Kennt ihr das, wenn ihr ein neues Lied entdeckt und es immer und immer wieder hört, weil ihr nicht genug davon bekommen könnt? So ähnlich erging es mir, nachdem ich „Saltburn“ zum ersten Mal gesehen habe. Mittlerweile habe ich den Film mehrfach geschaut und das, obwohl er noch gar nicht lange verfügbar ist. In dieser Liebeserklärung möchte ich euch in die Welt von „Saltburn“ mitnehmen und euch die kleinen Details zeigen, die mich so sehr gefesselt haben.
Für alle die sich jetzt fragen, wovon ich hier eigentlich schreibe, kommen zunächst ein paar allgemeine Fakten und Hintergrundinfos zu dem Film. Hinter dem Psychothriller steckt Emerald Fennell, die sowohl das Drehbruch geschrieben als auch Regie geführt hat. Sie ist außerdem zusammen mit Josey McNamara und Margot Robbie eine der Produzentinnen des Films (Margot Robbie und Emerald Fennell haben übrigens beide im Film „Barbie“ mitgespielt, über den ihr hier auch einen Artikel findet).
Im Zentrum des Films steht der Oxford-Student Oliver Quick, gespielt von Barry Keoghan. Dieser hat es zu Beginn eher schwer, Anschluss in seinem College zu finden. Durch eine zufällige Begegnung lernt er den beliebten Felix Catton (gespielt von Jacob Elordi) kennen und die beiden fangen an, Zeit miteinander zu verbringen. Trotz der Umstände, dass Oliver nicht wirklich warm von Felix‘ Freundesgruppe empfangen wird, wird die Freundschaft zwischen Felix und Oliver immer tiefer. Das führt dazu, dass Felix Oliver, nachdem dessen Vater gestorben ist, über den Sommer zu sich nach Hause auf das weitläufige Anwesen seiner ungewöhnlichen und sehr reichen Familie einlädt, nach Saltburn. Und dieser Sommer verspricht, sehr ereignisreich zu werden.
Well, why don’t you come with me? Come to Saltburn.
Felix Catton (Jacob Elordi)
In Deutschland kann man den Film seit dem 22. Dezember 2023 auf Amazon Prime streamen. In den USA und dem Vereinigten Königreich konnte man ihn ab Ende November auch in ausgewählten Kinos sehen – darauf bin ich ein wenig neidisch, um ehrlich zu sein. Vor allem Reaktionen auf drei eher schockierende Szenen sind nach der Veröffentlichung auf den sozialen Netzwerken viral gegangen. Allerdings hat der Film soviel mehr zu bieten als nur skandalöse Schockmomente.
Triggerwarnung!
Bevor ich starte, in die Tiefe zu gehen, will ich zunächst eine Spoilerwarnung geben, denn ich werde über den Inhalt und das Ende sprechen. Außerdem möchte ich für diejenigen, die eventuell den Film noch schauen möchten, darauf hinweisen, dass in dem Film über Essstörungen und selbstverletzendes Verhalten gesprochen wird. Außerdem werden explizite sexuelle Szenen gezeigt.
Ästhetisch, traumhaft und tödlich
Ich möchte kurz anmerken, dass ich, als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe, vollkommen unvorbereitet war. Das bedeutet, dass ich weder den Trailer gesehen habe, noch irgendwas vorher darüber gelesen habe. Das Einzige, was ich am Rande vorher mitgekommen habe, war, dass es in den sozialen Medien (vor allem auf TikTok) einen großen Hype um den Film gab. Dem Ganzen völlig unwissend gegenüber drückte ich also auf „Play“ und war binnen von Minuten wie in einen Bann gezogen. Das lag zum einen an dem Monolog von Oliver direkt zu Beginn, in dem er über seine Beziehung zu Felix spricht, und zum anderen lag es einfach an der gesamten Ästhetik, die dieser Film mit sich bringt. Die kontrastreiche Farbgebung und die für mich beinahe malerischen Aufnahmen geben dem Film eine mystische und fantastische Ebene, in die man hineingezogen werden will.
Der Film wirkt vor allem zu Beginn mit seinen Montagen voller Freude und Genuss wie ein Traum, der sich dann im Laufe seiner Handlung zu einem Albtraum entwickelt. Denn Oliver ist nicht, wie angenommen, der unschuldige junge Mann, der nur nach Anschluss und Freundschaft sucht. Er ist eine unberechenbare, eiskalte Persönlichkeit mit soziopathischen Tendenzen, die über Leichen geht, um sein Ziel zu erreichen. Allerdings wird dem/der Zuschauer*in (oder zumindest mir) erst bei Olivers Schlussmonolog das Ausmaß seiner Boshaftigkeit bewusst, wenn er zugibt, alles geplant und auch an den Toden der Familienmitglieder seine Finger im Spiel gehabt zu haben. Natürlich war es bereits vorher deutlich, dass mit Oliver irgendwas nicht stimmt und er zu einer extremen Obsessivität neigt – kein normaler Mensch trinkt das Badewasser seines besten Freundes – aber ich hatte nicht erwartet, dass er Felix, Venetia (Felix‘ Schwester, gespielt von Allison Oliver) und deren Mutter Elspeth (Rosamund Pike) umbringt.
