Als Studierender blendet man es gerne ab und zu aus. Die Universität ist nicht nur eine Lehreinrichtung, sondern auch eine Forschungseinrichtung. Auf welchen Gebieten der Wissenschaft eure Alma Mater ganz vorne mitmischt, darum geht es in diesem Artikel.

Wer einen Blick in das Centrum für Hochschulentwicklung-(CHE-)Ranking wirft, welches unter anderem regelmäßig im Die Zeit Studienführer erscheint, dem fällt auf, dass die Uni Greifswald in den meisten Fächern nicht gerade mit Bestnoten in Kategorien wie „Forschungsreputation“ und „-gelder“ besticht. Als angehenden Studenten ist einem das egal. Was vor allem lockt, sind die guten Bewertungen in Kategorien wie „Betreuung“ oder „Studiensituation insgesamt“, die für die meisten Studierenden viel bedeutsamer sind. Trotzdem interessiert es den einen oder anderen, sei es im Hinblick auf eine weitere wissenschaftliche Laufbahn oder aus reiner Neugier, vielleicht, in welchen Punkten sich die Heimatuni nationales oder gar internationales Renommee aufgebaut hat.

Seit Anfang dieses Jahres gilt der neue Hochschulentwicklungsplan (HEP). Er wurde 2014 vom Senat verabschiedet und ist bis 2020 gültig. In diesem aktuellen Dokument sind fünf Forschungsschwerpunkte ausgewiesen. Diese haben sich, verglichen mit den Fünfjahreszielvereinbarungen von 2011, sogar leicht verändert. Statt dem bisherigen Fokus auf Molekulare Biologie und Medizin setzt man jetzt auf Proteomics und Proteintechnologien in der Infektionsbiologie, Umweltmikrobiologie und Biotechnologie. Der Schwerpunkt Environmental Change: Responses and Adaption wurde als fünftes Kerngebiet sogar komplett neu eingeführt. Laut Angaben der Universität will sie damit „einen entscheidenden wissenschaftlichen Beitrag zu zentralen Zukunftsfeldern des Landes, Energie und Nachhaltigkeit, leisten“.

Grundlage für die im Mittelpunkt stehenden wissenschaftlichen Bereiche sind laut website der Uni „hervorragende Forschungserfolge in Form eingeworbener Forschungsverbünde und hochrangiger Publikationen, interdisziplinäre und interfakultäre Zusammenarbeit, enge Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen am Standort Greifswald, Einbindung in nationale und internationale Netzwerke sowie Leistungen für den Wissens- und Technologietransfer“.

Community Medicine und Individualisierte Medizin

Im Fokus dieses Schwerpunktes stehen zwei Studien, die Study of Health in Pomerania (SHIP) und die Greifswald Approach to Individualized Medicine-(GANI_MED-)Studie. Die SHIP-Studie gehört zum Forschungsfeld Community Medicine. Community Medicine ist ein Ansatz, der dich mit den Ursachen und Risikofaktoren von Krankheiten beschäftigt. Dabei werden neben medizinischen und naturwissenschaftlichen Aspekten aber auch soziale und regionale Faktoren in ihrer gesamten Komplexität zu berücksichtigen versucht. Die SHIP-Studie, die sich schon seit 1997 insbesondere mit den allgemeinen Volkskrankheiten, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Leiden oder Diabetes beschäftigt, ist weltweit die einzige Langzeitstudie ihrer Art. Sie geht über „normale“ epidemiologische Studien hinaus und das macht sie einzigartig. Ziel der Studie ist es, durch das Zusammenwirken vieler wissenschaftlicher Disziplinen Ursachen, aber auch Prävention und Behandlung von häufigen Krankheitsbildern zu erforschen. Durch die Studie hat sich bisher beispielsweise bestätigt, dass der Nordosten Deutschlands eine hohe Morbidität (Krankheitshäufigkeit) und Mortalität (Sterblichkeit) aufweist.

