Keine Verfassung, kein souveräner Staat, keine Anerkennung der aktuellen Staatsgrenzen: die sogenannten Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik Deutschland ab. Alles nur harmlose Spinnerei oder doch eine reelle Gefahr?

Greifswald, vor wenigen Tagen: zwei Polizeibeamte kontrollieren drei Verkehrsteilnehmer aufgrund einer Verkehrsordnungswidrigkeit. Gegen einen von ihn lag bereits ein Haftbefehl vor, welcher nun vollstreckt werden sollte. Was dann geschieht ist erschreckend und zeigt beispielhaft, wie niedrig die Hemmschwelle zu derartigen Taten von sogenannten Reichsbürgern ist. Die Polizeibeamten erfahren aktiven Widerstand von zwei Männern und werden von ihrer Mutter mit Reizgas attackiert, nachdem diese einen Haftbefehl gegen einen ihrer Söhne vollstrecken wollten. Der Beschuldigte konnte sich befreien und setzte ebenfalls das Reizgas der Mutter gegen die Beamten ein, wonach er die Flucht ergriff. Ein noch erschreckenderes Beispiel von der Gefährlichkeit dieser auftretenden Reichsideologie zeigt eine Hausdurchsuchung in Bayern von vor zwei Wochen. Ein SEK-Beamter wurde im mittelfränkischen Georgensgmünd dabei getötet, darüber hinaus drei weitere verletzt, nachdem ein sogenannter Reichsbürger das Feuer auf die Beamten eröffnete. In einigen Bundesländern werden bereits diese sehr unterschiedlichen Gruppen der Reichsideologen als teilweise rechtsextrem eingestuft und vom Verfassungsschutz beobachtet. Doch nicht überall, die Kritik wird (wieder) laut, der Verfassungsschutz sei wieder einmal auf dem rechten Auge blind und würde die tatsächliche Gefahr von Rechts verharmlosen. Die Aufklärung über die Inhalte und die Gefahren der Reichsideologie scheint gerade erst zu beginnen. Man stellt sich die Frage: Wer sind überhaupt diese sogenannten Reichsbürger? Welche Ziele verfolgt die Reichsideologie? Und wurde das Problem in den vergangenen Jahren als „harmlose Spinnerei einiger Verschwörungstheoretiker“ abgetan?

Über die Reichsideologie

Der Grundgedanke geht auf die 1952 verbotene „Sozialistische Reichspartei“ zurück und beinhaltet  die Fortexistenz des Deutschen Reiches. Einige Beobachter und Reichsideologieexperten wie beispielsweise Andreas Vorrath gehen davon aus, dass der Grundstein für die heutigen Strukturen schon in den 1980er Jahren gelegt wurde. 1985 gründete Wolfgang Gerhard Günter Ebel, welcher zuvor durch seine Anstellung bei der „Deutschen Reichsbahn“ in der DDR eine lebenslange Amtszeit als Staatsbeamter des immernoch existenten Deutschen Reiches ableitete, die erste, sogenannte „kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ (KRR). Als selbstinszenierter „Reichskanzler“ gewann er Anhänger für die abstrusen Gedanken der Reichsideologie, aus der sich weitere „Ministerposten“ und Gruppierungen im Laufe der Jahre entwickelten.

