Eine in Stralsund-Grünhufe geplante Abschiebung eines aus Honduras stammenden 37-jährigen Mannes endete gestern fast in einem Suizid. In den sozialen Netzwerken brach daraufhin eine Welle von Hasskommentaren gegen ihn aus.

Ein Kommentar von Paul Zimansky.

Als die Beamten der Polizeihauptreviere Stralsund und Bergen am gestrigen Morgen in der Vogelsangstraße gegen 6 Uhr eintrafen, um einen aus Honduras stammenden Mann und seine 5-köpfige Familie abzuschieben, stieg dieser in der 5. Etage hinter die Balkonbrüstung und drohte, sich in den Tod zu stürzen. Mit Hilfe der Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr aus Stralsund, dem Rettungsdienst sowie der Verhandlungsgruppe der Polizei Mecklenburg-Vorpommern konnte er an dem Selbstmord gehindert werden. Er wurde zur medizinischen Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Die Abschiebung blieb für diesen Tag aus.

Suizid ist kein Einzelfall

Dieses Szenario, auch genannt „Todessprung“ oder auch „Suizid durch Sprung aus der Höhe“, gehört zu den dritthäufigsten Selbstmordmethoden in der Bundesrepublik. Laut dem Statistischen Bundesamt begangen weit über 100.000 Menschen im Jahr 2013 einen Suizidversuch. In Deutschland sterben insgesamt deutlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Mord und  Totschlag, illegale Drogen und AIDS zusammen. Insgesamt schätzt man bundesweit, dass sich etwa 10000 Menschen jährlich das Leben nehmen, ca. 70% davon Männer. Die Ursachen sind dabei sehr unterschiedlich. Psychische Erkrankungen, wie beispielsweise Psychosen oder Depressionen, erhöhen das Suizidrisiko. Aber auch traumatisch erlebte Ereignisse können eine Ursache sein. Der Mann, der aus einem der ärmsten und gefährlichsten Länder Lateinamerikas geflohen ist, sah traurigerweise keine andere Möglichkeit mehr, die unmittelbar bevorstehende Abschiebung in sein Herkunftsland zu verhindern. Er sah dem Tod ins Auge.

Honduras ist eines der unsichersten Länder Lateinamerikas, mit einer der höchsten Mordraten pro Kopf weltweit. Täglich berichtet die Presse über Morde, Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Einbrüche, Entführungen etc. Die Gewaltspirale ist den Armenvierteln der größeren Städte besonders hoch. Hier spielen vor allem die Jugendbanden (maras) eine zentrale Rolle. Dennoch sind auch die Viertel der Mittel- und Oberschicht nicht sicher; aber diese Bevölkerungsgruppen haben mehr finanzielle Mittel, um sich gegen Kriminalität zu schützen. Vorsicht ist in allen Teilen von Honduras geboten. Zwar [stellen] die Jugendbanden im ländlichen Raum nur eine geringe Gefahr dar, so sind Überfälle auf Überlandbusse jedoch nicht selten.  

(Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH)

Zwischen Flucht, Ausgrenzung und Fremdenhass

Mehr als 25 000 Menschen fanden bisher beim Versuch, Europa zu erreichen, den Tod. Nur ein Bruchteil der weltweit gezählten Geflüchteten kommt nach Deutschland (siehe Abbildung), wo ihre Rechte oft schon im Asylverfahren missachtet werden.

 

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Soziale Schlechterstellung, vielerorts auch Ausgrenzung und die Angst vor rassistischer Gewalt prägen ihre Situation. Dem Bundeskriminalamt (BKA) zufolge gab es im Jahr 2015 1005 Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte. Damit hat sich die Zahl innerhalb eines Jahres sage und schreibe verfünffacht. Bundesweit wird in zahlreichen Städten und Gemeinden gegen die Unterbringung von Geflüchteten Woche für Woche Stimmung gemacht und demonstriert. Was die Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (kurz: PEGIDA) in Dresden begannen, führten Ableger in allen Bundesländern weiter. In Mecklenburg-Vorpommern mobilisieren neonazistisch-patriotische Gruppierungen wie MVGIDA, MV-Patrioten und andere „X Wehrt sich“ Zusammenschlüsse. Man demonstriert bei den sogenannten „Abendspaziergängen“ in nahezu allen landesweiten Städten gegen die aktuelle Politik, gegen Merkel und vor allem gegen Geflüchtete, ohne sich dabei als „Rechts“ bezeichnen zu lassen.

