Zunächst war Carsten Schönebeck, am Dienstag noch stellvertretender Chefredakteur des webMoritz, überrascht: Mit so vielen Gästen hätte er nicht gerechnet. So viele Interessierte kamen am vergangenen Dienstag Abend in das soziokulturelle Zentrum St. Spiritus, um sechs Kandidaten für die Kommunalwahl zuzuhören und ihnen Fragen zu stellen. Bei der Podiumsdiskussion redeten vier studentische Bewerber (Klaus Stampa, Anja Reuhl, David Wulff und Franz-Robert Liskow) und zwei Kandidaten, die schon länger in der Bürgerschaft sitzen (Ludwig Spring, Gerhard Bartels). Die Themen, über die diskutiert werden sollte, streckten sich von der Infrastruktur und den Radwegen bis zum Haushalt Greifswalds. Bei der zweistündigen Veranstaltung hatten aber auch die anwesenden Gäste und die Leser am Computerbildschirm die Möglichkeit, sich per SMS oder mit einer direkten Frage einzubringen.
Insgesamt ließ sich feststellen, dass sich die Diskutierenden größtenteils relativ einig waren und leider wenig kontrovers argumentierten.
Am Anfang der Veranstaltung erläuterte Carsten Schönebeck die Hintergründe des Abends: „Bei einer Redaktionssitzung haben wir darüber gesprochen, dass viele Studenten ihr Wahlrecht gar nicht wahrnehmen. Dagegen wollten wir etwas tun.“ Auch habe der webMoritz, den Carsten in seiner Funktion für die Studenten mit den öffentlich-rechtlichen Medien verglich, einen gesellschaftlichen Auftrag: „Wir wollen Themen setzen und Interesse wecken – nicht nur im Internet, sondern im ‚real life‘.“
Vorstellungsrunde mit Barack Obama und Helmut Kohl
In der ersten Runde stellten sich die sechs Kandidaten vor. So erfuhren die Gäste, dass Klaus Stampas (SPD) politisches Vorbild Barack Obama ist, dass David Wulff (FDP) am Liebsten am Museumshafen sitzt, Anja Reuhl (Die Grünen) gern häufiger ins Theater gehen würde und Franz-Robert Liskow (CDU), der seine halbe Verwandtschaft mit zum Abend brachte, „Einheitskanzler“ Helmut Kohl bewundert.
Zu den erfahrenden Kandidaten zählen Dr. Gerhard Bartels (Die Linke), der sein Studium bereits vor 30 Jahren abschloss, und Ludwig Spring (Bürgerliste), der als seinen Lieblingsort den Bertold-Beitz-Platz benannte, „weil man von dort aus die Entwicklungen der Universität nachvollziehen kann.“ Das Kommen der beiden war nötig geworden, weil ihre beiden Fraktionen keine Studenten für die Kommunalwahl nominiert haben.
Trockenes Thema: Haushalt
Als ersten thematischen Schwerpunkt wählten die Veranstalter das trockene Thema Haushalt.Besonderes Streitthema war die Notwendigkeit der Stadthalle und der Verkauf der WVG.
Klaus Stampa von der SPD erläuterte: „Ich gehe nicht davon aus, dass 2009 einfach wird. So lange noch kein Zwangsverwalter da ist, können wir noch selbst gestalten – die Prioritäten müssen wir aber im sozialen Bereich setzen.“ CDU-Nachwuchs Franz-Robert Liskow stellte heraus, dass es nicht unendlich viele Möglichkeiten für einen ausgeglichenen Haushalt gäbe. „Der WVG-Verkauf hätte einen ausgeglichenen Haushalt gebracht, das ist leider nicht so gekommen. Die CDU setzt sich für Bildung ein, alles andere stellen wir hinten an.“ Die einzige Frau in der Runde, Anja Reuhl, meinte, dass man sich die Stadthalle hätte sparen müssen. Außerdem schlug sie vor, dass es einen Bürgerhaushalt geben sollte. „Die Ideen der Bürger sollten bedacht werden. Man könnte einen Topf für die Bürgerbeteiligung einrichten. Das gibt es in anderen Kommunen auch schon.“ Die Stadthalle sei wichtig, weil sie für Lebensqualität stehe, hielt David Wulf dem entgegen und erklärte, dass Greifswald insgesamt gar nicht schlecht da stehe. Ludwig Spring von der Bürgerliste appellierte an die studentischen Gäste, den Erstwohnsitz hier anzumelden. Derzeit sind unter 50% der Studenten mit Erstwohnsitz in Greifswald gemeldet.
