Mehr Kopenhagen, weniger Schlagloch: In den nächsten Jahren möchte Greifswald mehr Zeit und Geld in seine Radinfrastruktur stecken. Das sei ein guter Anfang, aber noch lange nicht genug, sagt der örtliche Fahrradclub. Eine Drahteselreihe über große Pläne, gefährliche Problemzonen und kommende Baustellen.
Greifswald ist die Nummer 1 in MV. Keine andere Stadt im Nordosten schnitt im kürzlich veröffentlichten ADFC-Test besser ab. In der Umfrage erfassen der Fahrradclub und das Verkehrsministerium alle zwei Jahre den Stand des Radverkehrs in deutschen Kommunen. Bundesweit liegt Greifswald in seiner Größenklasse auf Rang 4. Den Fahrradexperten Gerhard Imhorst begeistert das Testergebnis aber nur wenig.
„Die anderen sind noch schlechter.“
Der Verkehrsplaner hat mehr als 20 Jahre im Stadtbauamt gearbeitet, er kennt die Fahrradwege Greifswalds wie kaum ein anderer. Heute ist er ehrenamtlich im ADFC aktiv. Außerdem leitet er Radführungen durch die Stadt und das Umland. Prinzipiell habe Greifswald ein gutes Radwegenetz. Das gute Abschneiden im Fahrradklima-Test sei aber „eine Frage des Vergleichs“, kommentiert Imhorst. „Man kann auch sagen, die anderen sind noch schlechter.“
Bei einem genauen Blick auf das Ranking lässt sich diese Haltung nachvollziehen: Schulnote 3,2. Für eine Stadt, die sich selbst Fahrradstadt nennt, ist das ein bescheidenes Ergebnis. Seit 2018 ist das zwar eine Verbesserung, gegenüber 2016 jedoch nur um 0,1. Besonders positiv bewerten die Greifswalder*innen die kurzen Wege und, dass das Rad für Jung und Alt gleichermaßen attraktiv ist. Fahrraddiebstahl und schlechte Ausschilderungen für Radfahrende sorgen für Punktabzug.
Der vierte Platz sei erfreulich, betont OB Fassbinder auf seinem Instagram-Auftritt, aber auch ein Ansporn, noch mehr zu tun. Bei der nächsten Erhebung wolle Greifswald die Top 3 erreichen. In den Fraktionen der Bürgerschaft gibt es schon Ideen, wie das gelingen kann.
Bis 2025 auf Kopenhagener Niveau
Im kürzlich verabschiedeten Doppelhaushalt für 2020/21 lassen sich einige dieser Vorstellungen schon erkennen. Mit 45 Änderungsanträgen setzte fast jede Fraktion auf der Sitzung am 1. März eigene Schwerpunkte. Auf den ersten Blick sehe man im Haushalt zwar kaum Radfahrprojekte, meint der Grüne Jörg König. Das liege aber auch daran, dass Radwege in Greifswald immer mit Kfz- oder Gehwegen verbunden sind.
Deren Budget wurde auf eine Million Euro pro Jahr erhöht. Dafür stimmten alle Fraktionen, die an den Änderungen beteiligt waren. Damit steht der Stadt in den nächsten zwei Jahren mehr Geld zur Verfügung, um Straßen und Wege instand zu halten. Das kommt unter anderem einigen Straßen in Schönwalde I und II zugute, die akuten Sanierungsbedarf haben, beispielsweise der Dostojewskistraße und der Lomonossowallee.
Auch der Lastentransport mit dem Fahrrad soll einfacher werden: Für die städtischen Lastenräder soll künftig eine App das Papierformular ersetzen. Aus einem Fond für klimafreundliche Projekte sollen künftig auch weitere Lastenräder finanziert werden können.
Für flüssigeren Verkehr wird am städtischen Leitprojekt weitergebaut: der Radachse vom Bahnhof nach Eldena. Bis 2023 sollen die letzten Lücken auf der Strecke geschlossen werden. Das betrifft vor allem die Anbindung der Pappelallee an die geplante Park-and-Ride-Station an der Klosterruine. Der Weg zwischen der Koitenhäger Landstraße und dem Elisenhain erhält außerdem eine Beleuchtung. Für unvorteilhafte Kreuzungen, wie etwa am Rosengarten, sollen alternative Verkehrsführungen geprüft werden.
