Heute ist es nur noch selten möglich, mit Zeitzeugen des Holocausts zu sprechen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung und der Verein Jeunesses Musicales Deutschland ermöglichten dies am 29. September und luden zu einem Gespräch mit Zvi Cohen in das Greifswalder Alfried-Krupp-Kolleg.
Bereits mit zwölf Jahren musste Horst Cohen (erst in Israel bekam er den Namen Zvi) in das Konzentrationslager Theresienstadt in der Nähe von Prag. Während des Zeitzeugengesprächs erzählte er seine Geschichte. In Berlin geboren, musste er am 9. und 10. November 1938 die Reichskristallnacht miterleben. Auch in seiner Straße wurde ein Laden jüdischer Betreiber zerstört. In der gleichen Nacht wurde sein Großvater nach Sachsenhausen deportiert, konnte aber später auf Bemühungen der Familie wieder freikommen. Cohen erinnert sich: „Als er wieder zurück kam, war er ein anderer Mensch.“
Zur Schule gehen durfte er nur, bis er zehn Jahre alt war – vier Jahre Grundschulbildung, mehr durfte ein Jude nicht lernen. Doch auch die vier Jahre waren für ihn eine Hölle. Auf dem Schulweg wurde er verprügelt und ausgepeitscht: „Ich habe schnell gelernt, dass ich kein Deutscher war, ich war ein Jude.“
Eine ständige Angst vor der Deportation
Nachdem er vier Jahre Grundschule absolvierte, blieb er zwei Jahre in der Wohnung, nicht ein einziges Mal ging er heraus. Nacht um Nacht hörte er die Bomben in der Stadt einschlagen. „Ziel der Bomardements waren, so viele Deutsche wie möglich zu töten.“ Jeden Tag fürchtete er, dass sein Haus auch getroffen werden würde. Da seine Eltern Zwangsarbeit leisten mussten, war er sehr oft allein zu Hause. Die Angst, dass er irgendwann abgeholt wird und seine Eltern nicht da sein würden – ein unbeschreibliches Gefühl. Am 7. Mai kam die SS um ihn zu deportieren. Seine Eltern waren auch in dieser Nacht nicht zu Hause.
Cohen weinte und flehte. Dennoch musste er seine Tasche packen. Als er seine Mundharmonika einpacken wollte, wurde er gefragt, was er da in der Hand hatte. Als er antwortete, dass es sich um ein Musikinstrument handele, forderte ihn die SS auf, Musik zu spielen. So spielte er verschiedene Kampf und Volkslieder. Auch deshalb durfte er noch telefonieren und so gelang es, dass er mit seinen Eltern zusammen für den Transport nach Theresienstadt fertig gemacht wurde.
Keine Hinrichtungen, dafür tausende Hungertote
Der Aufenthalt in Theresienstadt war furchtbar für ihn, die Nazis versuchten ihn und die anderen Juden um jeden Preis zu entmenschen und erniedrigen. In dem Konzentrationslager ermordeten die Deutschen keine Juden, sie starben „nur durch Hunger und Krankheiten.“ Zu Beginn des Lagers lebten 150.000 Kinder in ihm. Bei seiner Befreiung lebten nur noch 150 von ihnen. „Der Hunger war das Schlimmste.“
In dem Lager starben Cohens Großeltern. „Ich habe ihre Asche in den Eger geschüttet. Sie mussten nicht mehr leiden.“
Kurz vor Ende des Krieges kam er in die Schweiz. Zwar musste er zuvor noch ein paar Wochen in Quarantäne leben, doch er war frei. Doch auch nach seiner Freilassung wurde er kritisch betrachtet. „Sie fragten mich, warum wir uns nicht gewehrt haben. Warum haben wir überlebt?“
Die Mundharmonika rettete ihm zweimal das Leben
Cohen meint, er habe nur durch drei Dinge überlebt: Glück, Kraft und dem unbedingten Willen, die Torturen zu überstehen. Und auch seine Mundharmonika bezeichnet er als lebensrettend. Gleich zwei Mal überlebte er durch das Musikinstrument. Zuerst bei der Deportation, als er durch sein Spiel zusammen mit seinen Eltern weggebracht wurde. Das zweite Mal, als er durch seine Künste zusätzliche Nahrungsrationen bei den anderen Häftlingen erspielen konnte.
Nachdem Cohen nach Israel kam, erhielt er den Namen Zvi. Seit dem 2. September 1945 lebt er in seinem Kibbuz. Auch wenn er heute noch nach Deutschland kommt, hat er ein ungutes Gefühl. Dennoch befreit es ihn, über seine Erlebnisse zu sprechen: „So kann ich eine bessere Überlieferung garantieren. Ich ziele auf den Kopf und auf das Herz. Zahlen sind eben nur Zahlen.“
Das Konzentrationslager Theresienstadt liegt 60 Kilometer von Prag entfernt. Die SS versuchte immer wieder der Weltöffentlichkeit positive Seiten an dem Lager zu zeigen. Als Zwischenlager zu den Massenvernichtungslagern versuchten die Nazis durch das Erlauben von Kultur die Häftlinge ruhig zu halten. Insgesamt starben von 1942 bis 1945 30.000 Menschen durch Hunger und Krankheiten. Hinrichtungen gab es in dem Lager nur in Einzelfällen.
Fotos: Tobias Bessert
Ich finde die Bezeichnung "dem tschechischen KZ" sehr schwierig, siehe: http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/falschen…
Hallo Niels, danke für deinen Hinweis, ich habe die fragliche Stelle natürlich geändert. Ich hoffe jedoch, dass ich mit dem Artikel den Fokus nicht auf einen zweideutigen Ausdruck gelenkt habe, sondern auf die Geschichte Cohens.