„Zwischen den Hügeln, dort sollen sie liegen“, sagte mir ein Student vor nicht so langer Zeit. Gesagt, getan. Der Wetterbericht wurde aufmerksam verfolgt, die Fähre gesucht, die Sachen gepackt – den Farbfilm nicht vergessen – und dann ging es los! Endlich hat die Zeit es zugelassen, Hiddensee zu besuchen. Sandstrand, Sanddorn, Sand in den Schuhen. Hier gibt es nun einen kleinen Erfahrungsbericht.
Ich will nicht sagen, dass Hiddensee eine graue Maus war, bevor Nina Hagen („Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee…“) das kleine Inselchen (ca. 19 km², knapp 1000 Einwohner – Wo sollen die sein?) anno 1974 besungen hat. Hiddensee war schon vor der DDR-Zeit beliebt und bekannt. Ich werde später noch darauf eingehen. Doch wie kann man das Eiland erreichen? Selbst als Sparfuchs kommt ein Schwimmversuch nicht in Frage. Die Reederei Hiddensee gibt auf ihrer Seite kund, dass man für eine Tageskarte von Stralsund aus gut 20 € haben möchte, von Schaprode auf Rügen sind es 18,30 €. Das geht noch in Ordnung, da man ja auch wieder zurück möchte. Die Abfahrtstabellen gibt es bei der Reederei natürlich auch. Der frühe Vogel fängt den Wurm. So stehe ich schon 5:30 Uhr an der Fähre. Ein Weilchen später öffnet sich die Tür der Verkaufsstelle und ich packe die Taler auf den Tisch. Zwei Euro mehr als geplant möchte die Frau. Mit dem zweiten Kärtchen kann ich die öffentlichen Toiletten der Insel nutzen. Dann laufe ich auf die Fähre, die zwar schon etwas älter aussieht, aber gemütlich wirkt. Das ist die erste an diesem Tag. Sie nimmt auch Lasten mit, heute z.B. einen Traktor. Es ist keine Überraschung, dass man für den Preis auch einen Sitzplatz mit Dach hat. Der Wind weht angenehm, es riecht nach Meer. So genieße ich die kurze Überfahrt (45 Minuten) unter freiem Himmel. Was das Auto jetzt wohl macht? Das verweilt während meines Aufenthalts auf Insel und Fähre auf einem bewachten Parkplatz am Hafen in Schaprode. Das Gedächtnis lässt nach, aber die Tageskarte kostete relativ wenig. Hiddensee ist eine autofreie Insel. Nur bestimmte Institutionen dürfen motorisierte Fortbewegungsmittel haben und nutzen. So groß ist die Insel aber auch nicht. Fahrräder kann man dort ausleihen oder selbst mitbringen. Ich habe mich für die eigenen zwei Beine entschieden. Welch eine Stille so früh am Morgen! Nur wenige Touristen kamen mit mir. Die anderen, die hier schon länger verweilen, sehr wahrscheinlich Urlaub machen, schlafen noch. In Vitte sehe ich mir das letzte Zeltkino an, das noch aus DDR-Zeiten stammt. Es gibt eine alte Mühle und eine blaue Scheune, von der die Nachschlagewerke meinen, dass Tourist sie gesehen haben muss. Außerdem, und das gefällt eindeutig mehr, gibt es eine Fischerkate, die mit Hexenhaus bezeichnet wird. Von dort aus geht es kurz an den Strand. Die Nacht war kurz, und hier ist es so kuschlig auf dem weichen, sauberen Sand, dass man für ein Stündchen die Augen schließen kann. Das Wasser hat leider noch nicht seine Betriebstemperatur erreicht. Was für eine Kälte! Von Vitte muss ich nach Kloster. Ich betone „nach“ – nicht ins. Kloster ist eines der „größeren“ Dörfern auf der kleinen Insel. Insgesamt gibt es vier.
