefe über die eigene Wohnungsbaugesellschaft, aber da gibt es im Moment nicht viele Reserven, was Wohnraum betrifft. Im vergangenen Herbst hatte die WVG noch 17 freie Wohnungen. Und wenn das so ist, gibt es im Moment für die Stadt nicht viele Möglichkeiten.

Ansonsten müsste man natürlich gucken, dass Investoren möglicherweise unterstützt werden, vielleicht auch unterstützt beim Einwerben von Fördermitteln. Die Gefahr ist natürlich, dass die dann auch in dem Preissegment anbieten werden, das in Greifswald sowieso schon Probleme bereitet.

Sonst sehe ich, was den Wohnraum betrifft nicht so viele Möglichkeiten, was die Stadt unmittelbar tun kann, weil das nur über die Wohnungsbaugesellschaft geht. Ansonsten ist es auch eine Forderung ans Land. Wir hatten früher ein Förderprogramm für Studentenwohnheimbau. Das ist Ende der 90er Jahre ausgelaufen und es wird höchste Zeit, dass da wieder etwas aufgelegt wird. Dafür könnte und müsste die Stadt sich einsetzen.

webMoritz: Apropos Wohnen: Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einer möglichen Neuauflage des WVG-Verkaufs?

Dr. Gerhard Bartels: Absolut dagegen! Es spricht alles dafür, dass man das unterlassen muss. Die Stadt darf ihre Daseinsvorsorge nicht verkaufen. Welche Folgen das hätte, sehen wir gerade in der momentanen Finanzkrise.

„Der Kultur-und-Sozialpass ist weitgehend entleert“

webMoritz: Thema Kultur und Soziales: Derzeit soll der Kultur-und-Sozial-Pass (KuS) reformiert werden. Welche Veränderungen fordern Sie in diesem Bereich und wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?

die_linke_mv-255x88-die_linke_mvDr. Gerhard Bartels: Also im Moment ist es so, dass der KuS weitgehend entleert worden ist. Wir haben jetzt auch zweimal zu verzeichnen gehabt, dass die geringen Mittel, die dort vorgesehen sind, gar nicht ausgeschöpft wurden. Das liegt an der Frage der Attraktivität.

Ansonsten muss man mit den Betroffenen reden, wo sie sich am ehesten Unterstützung vorstellen können. Das ist natürlich schwer für mich zu sagen, sie brauchen dort und dort Hilfe. Es ist in der Diskussion Theaterpreise zu reduzieren durch den KuS. Es könnte und müsste sicher auch, was das Schwimmbad betrifft über den KuS mehr passieren. Das sind natürlich alles Gelder.

Aber ich denke, dass das richtig angelegt wäre. Wenn ich mich zum einen über die hohe Kinderarmut in Greifswald beklage, dann muss ich auf der anderen Seite was tun. Da ist mein erster Blick auch bei den Kindern, die von Hartz 4 betroffen sind, nicht bei den Studierenden. Hier wollen wir was ändern, dazu brauchen wir aber andere Mehrheiten in der Bürgerschaft.

webMoritz: Was halten Sie von der Kündigung des Gesellschaftervertrags der Theater Vorpommern GmbH? Wie soll in Zukunft das Theater finanziert werden, wo doch das Land angekündigt hat, die Zuschüsse drastisch zu kürzen?

Dr. Gerhard Bartels: Die Kündigung dieses Vertrages halte ich für kriminell. Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, dass man in einer Situation, in der das Land über neue Theaterstrukturen gegen den Willen der Theaterträger nachdenkt, sich selber schwächt, indem man diesen Gesellschaftsvertrag kündigt. Das Theater Vorpommern mit seinen drei Gesellschaftern ist ein Erfolgsmodell. Wieso man das alles riskiert, bloß weil man sich in einer Frage nicht hat durchsetzen können, das ist wirklich nicht zu verstehen. Und für mich ist das kriminell. Wir werden auch fordern, dass die Verantwortlichen dafür zurücktreten müssen.

Das zweite Problem ist, dass das Land immer wieder versucht einzugreifen. Dabei muss man aber immer wieder sagen, dass das Land überhaupt keinen Cent Zuschüsse für die Theater gibt. Das, was da aus dem Land kommt, ist kommunales Geld. Es gibt ein Finanzausgleichsgesetz, nach dem eine Menge Geld berechnet wird, das den Kommunen zusteht. Und von dieser kommunalen Menge werden rund 35 Millionen vorweg abgezogen. Das ist aber schon kommunales Geld, also kein Landesgeld mehr. Das Geld für die Theater wird also von der Finanzausgleichsmasse vor der Auszahlung an die Kommunen abgezogen. Das heißt, das Land gibt nicht einen Cent für die Theater. Und da muss endlich was passieren.

Das Land muss sich endlich zu seinen Theatern bekennen, anstatt immer irgendwelche Kopfgeburten an neuen Strukturen zu machen, die überhaupt nichts bringen.

