Unter dem Motto: „Write back – Demokratie und Pressefreiheit verteidigen!“ findet morgen um 13.30 Uhr am Amtsgericht Greifswald eine Mahnwache sowie um 14 Uhr die erneute Verhandlung Marcus G’s. gegen den Betreiber des Fleischervorstadt-Blogs Jockel S. statt.
Worum geht es?
Marcus G. beauftragte im September 2015 einen Anwalt, um gegen 14 Publikationen des Fleischervorstadt-Blogs vorzugehen. Inhalt dieser Veröffentlichungen sind sowohl ein Video vom 01.09.2013, welches einen neonazistischen Übergriff auf dem Greifswalder Marktplatz anlässlich der NPD-Wahlkampftour am 29. Juli 2013 dokumentierte als auch 13 Artikel gegen die besagte Person. Der Kläger bestreitet, der mittlerweile verbotenen Kameradschaft Tor angehört zu haben, andersdenkende Demonstranten bewusst abfotografiert zu haben, überhaupt neonazistisch organisiert zu sein und widerspricht allen über ihn veröffentlichten Artikeln.
Was ist bisher passiert?
Zur Auftaktverhandlung im Juli ist der Kläger nicht erschienen. (Dejavue: bereits im Prozess gegen ihn konnte er aufgrund einer plötzlichen Erkrankung nicht am ersten Verhandlungstag teilnehmen.) Nach Adam Riese ist die Wahrscheinlichkeit aber sehr hoch, dass er morgen um 14 Uhr im Amtsgericht sein wird. Die Verhandlung ist wie beim „ersten Versuch“ öffentlich.
Wer ist dieser Marcus G.?
Am 15. April 2014 wurde der aus Berlin stammende Neonazi wegen vorsätzlicher Körperverletzung für schuldig gesprochen. Wie in dem Video (siehe unten) zu sehen, gestand er im damaligen Prozess den Tritt gegen einen NPD-Gegner. Die Vorgabe, er tat dies, um seine Freundin zu schützen, teilte die Richterin nicht. Mit der Verurteilung zu 80 Tagessätzen je 20 Euro Geldstrafe zählt Marcus G. nicht als vorbestraft. Der mittlerweile 34-Jährige zog vor einigen Jahren nach Greifswald, um ein Studium an der Universität aufzunehmen. Auf NPD-Demonstrationen und neonazistischen Veranstaltungen innerhalb sowie außerhalb Greifswalds (wie beispielsweise beim jährlichen Trauermarsch von Neonazi-Gruppen am 8. Mai 2014 in Demmin) ist er in der Vergangenheit nachweislich als dokumentierender Fotograf aufgetreten. Außerdem tritt Marcus G. immer wieder auf städtischen und universitären Veranstaltungen in Erscheinung, die einen konkreten politischen Kontext aufzeigten. Zum Beispiel bei dem am 5. April 2011 stattgefundenen „Greifswald ist bunt – kein Ort für Neonazis“– Vernetzungstreffen zivilgesellschaftlicher Gruppen, anlässlich der 1. Mai Demonstration der NPD in Greifswald, bei der er jedoch von der Polizei entfernt werden musste. Er bewarb sich kurze Zeit nach der Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung auf das Schöffeamt für das Amtsgericht Greifswald und das Landgericht Stralsund, konnte jedoch nach Empfehlung der Stadtverwaltung wegen „erheblicher Zweifel“ bezüglich der benötigten „Unvoreingenommenheit und Neutralität gegenüber allen Bevölkerungsschichten“ gestrichen werden.
Warum Jockel S.?
Der aus Greifswald stammende Jockel S. ist Betreiber des Fleischervorstadt-Blogs und versteht seine publizistische Arbeit als „eine Art Nachrichtenaggregator mit Ausrufezeichen“. Sein Studium in den Fächern Politik- und Kommunikationswissenschaft sowie Deutsch als Fremdsprache konnte er erfolgreich abschließen. Seit 2005 publiziert er als Verantwortlicher im Sinne des Presserechts themenübergreifende Inhalte rund um Greifswald. Von kulturellen bis hin zu politischen Themen wird dabei „hyperlokal“ alles abgedeckt. Neben seiner journalistisch-lobbyistischen Tätigkeit arbeitet er seit vielen Jahren als Veranstalter und Techniker im Greifswalder Subkulturbetrieb. Dabei stößt auch er als Journalist auf rechte Ohren, gerade wenn es um politische Sachverhalte geht, wie ein Interview zum 1000-Artikel Jubiläum vom 12. September 2011 zeigt:
Und dann gab es noch eine mächtig peinliche E-Mail der Nationalen Sozialisten Greifswald, über die sich einige Juristen und Anwälte amüsieren durften — von einem Studenten der Rechtswissenschaft hätte ich da doch irgendwie mehr Verstand in der Sache erwartet.
(Intern: Der Fleischervorstadt-Blog wird 1000!, 12. September 2011, LINK)
Doch zurück zu Marcus G. Dieser möchte juristisch gegen die 13 veröffentlichen Artikel sowie das von Jockel S. hochgeladene Video vorgehen. Auch Andrea R., welche sich seit einigen Jahren intensiv mit der Rechtsextremismus-Thematik beschäftigt, steht dabei auf seinem juristischen Schirm. In ihrem Buch „Gefährlich verankert. Rechtsextreme Graswurzelarbeit, Strategien und neue Netzwerke in M-V“ erwähnt die Fachjournalistin den Kläger Marcus G. ebenfalls. Mit Hilfe seines Anwalts möchte er nun seine namentliche Nennung vor Gericht anfechten.
Write back! in eigener Sache
Am morgigen Tag versammelt sich bereits um 13.30 Uhr vor dem Amtsgericht eine Mahnwache unter dem Motto: „Write back – Demokratie und Pressefreiheit verteidigen!“. Alle UnterstützerInnen werden eingeladen, sich mit Jockel S. und allen betroffenen JournalistInnen zu solidarisieren. Die Verhandlung ist öffentlich und somit für jeden zugänglich. Daher besteht auch die Möglichkeit, dass neonazistische Personen anwesend sein könnten um Druck auszuüben. Deshalb ist ein zahlreiches Erscheinen für alle Beteiligten und vor allem für den Angeklagten Jockel S. wünschenswert. Der webmoritz. wird anwesend sein.
https://www.youtube.com/watch?v=BnMmq0fJxMA
http://webmoritz.de/2011/11/09/marcus-g-wehrt-sich-gegen-vorwurfe/
Warum ist eigentlich immer noch die Stellungnahme von ihm auf dem webmoritz online?
Verhandlung lief zumindest für den Fleischervorstadt-Blog sehr gut und Marcus G. hat sich entschieden, die Klage zurückzuziehen und die Kosten zu tragen. http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Greifswald/Klage-gegen-Fleischervorstadtblogger-zurueckgezogen