Die eher heterogene Gruppe der sogenannten Reichsbürger besteht aus verschiedenen Personengruppen, von Verschwörungstheoretikern bis hin zu Rechtsextremen. Während esoterisch- und verschwörungsbehaftete Vertreter eher eine diffuse Abgrenzung zur Demokratie propagieren, glauben andere an den Fortbestand des Deutschen Reiches und dessen Grenzen. Auch der Wunsch, zurück zum Nationalsozialismus zu kehren, steht für rechtsextreme Vertreter im Vordergrund. Wie genau der Anteil der Rechtsextremen ist, lässt sich nicht eindeutig klären. Das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg geht in dem Verfassungsschutzbericht 2015 davon aus, dass von den etwa 300 behördlich bekannten „Reichsbürgern“ (die Dunkelziffer soll deutlich höher liegen) etwa 8% behördlich bekannte Rechtsextremisten sind. Im Kern dieser gesamten rechten Reichsideologie steht die Ablehnung der Demokratie, der geschichtsrevisionistische Gedanke und der Antisemitismus, wonach auch der Holocaust geleugnet wird. Das Grundgesetz als Verfassung der Bundesrepublik Deutschland wird nicht anerkannt und dem Staat seine Legitimiation abgesprochen. Gegenüber diesen Behauptungen und dem gebietsrevisionistischen Propagieren, das Deutsche Reich und dessen Grenzen würden weiterhin bestehen, stehen einige Konsequenzen der Reichsideologen. Da die Bundesrepublik demnach illegal und völkerrechtswidrig anzusehen ist, lehnt man beispielsweise die Zahlung von Steuern ab, ignoriert Amtsbescheide, Vorladungen von Gerichten und stellt die Gesetze infrage. Man ignoriert die Tatsache, strafrechtlich verfolgt zu werden, da man sich scheinbar auf der legitimen Seite des Rechts befände.

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(Screenshot: Amadeu Antonio Stiftung, Broschüre »Wir sind wieder da« Die »Reichsbürger«: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien, Seite. 7)

Über die Gefahren der Reichsideologen

Von der Erstellung eigener Ausweise und Urkunden statt der Anerkennung des Personalausweises bis hin zur Ausübung eigener Gesetze, der Einführung einer eigenen Währung und eigener Königreiche ist den Fantasien der Reichsanhänger keine Grenzen gesetzt. Doch hinter dem künstlichen Konstrukt eines anderen Daseins steckt eine bei genauerem Blick erkennbare, menschenfeindliche und rechtsextreme Ideologie. Dieses gefährliche Potential zeigte in jüngster Vergangenheit, zu welchen Taten Reichsideologen in der Lage sein können, was das Beispiel Daniel S. aus Berlin zeigt. Im April 2012 geriet der sogenannte Reichsbürger in bundesweite Schlagzeilen, als man auf seinem Gelände große Mengen Chemikalien zum Bau von Sprengsätzen fand. Der Grund für die Durchsuchung waren fehlende Steuerzahlungen, welche der Berliner aufgrund der für ihn nicht geltenden gesetzlichen Regelung in der Bundesrepublik Deutschland ablehnte. Für die Durchsetzung ihrer Gedanken und Ziele wird nicht selten auch das Mittel der körperlichen Gewalt herangezogen, was der kürzliche Vorfall bei einer Verkehrskontrolle in der hiesigen Stadt zeigt. Noch erschreckender und gefährlicher wird es, wenn Morddrohungen von Reichsideologen im Namen des Reiches verschickt werden und die Unversehrtheit des eigenen Lebens gefährdet wird. Die reichsideologischen, verfestigten Überzeugungen können das Gefahrenpotential zusätzlich verstärken und dafür sorgen, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt gegenüber Andersdenkenden, Staatsbeamten oder Journalisten sinkt. Wenn bei bundesweiten Razzien der Polizei dann noch Schusswaffen gefunden werden und die Erkenntnis des legalen Besitzes bestätigt wird, ist die Frage nach einer reelen und unterschätzen Gefahr mehr als berechtigt.

Die Rolle des Verfassungsschutzes

Auch berechtigt ist es, wenn man 5 Jahre nach dem Auffliegen des National-Sozialistischen-Untergrundes (NSU) fragt, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz wieder einmal auf dem rechten Auge blind sei. Zu seinen Aufgaben zählt es unter anderem, Informationen über Bestrebungen zu sammeln, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und/oder gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Wenn die Reichsideologen also die Existenz sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der Verfassung nicht anerkennen und mit dem Einsatz von Gewalt ihre menschenfeindliche Reichsideologie durchsetzen (wollen), sollten diese längst auf dem Schirm des landes- und bundesweiten Verfassungsschutzes sein. Im Falle von Bayern, Thüringen, dem Saarland und Brandenburg ist das der Fall.