Die Entwicklung des Theaters in den letzten Jahren kann man eigentlich nur als positiv bezeichnen, finde ich. Sie haben sich vom Niveau her deutlich verbessert, insbesondere im Balettbereich. Ich bin dadurch zum Ballettfan geworden und lasse kaum eine Aufführung aus. Aber auch die anderen Sparten sind gut.

„Die Stadt muss die Studenten um Hilfe bitten“

webMoritz: Können Sie uns erklären, warum in Greifwald niemand das öffentliche Verkehrsnetz benutzt?

Dr. Gerhard Bartels: Keiner stimmt nicht ganz, aber sehr wenig. Das ist natürlich ein Problem. Das ist eine Frage der Kosten, vermute ich. Und Greifswald ist ja nicht so groß, als dass man nicht vieles mit dem Rad erreichen kann. Man muss dazu sagen, dass der Öffentliche Personennahverkehr schon subventioniert wird durch die Stadtwerke, etwa zu 50%.

Daran etwas zu ändern ist schwierig, weil es dabei um Millionenbeträge geht. Wie das generell zu verändern ist, ist letztlich eine Frage der großen Politik. Dass man sagt, anstatt Autobauer zu subventionieren, subventioniert man Öffentlichen Personennahverkehr. Das können wir als Kommune schwer stemmen. Auf der anderen Seite ist es so, dass man schauen muss, wo die eigentlichen Interessen derer sind, die das nutzen.

Es gibt gerade eine Umfrage, die vom Bauamt in die Wege geleitet wurde, wo 2500 Greifswalder angeschrieben wurden, was sie sich vom Verkehr wünschen. Da muss man natürlich schauen, was man daraus macht.

webMoritz: Und warum gibt es keinen Nachtverkehr?

biographie_gerhard_bartelsDr. Gerhard Bartels: Das ist natürlich schwierig. Ich weiß, dass abends so ein Kleinbus fährt, aber auch nicht die ganze Nacht. In der Regel ist aber auch der leer, wie überhaupt die Busse leer sind. Woran das liegt weiß ich nicht. Aber wer sollte nachts wohin fahren?

webMoritz: Studenten, die nachts weggehen.

Dr. Gerhard Bartels: Ja vielleicht, aber die nutzen den Bus auch am Tage kaum. Vielleicht kann man mal darüber nachdenken mit Taxen zu reden, inwiefern da subventionierte Preise möglich sind. Das muss sich für die natürlich auch rechnen. Da könnte auch der AStA mal aktiv werden.

webMoritz: Greifswald ist derzeit vor allem Ziel für Tagestouristen – länger bleibt kaum jemand. Wie kann man das Angebot attraktiver gestalten?

Dr. Gerhard Bartels: Das, was es an Angeboten gibt in Greifswald, ist so schlecht nicht. Ich habe schon vom Theater gesprochen, St.Spiritus, das Koeppenhaus und viele andere Einrichtungen. Ob Greifswald jemals eine Stadt wird, in der sich Touristen länger aufhalten, weiß ich nicht. Wir haben rundum die Inseln Usedom und Rügen, das Seebad Lubmin. Ich weiß gar nicht, ob das ein Ziel sein kann, Touristen dazu zu bringen, hier eine ganze Woche zu verbringen. Was allerdings fehlt in der Stadt ist ein gutes Konzept für Tourismus, wie für die Wirtschaftsförderung und -entwicklung überhaupt. Aber ich finde Tagestouristen für Greifswald auch nicht so schlecht.

webMoritz: Kurz und bündig: Was halten Sie und ihre Partei vom geplanten Kohlekraftwerk in Lubmin?

Dr. Gerhard Bartels: Nichts!

webMoritz: Bei den letzten Wahlen gingen gerade mal 38% der Greifswalder an die Urnen. Liegt das an den Kandidaten oder den Parteien?

Dr. Gerhard Bartels: Ich glaube es liegt daran, dass viele Greifswalderinnen und Greifswalder den Eindruck haben, dass die da oben sowieso machen, was sie wollen und dass es einfach keinen Sinn macht zur Wahl zu gehen. Das ist etwas, was die Abgeordneten ändern könnten. Sie könnten sich mehr öffnen und damit mehr Leuten zeigen, dass es Sinn macht sich einzumischen.

Wenn man Bürgerentscheide durchführt, in denen man, wenn man gegen das Befragte ist mit Ja stimmen muss, fühlen sich die Leute veralbert. Das war so bei den Befragungen nach dem WVG-Anteils-Verkauf. Wir hatten das vorbereitet und die CDU hat es dann selber in die Hand genommen und die Fragen so formuliert, dass diejenigen, die gegen den Verkauf waren mit Ja antworten mussten. Auf solche Art und Weise fühlen die Leute sich veralbert.

webMoritz: Nur 50% der Studenten haben hier ihren Erstwohnsitz. Die Stadt verliert dadurch riesige Summen. Wieso wird nicht energischer für den Erstwohnsitz geworben?