Das ehrgeizigste fahrradpolitische Ziel geht auf den Antrag der Fraktion Linke/Tierschutzpartei zurück: 30 Euro soll die Stadt künftig pro Bürger*in und Jahr für Radwege ausgeben. Gestaffelt soll dieses Ziel bis 2025 erreicht werden. „Das sind dann rund 1,8 Millionen Euro pro Jahr. Damit kann man sehr gut sanieren“, meint der Grünen-Abgeordnete König, der auch den Mobilitätsausschuss leitet. Zum Vergleich: Im Fahrradparadies Kopenhagen liegt der Wert bei 35 Euro pro Kopf, den Spitzenwert deutscher Großstädte erreicht Stuttgart mit 5 Euro. Der Greifswalder Wert für 2020 lag bei 21 Euro pro Kopf, teilte die Stadtverwaltung auf Anfrage mit. Dies berücksichtigt die kombinierten Geh- und Radwege sowie anteilige Fahrbahnkosten bei bestehender Radverkehrsnutzung. Wie hoch der Wert allein fürs Rad ausfällt, lasse sich schwer zuordnen.
Das sagen die Fraktionen zum Radverkehr:
CDU: Alle gleichmäßig fördern
Die CDU-Fraktion betont die Wichtigkeit, alle Verkehrsteilnehmenden gleichmäßig zu fördern. Die geplanten Wegesanierungen beispielsweise in der Klaus-Groth-Straße kämen allen zugute. Auch die Beleuchtung der Pappelallee zwischen Eldena und Koitenhäger Landstraße sei löblich, da sie Rad- und Fußverkehr mehr Sicherheit bietet.
Grüne: Mehr Verkehrsplaner*innen und ein Radkonzept
Nach Aussage der Grünen-Fraktion sind die Greifswalder Wege zwar besser als ihr Ruf, die Infrastruktur liege aber trotzdem unter dem Niveau, das man von einer Fahrradstadt erwarten könne. 4 von 10 Bürger*innen Greifswalds bewegen sich mit dem Fahrrad fort. Vor allem ein neues Radverkehrskonzept müsse deswegen her, das alte aus dem Jahr 2010 sei überholt. Das Konzept werde auf Drängen der Fraktion schnellstmöglich erarbeitet. Damit die Maßnahmen am Ende aber wirklich umgesetzt werden, brauche es nicht nur Geld, sondern vor allem genügend Verkehrsplaner*innen.
Linke/Tierschutzpartei: Die Zukunft des Individualverkehrs
Die Fraktion Linke/Tierschutzpartei möchte, dass aufgeholt wird, was in den letzten Jahren liegengeblieben war. Dazu müssten Radwege durchgängiger gestaltet werden. Radfahrer*innen sollen nicht länger dem Autoverkehr untergeordnet werden. Die Fraktion befürwortet außerdem den Bau zentraler, beleuchteter und überdachter Fahrradstationen, die für Pedelecs (E-Fahrräder bis 25 km/h) geeignet sind. Sie sehe die Zukunft des Individualverkehrs klar beim Rad.
SPD: Den Radverkehrsplan umsetzen
Grundlegend müsse nach Meinung der SPD-Fraktion an der Umsetzung des Radverkehrsplanes gearbeitet werden. Das bedeute auch die nötige Finanzierung. Angestrebt werde ein Konzept für Schönwalde I und II. Alles in allem müsse der Umstieg aufs Fahrrad leichter werden, das betrifft zum Beispiel Diensträder für die Stadtverwaltung, die barrierefreie Umgestaltung von Bordsteinen und neue Möglichkeiten zur Ausleihe von Lastenrädern. An Hauptverkehrsadern brauche es separate Radwege und in Wohngebieten bessere Stellplätze.
Die zwei Fraktionen AfD und BG/FDP/KfV antworteten nicht auf unsere Anfrage. Die Fraktionen hatten die Änderungsanträge zum Haushalt abgelehnt.
In Teil 2 und 3 dieser Reihe werfen wir einen Blick auf die Sicherheit im Greifswalder Radverkehr und auf die geplanten Maßnahmen, die das Radfahren künftig besser machen sollen.
Beitragsbild: Marcel Knorn