Bei den Preisen bin ich bestens mit Lebensmitteln ausgerüstet, aber schon ein Weilchen habe ich keinen Sanddornsaft probiert. Knapp vier Euro wandern über den Ladentisch. Hier gibt es scheinbar alles, was man mit dieser dunkelgelben Beere verfeinern kann. Ein sehr großes Angebot. Der Zugang zur Kirche von Kloster ist kostenlos. Das Innere kann man gesehen haben. Die Decke des Gotteshauses verschlägt einem zwar nicht die Sprache, aber löst gewiss den Foto-Reflex aus. Auf dem Kirchhof um diesem herum liegen Prominente. Sofort kommen mir Berlin und FC Nordost in den Sinn. Dort sah ich vor vielen Jahren mal ein Spiel auf dem Sportplatz an der Walter-Felsenstein-Straße. Nun weiß ich auch, dass jener mit Opern zu tun hatte. Noch interessanter ist das Grab auf der anderen Seite. Ein riesiger aber einfacher Felsstein schmückt das Grab von Gerhart Hauptmann. Die nach ihm benannte, ehemalige Hauptschule in Berlin-Kreuzberg ist vermutlich bekannter als die Person selbst, die 1912 den Literaturnobelpreis verliehen bekam. Die Schlagwörter, die ihn wie Trabanten umgeben, sind „Die Weber“ und Naturalismus.
Der Besucher Hiddensees ist dagegen offensichtlich von Natur umgeben, um an den vorherigen Satz anzuschließen. Von dieser erschlagen wird er nicht, da die Gegend im Sommer wirklich traumhaft ist. Zu dieser Stunde leuchtet die idyllische Insel, die auch die Beinamen „süßes Ländchen“, „Capri von Pommern“ und „Perle der Ostsee“ trägt, schillernd gelb! Das macht der Ginster, den es hier scheinbar fast überall gibt. Auch Sanddorn läuft mir über den Weg, als ich mich dem alten Leuchtturm widme. Der will auch Geld, wenn man ihn besteigen möchte. In den Hügeln halte ich Ausschau nach Kreuzottern, aber es ist keine anwesend. Auf Hiddensee hat unsere Uni übrigens eine Forschungsstation, die sich u.a. mit dem Kreuzotter befasst. Dann erreiche ich einen Aussichtspunkt. Es geht sehr steil nach unten. Der Beobachter erkennt, dass das Wasser schon viel erobert hat. Die Buhnen sind schon alle im Blau und Grün der Ostsee verschwunden.
Wenn ich zur Swantewit-Schlucht möchte, passiere ich ein paar Ferienhäuser. Eine Nacht hier kostet die Hälfte der Monatsmiete. Preisgünstig geht anders. Und auch der Strand lädt nicht zum Bleiben ein. Ich sehe nur Steine und Algen, die jene wie eine riesige Decke einhüllen. Die paar Inseln lassen das Bild nicht so hässlich aussehen. Der Weg zum nächsten Aufgang ist beschwerlich und dauert daher ziemlich lange. Irgendwann fühlt sich der Wanderer sogar ziemlich eingeschlossen zwischen der hohen Steinwand, die die Insel vor Sandabtragung schützen soll, und der Küste. Wer nicht im Training steht, hat spätestens bei diesen inzwischen herrschenden, heißen Temperaturen keine Lust mehr auf weitere Wanderungen an diesem Tag.
Hiddensee ist die FKK-Insel der DDR. Noch heute ist es erlaubt, komplett ohne zu planschen. Für Leute, die das nicht kennen, ist das ein kleiner Kulturschock. Mehr schockiert mich an dem Tag der Zugang zum Wasser. Am Strand bei Kloster ist nur eine kleine Lücke zwischen Brocken der Steinmauer. Baden möchten die Leute heut schon, aber es ist noch klirrend kalt. Sie gehen kurz rein, doch kommen schnell wieder raus. Alles passiert unter der Aufsicht eines Bademeisters. Es ist schon fast 17:00 Uhr, und bald geht die letzte Fähre. Am Hafen belagern schon viele Touristen die umliegenden gastronomischen Einrichtungen. Mit dem Eintreffen der zugegeben noblen Fähre endet dann auch schon der kleine Ausflug nach Hiddensee. Man bekommt sehr viel geboten. Wer will, kann noch mehr Kultur erleben. Für einen Kino-Besuch ist leider eine Übernachtung nötig, da Filme nur abends gezeigt werden. Man kann aber aber schon sagen, dass sich ein Tagesausflug sehr lohnt – Preis-Leistung stimmt. Für weitere Zeitvertreibe wird dann doch mehr als nur etwas Kleingeld benötigt.
Das Zeltkino stammt übrigens nicht aus DDR-Zeiten. Na ja.