Studentenfreundliche Infrastruktur
BWL-Student David Wulf meldete sich zu diesem Thema zuerst zu Wort und plädierte dafür, auf die Bedürfnisse der Studenten einzugehen: „Man sollte zuerst den Bedarf ermitteln. Eine Möglichkeit wäre, abends kleinere Busse einzusetzen.“ Klaus Stampa (SPD) sah es ähnlich und schlug die Juso-Idee vor, dass die Busse auf die Vorlesungszeiten eingetaktet werden sollten und dass Nachtbusse eingerichtet werden können. Anja Reuhl (Bündnis 90/ Die Grüne) stellte fest: „Ich sehe kein so großes Bedürfnis für die Studierenden, Bus zu fahren. Interessant wäre doch eine Busroute ins Umland, beispielsweise nach Lubmin.“ Gerade diese Aussage sorgte bei den Anwesenden für Diskussionen. „Die Verbindung ins Umland ist eine gute Idee“, bekräftigte Gerhard Bartels (Die Linke) seine Vorrednerin. Außerdem beschwerte er sich über die Höhe der Fahrkartenpreise, was auch der 21-jährige Franz-Robert unterstützte. Spring betonte weiterhin, dass die Busse doch eher für ältere Mitbürger gedacht seien und die Verbindung – bis auf den Nachtverkehr – ausreichend sei. Und mal wieder herrschte ermüdende Einigkeit.
Wie kann der katastrophale Zustand der Fahrradwege geändert werden?
Und auch bei diesem Thema ergriff Klaus Stampa als Erster das Mikrofon: „Zum einen sollten die Wege der Anklamer Straße ausgebaut werden, außerdem haben wir eine Fahrradmagistrale angedacht und schlagen einen diagonalen Weg über die Europakreuzung vor“, erläutert der 29-jährige die Ziele der Jusos. Viele Anwesende diskutierten hitzig über diese Vorschläge. Anja Reuhl stimmte ihm zu und setzt sich dafür ein, dass „es solche Dinge viel mehr geben sollte. Außerdem sollten Fahrradfahrer gleichberechtigt sein, vor allem in der Innenstadt.“ Dr. Bartels forderte eine Lösung für alle: „Ich fahre viel mit dem Auto und bin ehrlich froh, dass ich noch nie einen Radfahrer umgefahren habe. Wir brauchen ein vernünftiges Konzept.“ David Wulff schlug indes nicht zum ersten Mal vor, dass auch hier zunächst der Bedarf durch eine Umfrage ermittelt werden sollte – und hoffte darauf, dass sich die Abgeordneten in der nächsten Legislatur schnell darauf einigen können. Bürgerlistenkandidat Spring gab zu bedenken, dass die Finanzierung nicht außer Acht zu lassen sei.
Nach diesen drei Themenkomplexen hatten die Zuschauer die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Moderator Frederic Beeskow, ehemals Präsident des StuPa, äußerte: „Hoffentlich wird die Einigkeit nun entzerrt, damit wir das Profil der Parteien erkennen können.“
Diskussion durch Zuschauerfragen
Als Erster fragte ausgerechnet ein kommunalpolitischer Platzhirsch: Der Grüne Ulrich Rose wollte wissen, warum in der Stadt mehr Geld für die Subventionierung des Autoverkehrs – er sprach von Millionen – als für Radwege und Busverkehr (laut Rose lediglich Hundertausende) ausgegeben würden. Ludwig Spring (Bürgerliste), antwortete, dass er keinen Konflikt sehe, da auch der Busverkehr ein akzeptables Straßennetz benötige.
Später tauchte die Frage nach einem ligatauglichen Stadion Greifswalds auf, dass die erwartete Diskussion – wenn auch zu einem den meisten Studenten eher fernen Thema – brachte. Anja Reuhl betonte, dass der Sport wichtig und zu fördern sei, allerdings nicht nur der Fußball. David Wulf sprach sich für die Ligatauglichkeit des Stadions auf. Insgesamt wurde leidenschaftlich und viel über den Sport in der Hansestadt diskutiert.