Jeder Mensch ist einzigartig – was Körper, Geist, Bedürfnisse und viele andere Faktoren betrifft. Auf die Forschungsergebnisse der SHIP-Studie stützt sich auch die GANI_MED-Studie, die sich mit Individualisierter Medizin beschäftigt. Wie der Name verrät, ist das Ziel der Individualisierten Medizin, den erkrankten Menschen in seinen „originalen Charakteristika“ wahrzunehmen und ihn nicht nur einem standardisierten 08/15-Therapieregime zu unterziehen, sondern „individuell und unter Berücksichtigung seiner spezifischen körperlichen Eigenschaften und Bedürfnisse zu behandeln“. Dazu bedarf es zunächst individueller Diagnostik. Anhand der erhobenen Daten kann die Therapie dann bedarfsgerecht auf den Patienten zugeschnitten werden. Im Greifswalder Universitätsklinikum wird diese Theorie versuchsweise in die Praxis übernommen – und das mit Erfolg. Auch an GANI_MED sind unterschiedlichste Fachbereiche aus allen fünf Fakultäten der Uni beteiligt. Neben Medizinern und Naturwissenschaftlern – das ist selbsterklärend – sind unter anderem auch Theologen, Philosophen und Rechtswissenschaftler beteiligt, denn Individualisierte Medizin bringt auch eine Flut an Daten mit sich. Daten, die es zu schützen gilt, um Privatsphäre und Intimität weiterhin zu gewährleisten.

Zu den Förderern beider Studien gehören unter anderem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Land Mecklenburg-Vorpommern und Industriepartner.

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Environmental Change: Responses and Adaption (ECRA)

Öko und Umweltschutz sind nicht nur dahergelaufene Modetrends, sondern wichtige Forschungsgebiete, die es zu unterstützen und auszubauen gilt. Das haben auch die richtungsweisenden Personen der Universität und des Landes verstanden. Im Rahmen dessen wurde auch das Graduiertenkolleg Biologische Reaktionen auf neue und sich ändernde Umweltbedingungen, das 2015 startete, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Forscher beschäftigen sich mit den, vor allem durch den Menschen bedingten, Auswirkungen von veränderten Umwelteinflüssen und Ökosystemen auf Organismen aller Art. Ziel ist es, herauszufinden, auf welche Weise Individuen zur Anpassung befähigt sind und wo die Grenzen liegen. Beteiligt sind unter anderem das Zoologische Institut, das Institut für Botanik und Landschaftsökologie, das Institut für Biologie sowie „zwanzig Kooperationspartner aus zehn verschiedenen Ländern“.

Aber auch die „nachhaltige Nutzung von Naturressourcen, Landschaftsentwicklung, und der innovative Einsatz von Georessourcen im Umweltmanagement“ sind spannende, ausbaufähige Forschungsgebiete. Interdisziplinarität wird auch hier großgeschrieben. Beteiligt sind neben Geowissenschaften, Umweltphysik und Mathematik auch hier Ökonomie, angewandte Ethik und die Rechtswissenschaft.

Kulturen des Ostseeraumes

Als Standort in baltischen Gefilden liegt es nahe, sich mit den Kulturen des Ostseeraumes zu beschäftigen. In Greifswald treffen sich in Form von Instituten an der Philosophischen Fakultät gleich vier davon: Slawistik, Baltistik, Skandinavistik und Fennistik. Das ist deutschlandweit einmalig und zwingt Experten des baltischen und nordischen Raumes und solche, die es werden wollen, geradezu nach Greifswald. Untersucht werden „kulturelle, politische, wirtschaftliche und soziale Interaktionen und Austauschprozesse“ in der Ostseeregion. Selbstverständlich finden Sprache und Literatur aus diesem Raum hier ebenfalls ihren Platz. Auch hier hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Mittel bereitgestellt, um ein Graduiertenkolleg zu unterhalten. International Research Training GroupBaltic Borderlands“, oder zu Deutsch Internationales Graduiertenkolleg „Grenzräume in der Ostseeregion“ ist der Titel unter dem die Universitäten Greifswald, Tartu (Estland) und Lund (Schweden) zusammengetreten sind, um die „kulturelle und mentale Perzeption [Wahrnehmung] des Wandels von Grenzräumen und Grenzen innerhalb des Ostseeraumes vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ zur untersuchen. Neben den oben genannten Instituten sind unter anderem auch das Institut für Historik, das Institut für Politikwissenschaft, das Caspar-David-Friedrich-Institut (CDFI) und mit dem Institut für Geografie und Geologie sogar die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät beteiligt. Neben der DFG gehören auch das BMBF (s.o.) und die Europäische Union (EU) zu den Förderern.