Trotz dessen die Gruppe der Reichsideologen aber eine heterogene ist und man (bisher), anders als bei der Beobachtung von anderen organisierten, rechtsextremen Gruppierungen, aktuell keine eindeutige, bundesweite Organisationsstruktur erkennen kann, kündigt Bundesinnenminister De Maizière nun eine Neubewertung dessen an. Der Einsatz von Schusswaffen eines sogenannten Reichsbürgers forderte jüngst ein polizeiliches Opfer und man fragt sich, welche Gefahr eigentlich von dieser Ideologie in den unterschiedlichen Bundesländern ausgeht und wer von ihnen sogar im (legalen) Besitz einer Schusswaffe ist. Doch offensichtlich wird der Anschein geweckt, dass die Informationslage mehr als dürftig ist. Wenn in Brandenburg laut Verfassungsschutzbericht 2015 etwa 300 behördlich bekannte Reichsbürger sind, wie hoch mag dann die selbstbezeichnete „Dunkelziffer“ sein? Und von den 8% behördlich bekannten Rechtsextremisten dann wiederum auch eine nicht einzuordnende Dunkelziffer von X-%. Das zeigt vor allem eines: man tut sich schwer, die Reichsideologen unter dem Gesichtspunkt des rechtsextremistischen Gesamtphänomens zu betrachten. Man möchte nicht alle über einen Kamm scheren, solange jemand oder etwas nicht als rechtsextremistisch eingestuft wurde. Die Unterschiede sind in den Verfassungsschutzberichten der Länder sichtbar. Während in Mecklenburg-Vorpommern die sogenannten Reichsbürger nur 2008 kurz erwähnt wurden, stehen sie im brandenburgischen Verfassungsschutzbericht von 2015 unter einem eigenen Punkt „3.9. Reichsbürger“ auf fünf Seiten.

Am gestrigen Abend referierte Steffen Raithel (Referent, Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns im Bereich Rechtsextremismus, Verfassungsschutz) zum Thema: „Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde und ihr Umgang mit sogenannten „Reichsbürgern““ an der hiesigen Universität. Nach einem etwa halbstündigen Informationsvortrag zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes ging der Referent über zum Umgang mit den Reichsideologen. Er stellte zunächst klar, dass es nicht „den Reichsbürger“ gäbe und auch nicht von einer Bewegung zu sprechen sei, sondern diese vielmehr in ein Spektrum oder Milieu einzuordnen seien. Unterschiedliche Erscheinungsformen und Argumentationsmuster bestimmen nach seiner Auffassung die verschiedene Einordnung der sogenannten Reichsbürgern. Aufgrund von fehlenden Strukturen und der Verhinderung von eigener „Verdachtsfallberichterstattung“ habe man beim Landesamt für Verfassungsschutz in M-V in den Jahren 2009 bis heute darauf verzichtet, über das Thema Reichsideologie zu berichten. Wie es dieses Jahr aussieht, sei jedoch nach seiner Aussage noch nicht endgültig entschieden. Der Referent berichtete über Schwierigkeiten für Ämter bzw. andere staatliche Behörden im Umgang mit sogenannten Reichsbürgern und wurde deutlich, dass diese eben die Legitimität des Staates grundlegend infrage stellen würden, wenn sie beispielsweise ihren Personalausweis abgeben wollen. Auch die Aggressivität und Gefährdung gegenüber öffentlichen Amtsinhabern, beispielsweise Beamten in der Zwangsvollstreckung und ihren Familien gilt es nicht zu ignorieren, denn das Abschreckungspotential sei als Mittel durchaus vorhanden. Nachdem die etwa 90 Zuhörenden mehr über die Hintergründe der Entstehung, der Strukturen und die Ziele der Reichsideologie erfuhren, endete der Vortrag in einer offenen Diskussionsrunde mit einigen Nachfragen.

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Etwa 90 Leute folgten dem Aufruf des Allgemeinen Studierendenausschusses der Universität Greifswald.

Leseempfehlung des Autors an dieser Stelle: Die Amadeu Antonio Stiftung brachte 2014 eine Broschüre zu den sogenannten Reichsbürgern heraus, in der ein Überblick über die Aktivitäten von Reichsideologen, ihre Argumentationen und Erkennungsmerkmale gegeben wird.

 

Fotos: Paul Zimansky