Auch wurde der Verkauf der WVG angesprochen. Spring stellte heraus, dass die Bürgerliste gegen einen Verkauf war und erläuterte: „Wir befürworten eine Eigenkapitalverzinsung.“ Der 59 Jahre alte Bartels forderte, dass die WVG in kommunaler Hand bleiben solle und zusammen mit den Stadtwerken ein großer Dienstleister für die Bürger werden könne. „Die studentische Wohnsituation ist ja auch mein Antrittsthema. Gerade in diesem Bereich sehe ich zahlreiche Probleme, beispielsweise dass immer noch viele Studenten zum Beginn des Wintersemesters in Turnhallen übernachten müssen“, behauptete SPD-Kandidat Klaus Stampa, der von anderen Anwesenden daraufhin korrigiert wurde, dies sei bisher nie der Fall gewesen. In der weiteren Diskussion appellierte er noch einmal, dass „wir die WVG für die Studenten brauchen, die sich privaten Wohnraum nicht leisten können“. Fast philosophisch äußerte sich David Wulff: „Was geschehen ist, ist geschehen – und was in Zukunft passiert, kann ich nicht sagen. Denn die Zukunft ist in der Regel immer ungewiss.“ Franz-Robert Liskow erläuterte, dass die CDU dafür war, allerdings der Verkauf nun, ob der Wirtschaftslage, kein Thema mehr sei.
Später ging es noch um Bildungspolitik und die Einstellung der Kandidaten gegenüber Studiengebühren, die bis auf Franz-Robert Liskow und in Teilen Ludwig Spring alle ablehnen, sowie um die Zukunft des Theaters. Außerdem beklagte sich Anne Klatt über die mangelnde Transparenz der Bürgerschaft und über die Unterbindung der Bürgerbeteiligung durch die CDU. Über die Fragen, ob Greifswald Flüchtlinge aus dem Irak aufnehmen sollte, und über die Errichtung eines alternativen Kinos, wurde nur wenig diskutiert. Nach über zwei Stunden Sitzungszeit konnten nicht alle Fragen beantwortet werden, sodass Frederic Beeskow vorschlug, die Diskussion auf dem webmoritz weiterzuführen.
Der Abend klang damit aus, dass die Kandidaten noch vorgegebene Teilsätze durch Frederic vollenden sollten. Eine ungewöhnliche Abwechslung, die das Publikum gerne annahm.
So ergänzte David Wulf die vorgelegte Aussage, „Wenn Sebastian Ratjen auf Grund seiner umfassenden Wahlwerbung gewählt wird“ souverän damit, dass er ihm gratulieren wird. „Mir würde die Kinnlade runterfallen“, führte Klaus Stampa den Teilsatz „Wenn Herr Professor Joecks zur FDP wechseln würde“ fort.
Insgesamt war Carsten Schönebeck zufrieden mit der Podiumsdiskussion: „Vielleicht können wir solche Veranstaltungen zukünftig regelmäßig durchführen.“ Und Frederic Beeskow verabschiedete die Gäste mit den Worten, dass die Verantwortung bei jedem Einzelnen liege, wenn am 7. Juni gewählt wird.
Fotos: Frederike Kühnel
"Auch habe der webMoritz, den Carsten in seiner Funktion für die Studenten mit den öffentlich-rechtlichen Medien verglich, einen gesellschaftlichen Auftrag: „Wir wollen Themen setzen und Interesse wecken – nicht nur im Internet…"
Herzlichen Glückwunsch Carsten! Das hört sich super an! Viel Erfolg bei der Umsetzung!
Wer wie ich den Eindruck hatte, dass sich David Wulff als großer Basisdemokrat gab und dies mit seinem wiederkehrenden Verweis auf die Möglichkeit von Umfragen noch zu unterstreichen versuchte, dem sei das StuPa-Protokoll vom 2. Dez. 2008 ans Herz gelegt.
Wer sich Davids Verhalten im Umgang mit den Beschlüssen der Vollversammlung ansieht sollte sich fragen, was für ein Basisdemokrat hier eigentlich zur Wahl antritt.
Ich möchte die Parallele zwischen Umfragen und Vollversammlung etwas deutlicher ziehen – David forderte auf dem Podium im Zusammenhang mit den Umfragen, dass doch alle Greifswalderinnen und Greifswalder an der Umfrage teilnehmen könnten. Sehr gute Idee.
Etwas ähnliches macht die Vollversammlung – es werden alle Studierenden eingeladen, ihre Meinung abzugeben. Nun passiert es aber, dass nicht alle diese Einladung annehmen (siehe Teilnehmerzahl Vollversammlung und Rücksendequote einer Umfrage).