 

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Greifswald wehrt sich Demonstrationen 2015

Greifswald wehrt sich Demonstrationen 2015

 

 

 

 

 

 

 

Mit Vorurteilen, falschen Fakten und blanker Hetze versucht man zunehmend die Bevölkerung gegenüber „dem Fremden“ zu beängstigen und das Feindbild zu erweitern. Denn das „Wir sind das Volk und lassen uns nicht länger belügen!“ – Gefühl soll die eigene deutsche Volksidentität, „Für die Zukunft unserer Kinder“, gegenüber der Regierung („Merkel muss weg!“) und den Medien („Lügenpresse“) stärken, und sozial- wie auch gesellschaftlich-benachteiligte(re) Menschen (sogenannte „Asylanten“ oder „Asylschmarotzer“) systematisch ausgrenzen. Nicht selten mündet dieser Hass gegenüber den gesellschaftlich-schwächeren gestellten Menschen dann in Gewalt, wie bei der Flüchtlingsdemonstration in Güstrow oder der AfD-Demonstration in Rostock.

Hass in den sozialen Netzwerken

Doch nicht nur auf der Straße ist dieser Hass zu spüren. In dem sozialen Netzwerk „facebook“ überhäufen sich bundesweit ausgrenzende, gewaltverherrlichende und volksverhetzende Kommentare auf fast jeder großen Plattform. Während in der Medienlandschaft meist sehr schnell moderiert und gelöscht wird, gibt es einen scheinbaren Freiraum für rechte Stimmungsmache auf hauseigenen Seiten. Indem Stralsunder Fall des suizidgefährdeten Mannes aus Honduras tauchten innerhalb von 12 Stunden auf einer lokalen Bündnisseite der Patrioten Rügen, Stralsund, und Rostock über 500 Kommentare auf, die z.t. in ihrer absoluten Perfidität und ihrem Hass kaum noch zu übertreffen sind. Soziale Netzwerke sind für viele Nutzer immer wieder ein scheinbar rechtsfreier Ort, um gewaltverherrlichende, hasserfüllte und volksverhetzende Inhalte zu (re)produzieren. Dabei ist die Hemmschwelle zur strafrechtlichen Relevanz sehr gering und der Grat, auf dem sich manche Leute bewegen, sehr schmal. Doch was kann man machen? Zunächst kann man versuchen, Beiträge bei facebook zu melden. Da die Chancen auf Erfolg meist gering sind, ist in jedem Fall eine Anzeige bei der Polizei möglich und nötig, damit Strafverfolgung auch im Internet stattfinden kann. Mittlerweile (Stand: 15.02., 21 Uhr) hat dieser Beitrag über 288 Likes und wurde über 650 Mal geteilt.

Ein Mensch, der auf der Flucht vor Armut, Gewalt und Verfolgung Schutz in Deutschland sucht, sieht als letztes Mittel zur Verhinderung seiner Abschiebung den Selbstmord. Wie tief müssen Leute sinken, die so etwas belustigend und unterstützend auf unmenschlichste Art und Weise kommentieren? Eins ist klar: wenn ein Deutscher dort gestanden hätte, wäre ein Großteil der Kommentare sicherlich anders ausgefallen. 

(Meinung des Autors)

 

Kommentare zum Suizidversuch eines Honduranes auf einer Greifswalder Neonaziseite

Kommentare zum Suizidversuch eines Honduranes in Stralsund (15.02.16) auf einer Greifswalder Neonaziseite

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