Eine Rezension.

Maik Klingenberg und Isa lernten sich auf einer Müllhalde irgendwo in der brandenburgischen Weite kennen. Während in Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ der Roadtrip von Andrej „Tschick“ Tschichatschow und Maik Klingenberg im Mittelpunkt steht, wird in dem unvollendeten Roman „Bilder deiner großen Liebe“ Isas Geschichte in den Mittelpunkt gerückt. Das erste Bild, das man sich von Isa in „Tschick“ machen konnte, verstärkt sich in dem letzten Werk Herrndorfs. Isa ist verrückt. Allerdings: „Verrückt sein heißt ja auch nur, dass man verrückt ist, und nicht bescheuert.“

Mischung aus Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf

Isa erscheint wie eine Mischung aus Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf. Und irgendwie erinnert sie auch ein bisschen an Huckleberry Finn. Sie hat ihren eigenen Kopf, lebt in ihrer eigenen Welt und läuft im Wesentlichen immer komplett neben der Spur. Wirklichkeit und Traum scheinen zu verschwimmen und auch der Sprachstil wechselt vom Derben hin zur Nachdenklichkeit, zum Philosophischen. Irgendwie scheint die in seelische Schlagseite geratene Isa sich seit dem Ausbruch aus der Psychatrie auf einer Suche ohne Ziel zu befinden.

Wie ein vom Sturm erfasstes Schiff steuert sie von einem Moment zum nächsten durch die Welt. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschwimmen ineinander, sind allgegenwärtig; es entsteht beim Lesen das Bild vollkommener Freiheit. Sie bricht alle Regeln, gilt als vollkommen verrückt und obwohl einerseits der Eindruck der Ziellosigkeit entsteht, bleibt zugleich andererseits immer das Gefühl, als wisse sie doch irgendwie, was sie wolle. Doch gerade das Widersprüchliche, Unbekümmerte, jedoch keineswegs Naive, das zugleich liebenswerte und zutiefst Soziale, das in der Handlung immer wieder mitschwingt, ist es, was an „Bilder deiner großen Liebe“ fasziniert.

Literarische Unendlichkeit

Fast erscheint es, als habe Isa im Roman den Begriff „Unendlichkeit“ neu definiert. Nur im literarischen Sinne. Fast so wie Georg Cantor, der 1918 in Halle an der Saale verstarb. „Isa bricht aus der Klapse aus und besucht Cantors Grab in Halle“, heißt es in den Notizen Herrndorfs. Dieses Ziel sollte sie jedoch nie erreichen, da der Autor noch während der Entstehung des Werkes verstarb.

Ursprünglich sollte es auch nicht veröffentlicht werden, da der Autor keine unvollendeten Werke hinterlassen wollte. Daher sollten andere Autoren den Roman zu Ende schreiben. Zuletzt wurde dann doch entschieden, die einzelnen Fragmente zu einer zusammenhängenden Handlung zusammenzufügen und aus einem Guss wirken zu lassen. Dies ist sehr gut gelungen. Lediglich wer „Tschick“ gelesen hat, wird feststellen, dass die Begegnung zwischen Isa, Tschick und Maik Klingenberg ein bisschen kurz geraten ist. Daher begegnen sich beide Handlungen auch nur für einen kurzen Wimpernschlag.

Beim Lesen des Romans erscheint fast der Eindruck, als habe sich Herrndorf irgendwie ein wenig in die von ihm erschaffene Romanfigur „Isa“ verliebt. Sie ist, verglichen mit den beiden anderen Helden, noch um einiges liebevoller und vor allem schillernder ausgestaltet. Immer wieder stolpert man beim Lesen über kleine Details und fragt sich: „Huch, was war denn das jetzt?“, blättert noch einmal ein paar Seiten zurück und stellt fest, sich nicht verlesen zu haben.

„Bilder deiner großen Liebe“ ist nicht nur eine würdige, ja fast schon bessere Fortsetzung von „Tschick“, vielmehr erschuf Herrndorf auch eine der interessantesten literarischen Figuren, die mir bisher begegnet sind. Wem das Buch, dass bereits seit einiger Zeit im Buchhandel erhältlich ist, bislang noch nicht in die Hände gefallen sein sollte, der sollte jetzt vielleicht ein Auge mehr darauf werfen. Es lohnt sich, mitgenommen, gelesen und anschließend ins Bücherregal gestellt zu werden. Um es bei Gelegenheit wieder einmal herauszuholen und von Neuem auf sich einwirken zu lassen.

„Bilder deiner großen Liebe“
von Wolfgang Herrndorf
Rowohlt Verlag
16,95 Euro
erschienen im September 2014

Foto:  Rohwolt Verlag (ohne CC-Lizenz)