Die große Frage die im Raum steht: "Wenn nicht alle die Einladung annehmen, hat dann das, was diejeniegen sagen, die trotzdem gekommen sind, keine Bedeutung mehr?"
Für unseren "Basisdemokraten" David, hat das, was diejeniegen sagen, die (auch) seiner Einladung gefolgt sind keine Bedeutung mehr. Von sechs Beschlüssen der Vollversammlung hat David ganze drei im StuPa abgelehnt.
Da frage ich mich, was für ein Basisdemokrat tritt denn hier zur Wahl an? Und was will er eigentlich mit Umfragen erreichen, deren Rat er am Ende eh nicht befolgt?
P.S.: In Erwartung, dass folgende Kommentare die Diskussion auf vermeintliche Mängel der Vollversammlung ziehen. (Bitte hier auch nichts dergleichen anfangen!) Auch von der Möglichkeit Veränderungen im Sinne seines "Basisdemokratieverständnisses" herbeizuführen, hat David nicht Gebrauch gemacht. Ich denke sein Gesamtverhalten weißt dann doch sehr darauf hin, dass es ihm nicht so dolle um Basisdemokratie geht…
Sein Verständnis für Umfrageerhebungen ließ ebenfalls zu wünschen übrig.
Ansonsten geb ich Eric recht, die FDP ist eine Elitenpartei, die auf den Erhalt ebendieser abzielt.
angenommen:
an der umfrage (2500 teilnehmner) nehmen ausschließlich 20 leute (alles autofahrer) teil. es kommt also raus, das keine fahrradwege benötigt werden, sonder nur noch möglichst breite straßen. würdest du dann auch wollen, dass sich die stadt an dieses ergebnis bindet?
wenn wir mal die rücklaufquoten vergleichen wollen: die vollversammlun liegt so bei 1-2%…so eine umfrage würde hoffentlich keiner ernst nehmen.
aber schön das du die gelegenheit genutzt hast, gleich zwei deiner ansichten zu bringen:
david ist kein demokrat… und die vollversammlung sollte selbst noch mit einem teilnehmer bindend sein…
da du ja detailierte diskussionen gleich ablehnst (würde ich ja auch an deiner stelle) 😉 lass ich das jetzt mal so im raum stehen.
Man sollte zu Herrn Liskows Verteidigung sagen, dass er nach gelagerte Gebühren befürwortet. Wenn man das mit Einkommensgrenzen koppelt, seh ich die Kritik nicht: Die erfolgreichen gutverdienenden Akademiker finanzieren das Bildungssystems (wäre gemein nur die Unis zu finanzieren) – ist ja fast Reichensteuer…
Nochwas zu David Wulff (kann ich aus technischen Gründen nicht als Reply posten):
Seine Forderung, die aktuell laufende Umfrage zur Verkehrssituation in Greifswald, für die 2500 Teilnehmer per Post befragt werden, im Internet auch für alle übrigen Greifswalder zugänglich zu machen, ist meines Erachtens verfehlt.
Ein solches Vorgehen würde die Repräsentativität der Studie erheblich schmälern, weil dann die Internet-Nutzer die Ergebnisse ganz erheblich beeinflussen könnten, weil sie einen signifikant höheren Anteil an ihnen hätten als die übrigen Bevölkerungsgruppen. Außerdem fehlt zurzeit ein System, mit dem sichergestellt ist, dass jeder Greifswalder nur einmal an der Umfrage teilnimmt.
vielleicht solltest du erst kurz nachschauen und dann was sagen.
es gibt so ein system…ich habs selbst gebaut ;)…also von daher…
http://greifswald-verkehr.de/
war sogar hier auf dem webmoritz verlinkt.
was david meinte, war einfach jedem greifswalder einen entsprechenden code zu geben.
damit könnte jeder nur einmal einen bogen beantworten
Nichtsdestotrotz bleibt die Verzerrung bestehen: Je älter/weniger wohlhabend die Leute desto weniger werden sie die online Umfrage in Anspruch nehmen (können).
Das System steht m.W. aber nur denen offen, die einen Fragebogen zugesandt bekommen haben? Und was den Vorschlag angeht, jeden Greifswalder mit einem Code zu versehen: Dann würden diejenigen mit hoher Internet-Affinität den Bogen wesentlich häufiger ausfüllen als diejenigen mit geringer Internet-Affinität.