Dr. Gerhard Bartels: Also 50% ist schon mal ein positiver Schritt im Vergleich zu früher. Die Umzugshilfe, die dort bezahlt wird, hat mehr gebracht als ich gedacht habe. Man könnte hier noch mehr Anreize schaffen. Und ich denke auch, dass die Stadt  die Studenten besser einbeziehen sollte, also auch das Wissen der Studenten.

Wenn ich beispielsweise Werbekampagnen für die Stadt machen will, warum werden nicht Diplomarbeiten im Bereich der BWL viel stärker nachgefragt. Wieso fragt die Stadt da nicht um Hilfe. Genauso in der Kommunikationswissenschaft oder der Germanistik, die Sprache der Stadtverwaltung könnte Hilfe gebrauchen. Wenn ich die Leute mehr einbeziehe, werden sich die Studenten mehr verbunden fühlen zu Greifswald und dann werden sie auch eher bereit sein ihren Hauptwohnsitz hier zu nehmen. Das könnte ein wichtiger Weg sein. Hundert Prozent werden wir nie erreichen.

„Die Entwicklung der Stadt ist positiv“

webMoritz: Greifswald hat hohe Schulden. Wie soll nun – nachdem der Verkauf der WVG gescheitert ist – das Geld wieder reinkommen und der Haushalt ausgeglichen werden?

Dr. Gerhard Bartels: Ich muss erstmal mit dieser Legende aufräumen. Wir hatten vor fünf, sechs Jahren fast 40 Millionen Schulden im Haushalt. Wir sind jetzt auch unter 10 Millionen. Das sind immer noch Schulden, aber es zeigt, dass die Entwicklung der Stadt positiv ist.

Über diese hohen Schulden wird immer nur dann geredet, wenn man nichts ausgeben will, oder wenn man was verkaufen will. Wobei übrigens die Mitarbeiter der Stadtverwaltung einen großen Anteil an dieser positiven Entwicklung haben, weil sie über mehrere Jahre auf Lohngelder verzichtet haben durch den Haustarifvertrag. Das war ein wesentlicher Anteil am Schuldenabbau.

Dazu kamen in den letzten Jahren höhere Steuereinnahmen. Ansonsten denke ich, dass man schauen muss, wie man verhindert, dass das wieder mehr wird. Die Haushaltskonsolidierung steht bei uns nicht an erster Stelle, weil hier ein wesentliches Problem eine generelle Unterfinanzierung ist. Wir brauchen im Bund eine Kommunalfinanzreform.

Dann muss man sich auch überlegen, ob bestimmte Prestigeobjekte wirklich so sein müssen, wie das technische Rathaus oder die Bahnparallele.

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Ausschnitt aus dem Wahlkampfflyer der LINKEN - Klicken zur Vollansicht (PDF)

webMoritz: Ihre Homepage ist veraltet und mäßig gepflegt. Welche Rolle spielt das Internet in Ihrem Wahlkampf?

Dr. Gerhard Bartels: Eine geringe.

webMoritz: Wie sieht Ihr persönlicher Wahlkampf in den kommenden Wochen aus?

Dr. Gerhard Bartels: Wir werden viel an Infoständen sein und auf Veranstaltungen gehen. Ich werde nächste Woche mit anderen Kandidaten zusammen mit einer Berliner Initiative ins Humboldtgymnasium gehen. Wir werden also viel auf der Straße sein.

webMoritz: Die Linke hat vorgeschlagen, die Fahrpreise für den Stadtbus drastisch zu senken. Wo wollen Sie die Kosten wieder hereinholen?

Dr. Gerhard Bartels: Das könnte erst mal nur ein Experiment sein. Wenn wir den Fahrpreis halbieren und damit die Anzahl der Fahrgäste verdoppeln ist das ein Nullsummenspiel. Was aber der Umwelt zu Gute käme. Ansonsten muss man überlegen, ob man da noch mehr Geld reinsteckt. Das muss natürlich durchgerechnet werden. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass wenn die Preise niedriger sind, auch mehr Leute den Bus nutzen.

webMoritz: Was ist eigentlich aus der Aufsichtsbeschwerde gegen den Bürgermeister geworden?

Dr. Gerhard Bartels: Wir haben die Tage eine Antwort vom Innenministerium bekommen, das hat ziemlich lange gedauert. Es hat festgestellt, dass unsere Beschwerde berechtigt ist, dass der Bürgermeister nicht ohne die Gremien der Bürgerschaft diese Vergabe hätte durchführen dürfen. Der Oberbürgermeister wird aufgefordert sich in Zukunft rechtskonform zu verhalten. Das ist erstmal für uns ein Erfolg, weil wir damit endlich mal schwarz auf weiß haben, dass es in dieser Stadtverwaltung mit dem Recht nicht immer so genau genommen wird. Damit sind wir zufrieden.

Bilder:

Foto Dr. Bartels. und Flyer – DIE LINKE Kreisverband Peene-Uecker-Ryck

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