Plasmaphysik

Ein hitziges Thema. Mit dem vor kurzem im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Betrieb genommenen Stellarator „Wendelstein 7-X“ wohl auch ein Forschungsthema, das mittlerweile nicht nur zu den meisten Greifswaldern vorgedrungen ist, sondern sogar national von sich hat hören machen lassen. Neben dem IPP ist auch das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. (INP), gelegen in der Nähe des Neuen Campus, an der Plasmaforschung beteiligt. Beide Einrichtungen gehören jedoch nicht zur Universität, wenngleich enge Kooperationen bestehen. Trotzdem ist dadurch, zusammen mit dem Institut für Physik, ein „Zentrum für Plasmaforschung in Europa und weltweit“ entstanden, wie die Universität auf ihrer Website bekannt gibt. Interesse an der Forschung und ihren Ergebnissen zeigte im vergangenen Novemeber beispielsweise auch die European Space Agency (ESA) im Rahmen des Besuches des Astronauten Alexander Gerst, über den wir auch berichtet haben. Neben den physikalischen Eigenschaften von Niedertemperaturplasma werden an der Uni auch Anwendungen in den Bereichen Material- und Nanowissenschaften, Umwelt, Energie und Lebenswissenschaften erforscht. Das IPP hingegen, ist vor allem auf die Erforschung des Hochtemperaturplasmas spezialisiert. Neben den genannten Institutionen sind auch das Institut für Pharmazie und die Universitätsmedizin involviert. Forschungsgelder konnten wiederum von DGF, BMBF und der Europäischen Kommission akquiriert werden.

Proteomics und Proteintechnologien in der Infektionsbiologie, Umweltmikrobiologie und Biotechnologie

In der Zukunft könnte die Menschheit ein ernsthaftes Problem bekommen. Experten sprechen von der Rückkehr in mittelalterähnliche Zustände. Die Rede ist von der unaufhaltsamen Zunahme von Antibiotikaresistenzen – dem unverantwortlichen Umgang mit den bakterientötenden Substanzen geschuldet. Man könnte nach weiteren Antibiotika forschen. Die Problematik bei der Sache ist allerdings einerseits, dass der größte Teil der Pharmaindustrie kein wirtschaftliches Interesse daran hat und andererseits Kreuzresistenzen und die Endlichkeit von Strukturvarianten der Antibiotikamoleküle die Entwicklung in Schranken weisen. Eine umso größere Bedeutung kommt auf diesem Gebiet daher der öffentlichen Forschung zu. An der Universität Greifswald wird funktionelle Genomforschung insbesondere in Form von Proteomforschung betrieben. Mit biotechnologisch hergestellten Proteinen können möglichweise neue Behandlungsperspektiven für Infektionskrankheiten bereitgestellt werden. Das könnte zum Ausweg aus der Antibiotikakrise beitragen. Aber auch auf anderen Ebenen der Wissenschaft, wie etwa in der Umweltforschung, sind Proteine und deren Erforschung von großer Bedeutung. Auch hier besteht an der Uni ein gutes Netzwerk aus Disziplinen wie Biochemie, Chemie, Molekular- und Mikrobiologie, Immunologie, Pharmazie, Medizin und Bioinformatik. Es bestehen Kooperationen mit dem Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit auf der Insel Riems. Außerdem konnten Fördermittel der DFG für Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereiche eingeworben werden.

Als mögliche künftige fachliche Schwerpunkte an der Universität sind im aktuellen Hochschulentwicklungsplan „Romantik“ und „Ländliche Räume“ ausgewiesen.

 

Beitragsbild: pixabay.com, zusammengestellt von Rebecca Firneburg