Das System steht m.W. aber nur denen offen, die einen Fragebogen zugesandt bekommen haben, oder? Und was den Vorschlag angeht, jeden Greifswalder mit einem Code zu versehen: Dann würden diejenigen mit hoher Internet-Affinität den Bogen wesentlich häufiger ausfüllen als diejenigen mit geringer Internet-Affinität.
gut das stimmt natürlich, aber generell ist das größere problem eher, dass bei den versandten fragebögen so gut wie keine studenten dabei waren…denn die sind ja offiziell keine greifswalder…von daher wird das ergebnis ohnehin nicht allzu aussagekräftig.
auch ist bisher der anteil der antworten die online gekommen sind verschwindend gering…
von daher möchte ich behaupten, dass die varianten mit einem code für jeden und am besten noch für jeden studenten (könnte die uni bestimmt besorgen) deutlich genauer seien sollte als so.
wieso sollte man diejenigen, die greifswald um die steuereinnahmen aus erstwohnsitzzuweisungen bescheissen gleichwertig an der städteplanung beteiligen?
Ich denke er heißt Helmut Kohl – ganz schnörkellos ohne 'h' 😉
Versteh ich nicht.
Danke für den Hinweis, habe es korrigiert.
Ah, okay, dann verstehe ich es doch. 😉
Ich hätte noch ein paar Fragen an die Politiker, falls die hier auch reinschauen:
1. Warum wird der Schuhhagen mitten im Sommer renoviert, in der Zeit also, in der man die meisten touristischen Einnahmen zu erwarten hätte?
2. Wann wird der Kuhstrand wieder zum Strand? Laut Aufsteller an der Baustelle meines Wissens am 30.4.2009.
3. Welche Erklärungen gibt es dafür, dass HGW nach Berlin und Potsdam (!) die teuerste Stadt Ostdeutschlands ist?
Den Ansatz Klaus Stampas mit einem Kaltmieten-Spiegel ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, denke ich, aber er reicht bei weitem nicht aus.
Danke fürs Beantworten
Bin kein Politiker, aber zu 1 schätze ich: Das soll zu Weihnachten fertig sein…
Erst einmal zur Klarstellung, weil im Artikel der Eindruck entstehen könnte, ich habe da Unsinn geredet, der von der Konkurrenz hätte korrigiert werden müssen:
In meinem Diskussionsbeitrag erinnerte ich mich an einen Beitrag in der OZ, der mit dem Foto eines Studenten oder einer Studentin versehen war, der/die in einer Sauna untergekommen war, weil sich nichts anderes zu Semesterbeginn finden ließ. Dass also noch keine Studenten in Greifswalder Turnhallen übernachten mussten (sondern in einer Sauna) macht für mich keinen Unterschied. Und dass sich seitdem der Greifswalder Wohnungsmarkt entscheidend entspannt hätte, hat denn auch niemand zu behaupten gewagt, in Gegenteil, auch Anja Reuhl hat mir zugestimmt, dass es auch nach ihrer Wahrnehmung in Greifswald schwierig ist, bezahlbaren Wohnraum zu finden (sie sprach von teilweise bis zu 30 Bewerbern für ein WG-Zimmer; das ganze halt einmal aus der anderen Perspektive betrachtet).
Und im Deine 3. Frage zu beantworten: Weil Greifswald eine Studierendenstadt ist. Die bekommen entweder BAFöG (dessen Höhe bis zu einem gewissen Maß mit der Miete mitsteigt) oder gutes Geld von den Eltern, und solch einer Kundschaft kann man deutlich mehr Geld für Wohnungen abknöpfen als der sonstigen Vorpommerschen Bevölkerung. Zumal Studierende auch deutlich WG-freudiger sind: eine große 3-Zi-Whg für 600€ würde man in Greifswald sonst nur schwer loskriegen, aber als 3 200€ WG-Zimmer sieht das ganz anders aus.
Und ja, ich weiß, nicht alle Studenten kriegen BAFöG oder Unterstützung von den Eltern, ich selbst musste mein Studium zuletzt über einen Studentenkredit eines großen Deutschen Bank-hauses finanzieren; aber der Großteil der Studierenden fällt in eine dieser beiden Gruppen und erklären den Effekt auf den Greifswalder Wohnungsmarkt.
Mir geht es aber eben nicht nur darum, die Preise so zu halten, dass sich die Studierenden sich das leisten können und immer und sofort schönen Wohnraum finden, sondern auch darum, dass das auch auf die anderen Bewohner Greifswalds zutrifft. Und wenn man sich den letzten Armutsbericht für Deutschland oder die Arbeitslosenquoten ansieht, haben die auch nicht alle Geld zu viel.
Und der Nebenkostenspiegel (zusätzlich zum Kaltmietenspiegel) ist wie gesagt nur ein Möglichkeit. Das wichtigste bleibt, die WVG als kommunales Unternehmen der Daseinsfürsorge zu behalten, das eben gerade nicht möglichst hohe Gewinne an die Stadt abführen soll, sondern ein Instrument der Stadt sein soll, welches dafür sorgen soll, dass Wohnen in Greifswald für alle bezahlbar bleibt.
Es ist mal wieder bezeichnend, dass sich gerade die SPD auf den Neoliberalen Obama bezieht. Offenbar hat in dieser Partei noch immer keine Reflektion stattgefunden, warum Basta!-Kanzler Schröder vom Wähler abgestraft wurde…
Ein Zitat Obamas macht die vielleicht deutlicher:
We need to maintain a strategic force posture that allows us to manage threats posed by rogue nations like North Korea and Iran, and to meet the challenges presented by potential rivals like China… Indeed, given the depletion of our forces after the wars in Iraq and Afghanistan, we will probably need a somewhat higher budget in the intermediate future just to restore readiness and replace equipment."
Also auch ein Obama setzt den militärischen Kampf gegen "Schurkenstaaten" mit höherem Militärbudget fort, ihm geht es um den Konkurrenzkampf mit China, diesem wirtschaftlichen Aspekt ordnet sich seine Aussenpolitik unter.
Viel zu leicht sind wir verblendet, da Obama nach dem Nightmare Bush eine wirkliche Verbesserung für das internationale Klima ist, dass dessen Ambitionen aber bei näherer Betrachtung über einen Minmalkonsensus nicht hinausgehen, wird dabei häufig ausgeblendet. Wir sollten auch nicht vergessen, dass er an einer Eliteuni studiert hat, an der die Göttlichkeit des bürgerlichen Wirtschaftsdenkens oberste Maxime ist. Es ist insofern auch kein Zufall, dass gerade ein Präsident Obama ein milliardenschweres Unterstützungspaket für Banken geschnürt hat.
Seine Hingabe für die Wiedereinführung bestimmter Menschenrechte in den USA mögen uns auf dem ersten Blick zu tiefst humanistische anmuten, aber der zweite Blick bringt dann doch zu Tage, was der denkende Leser bereits vermutete, dass sich diese Hingabe auf einen neoliberalen Altruismus reduziert, dass Obama ebend doch genauso wie Kennedy nichts anderes ist als ein Neoliberaler mit religiösem Touch.
Nichts liegt mir ferner, als hier Heldenverehrung zu betreiben, aber bei der Wahrheit müssen wir doch schon bleiben: Das Banken-Rettungspaket namens TARP (Troubled Asset Relief Program) ist von der Bush-Regierung konzipiert und durch den Kongreß geprügelt worden. Obama hat da gar nix geschnürt, auch nix unterzeichnet, er hat allenfalls zugestimmt (bin mir nicht ganz sicher, aber ich denk schon), gemeinsam mit einer zentristischen Mehrheit im Kongreß. Von rechten Republikanern und linken Demokraten ist TARP aus unterschiedlichen Gründen kritisiert worden.
Was Obama hingegen unterzeichnet hat (Für das "Schnüren" solcher Sachen ist in den USA ohnehin der Kongreß zuständig), ist der "American Recovery and Reinvestment Act of 2009", auch "stimulus package" genannt. Der besteht im wesentlichen aus einer massiven Ausweitung staatlicher Ausgaben im Bereich Soziales, Bildung und Infrastruktur. Das stimulus package wird freilich fast nur von der US-amerikanischen Rechten bekämpft…u.a. mit Teebeuteln.
Man kann Obama ja gern vorwerfen, dass er das Steuer in der US-amerikanischen Politik nicht radikal genug herumreißt…und es gibt nicht wenige US-Amerikaner, die das tun. Obama, der es zu seinem Hauptziel erkoren hat, in den USA eine Krankenversicherung einzuführen, zum Neoliberalen zu erklären ist wirklich daneben. Und wer gar Kennedy zum Neoliberalen machen will, sollte mal Nachlesen, was Neoliberalismus eigentlich ist, und vor allem, wann der sich entwickelte.
Die Begründung des Neoliberalismus würde ich auf 1947 (Gründung der MPS) datieren und J.F.Kennedy war von 1961 bis 1963 US-Präsident, zeitlich lässt sich hier also kein Widerspruch konstruieren… 😉
Zitat Wikipedia:
Teilnehmer dieser ersten Tagung (1. bis 10. April 1947) waren unter anderem Maurice Allais, Walter Eucken, Milton Friedman, Friedrich August von Hayek, Frank Knight, Fritz Machlup, Ludwig von Mises, Karl Popper, Wilhelm Röpke, George Stigler.
http://de.wikipedia.org/wiki/Mont_Pelerin_Society
Wenn man Wissenschaft mit Politik verwechselt, kann man das natürlich so machen. Was ich meinte, war dass zu Kennedys Zeiten selbst die politische Rechte in den USA weit entfernt von dem war, was ich politischen Neoliberalismus nennen würde und was wir heute unter Neoliberalismus verstehen. Und gerade die Kennedy/Johnson-Administration(en) (über die sich außenpolitisch viel kritisches anmerken ließe) haben mit ihrem "Great Society"-Programm erheblich zum Ausbau des US-amerikanischen…naja…Sozialstaats beigetragen.
Du hast eine interessante Auffassung von Logik, die hier zu Tage tritt… Wenn ich den Faden jetzt weiter spinne, müsste Bismarck eigentlich ein Sozialist gewesen sein, da er die Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung eingeführt hat. Es ist alles eine Frage der Interpretation. Natürlich war Bismarck kein Sozialist, vielmehr stammen die Sozialistengesetze von ihm, mit Hilfe derer die Sozialdemokratie verboten wurde.
Wikipedia dazu:
Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878 dienten Bismarck als willkommener Anlass, mit einem Sozialistengesetz gegen die Sozialistische Arbeiterpartei vorzugehen. Er wollte einen „Vernichtungskrieg führen durch Gesetzesvorlagen, welche die sozialdemokratischen Vereine, Versammlungen, die Presse, die Freizügigkeit (durch die Möglichkeit der Ausweisung und Internierung) […] träfen.“
Bismarck hatte nämlich Angst, dass französische Verhältnisse (Pariser Kommune waren 1871) nach Deutschland rüber schwappen könnten und Kaiser Wilhelm fürchtete um seine Monarchie, so waren die Sozialistengesetze eine entsprechende Notbremse, um eine derartige Entwicklung zu verhindern. Bismarck war Machtpolitiker und ihm war bewusst, dass im Untergrund Widerstand gärte und so war ihm natürlich auch klar, dass das Sozialistengesetz auf Dauer nicht haltbar sein würde. Er musste also einen Weg finden, wie er der Sozialdemokratie den Wind aus dem Segeln nehmen und gleichzeitig Nutzen für die deutsche Wirtschaft erzielen könnte. 1871 war ja auch der deutsch-französische Krieg zu Ende gegangen und Bismarck sah, wie der westliche Nachbar schnell wieder erstarkte und aufrüstete. (siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Krieg-in-Sicht-Krise ) Er sah also die Notwendigkeit die Schwer- und Rüstungsindustrie massiv zu forcieren. Dies waren nun aber auch die Jahre T.A. Edison, d.h. die Glühlampe erblickte das Licht der Welt und der elektrische Strom gewann zunehmend an Bedeutung, was in der Folge dazu führte, dass immer mehr Maschinen eingeführt wurden und die Unfallzahlen in den Fabriken zunehmend stiegen. Die deutsche Schwerindustrie befürchtete einen Arbeitskräftemangel und genau dies ist der Hintergrund, warum Bismarck nun die Sozialversicherungen einführte…
Dass sein Konzept aufging, war dann auch schließlich im Gothaer Programm nach dem Ende der Sozialistengesetze zu lesen, in dem sich die Sozialdemokratie das national-chauvinistische Gedankengut Lassalles aufgriff und sich eine systemaffirmative Politik auf die Fahnen setzte, welcher auch seine Spuren im Leninschen Bolschewismus hinter ließ…
Ich denke jetzt ist klar, dass Bismarcks Sozialgesetze nichts mit sozialistischem Gedankengut zu tun hatten, sondern einfach nur zweckmäßig für die gegeben Rahmenbedingungen waren…
… und jetzt lass uns noch mal zu Kennedy kommen und vielleicht über die Kubakrise oder den Vietnamkrieg sprechen… 😉
Es sei auch ein Hinweis auf die Neoliberalismus-Definition der Bundeszentrale der Politischen Bildung erlaubt: http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=G…
Dort heißt es vollkommen zu recht: "Die meisten Wirtschaftsordnungen der westlichen Industrienationen, so auch die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland, basieren heute auf den grundlegenden Prinzipien des Neoliberalismus."
Das, was vor einigen Jahren v.a. aus Reihen der Antiglobalisierungsbewegung als Neoliberalismus als quasi kapitalistisches Novum kritisiert wurde, ist im Grunde der alte laissez faire Liberalismus, Stichworte: Freie Kräfte des Marktes und Sozialdarwinismus. Insbesondere der Neoliberalismus der Chicago Boys (Friedman und Co.) im Pinochet-Chile hat deutlich gezeigt, daß auch der laissez faire Liberalismus nicht auf die regulierende Hand des bürgerlichen Staates (am liebsten in Form einer durchgreifenden Autorität wie z.B. iene Militärjunta) verzichten mag, um sog. "Markthindernisse" wie politische Opposition, Gewerkschaften, Arbeits- und Sozialgesetzgebung, Tarifverhandlungen etc. zu eliminieren.
Der Keynesianismus (also antizyklische Marktinterventionen des Staates) hat auch in (West-)Deutschland nur selten Anwendung gefunden, dann v.a. aus Reihen der Sozialdemokratie. Heute sind im Bundestag ja eigentlich nur noch die Linkspartei und der ArbeitnehmerInnenflügel (AfA) keynesianistisch orientiert. Auch wenn der Keynesianismus die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsweise nicht wirklich angeht, gibt er doch zumindest Mittel an die Hand, die Umverteilung von unten nach oben abzubremsen bzw. die Lage der Lohnabhängigen gegenüber den UnternehmerInnen ein Stück weit zu verbessern. Um so bitterer, daß die SPD (Stichwort: "Die neue Mitte") sich von solch einer intervenierenden Wirtschaftspolitik verabschiedet hat.
Marcus habe ich nur eine Sache hinzuzufügen: Schröder wurde nie abgestraft. Einmal wiedergewählt und einmal wars doch recht knapp.
Abgestraft wurden eher das traditionelle sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Milieu in der SPD. – Und natürlich die Bevölkerung in Jugoslawien, die Rot-Grün bombardieren lies. Schröder war schließlich der erste deutsche Kanzler nach Hitler, der einen Angriffskrieg zu verantworten hat. So kann mensch auch in die Annalen eingehen.
mit kaum einer anderen aussage kann mensch sich so schnell als menschenrechte verachtender extremist disqualifizieren – glückwunsch.
Was ist denn an der Aussage Deiner Meinung nach fehlerhaft?
Ist der SPD nicht das entsprechende Milieu weggebrochen und jetzt – über die WASG – der Linkspartei zugewandert?
Lief der Bombenkrieg gegen Jugoslawien nicht unter der Rot-Grünen Regierung?
War das nicht der erste Angriffskrieg Deutschlands nach 1945?
Was ist an diesen Aussagen "extremistisch" und wie werden damit "Menschenrechte verachtet"? Was regt Dich eigentlich so auf?
Apropo Krankenversicherung:
http://socialistworker.org/2009/03/16/obama-healt…
Der eine nennt es ein Sozialprogramm, der Andere ein Investionsprogramm für die amerikanische Pharmamafia… 😉
sehr witzig wie die großen geister mal wieder von der realen und nahen welt kommunaler wahlen in selbstbeschönigende weltverbesserungsphilosohien abschweifen. allen gilt mein herzlichstes beileid aufgrund ihrer unfähigkeit zur realitätsnähe in dieser versponnenen diskussion.
Wenn man solche Zitate anbringt, sollte man doch auch mal preisgeben, wo man die her hat. Das wäre toll. Danke
AfA = gewerkschaftlich orientierter Flügel der SPD, am bekanntesten Ottmar Schreiner. Nicht zu verwechseln mit der sog. "SPD-Linken" um Andrea Nahles und Benjamin Mikfeld (beide ehemalige Juso-Bundesvorsitzende), die mit Keynesianismus so rein gar nichts am Hut haben.
Wie schaut denn das heute bei den Jusos aus? Keynesianistisch – (neo)liberal – marxistisch? Franziska Drohsel (aktuelle Juso-Bundesvorsitzende) spricht sich zwar vehement gegen "Marktradikalismus" aus, aber ob sie (und die Jusos) deshalb auf keynesianistische Positionen setzen? Markus, vielleicht kannst Du kurz aufklären. Danke!