Die zwei Gesichter Olivers
Oliver ist definitiv einer der spannendsten Filmcharaktere, denen ich bisher begegnet bin. Er ist es, der seine eigene Geschichte auf so unzuverlässige Weise erzählt, dass ich zu Beginn glaubte, er würde am Ende das Opfer der Geschehnisse sein. Das liegt auch daran, dass Barry Keoghan mit seiner sensationellen Performance zwei Versionen von Oliver geschaffen hat: den unschuldigen Akt und den realen Horror. Durch Veränderungen in Mimik, Gestik und Körperhaltung wechselt er zwischen diesen beiden Versionen im Laufe der Handlung hin und her, wobei der reale Oliver zumeist nur in sehr privaten Momenten auftaucht.
Diese Spaltung von Olivers Charakter wird auch bildlich dargestellt. In der Nacht in der Felix stirbt, findet eine Geburtstagsfeier für Oliver statt: ein Kostümfest mit dem Thema „Mittsommernachtstraum“. Felix hat zuvor die Freundschaft zu Oliver beendet, aufgrund dessen Lügen über seine Familie – sein Vater ist nämlich gar nicht gestorben. Oliver will mit Felix über die Sache reden und versucht scheinbar die Freundschaft zu erhalten, aber als das nicht gelingt, bringt er Felix mit Hilfe eines Tricks und eines vergifteten alkoholischen Getränks in der Mitte eines Labyrinths um.
Was für mich bei dieser Szene so fesselnd war, war das Kostüm Olivers. Er trägt ein Rehgeweih auf dem Kopf und stellt sich dadurch als das unschuldige Opfer dar. Ich habe beim Schauen des Films sofort an das Sprichwort „Der Wolf im Schafspelz“ denken müssen, nur ist es hier eher „Der Minotaurus im Rehkostüm“. Denn dass Felix in der Mitte eines Labyrinths stirbt, erinnert an die griechische Legende vom Minotaurus, der in einem Labyrinth gefangen war und dem jedes Jahr sieben Jünglinge und Jungfrauen geopfert wurden. Dies wird auch durch die Minotaurusstatue in der Mitte des Labyrinths in Saltburn verdeutlicht und eben jene Statue wurde nach Olivers (oder eher Barry Keoghans) Körperform für den Film modelliert und gebaut. Diese Übertragung der zwei Seiten des Charakters auf die Kostüme und die Requisiten, zeigt wie detailreich bei diesem Film gearbeitet wurde.
Regisseurin Emerald Fennell hat im Interview mit dem GQ-Magazine erzählt, dass es für Keoghan auch ein passendes Stichwort gab, wenn er in die Rolle des echten Olivers schlüpfen sollte.
[…] whenever I needed him to switch to real Oliver, I’d say, “Barry minotaur!“
Emerald Fennell im Interview mit GQ-Magazine, 2023
Über Vorausdeutungen und Hinweise
Was den Film besonders ausmacht, ist, dass man theoretisch alle (bzw. die meisten) Plotttwists bereits vorher erahnen kann, wenn man weiß, wie man bestimmte Details beurteilen muss. So ist während die Handlung noch in Oxford spielt bereits klar, dass Olivers Vater gar nicht tot ist. Der Stein, den Oliver ihm zu Ehren in das Wasser werfen will (eine Familientradition von den Cattons), landet nicht im Wasser, sondern im Dreck.
Und auch Felix‘ Tod wird bereits bei Olivers erstem Frühstück angedeutet. Venetia erzählt nämlich, dass Percy Shelleys Haushälterin eines Tages beim Putzen Shelley gesehen und ihn auch gegrüßt habe. Wenig später sei ihr aufgefallen, dass er ja gar nicht im Land war. Kurze Zeit darauf starb er. Während dieser Szene läuft im Hintergrund eine Figur vorbei, die Felix sehr ähnlich sieht und wie wir wissen, wird auch er kurze Zeit nach diesem Gespräch sterben.
Das sind nur zwei der zahlreichen Momente in denen die späteren Handlungsstränge durch kleine Details vorweggenommen werden. Würde es einen Preis geben für das beste Foreshadowing in Filmen, würde ich ihn ohne zu zögern Emerald Fennell zugestehen. Diesen Film erneut zu schauen fühlt sich dadurch an wie eine Schatzsuche, bei der man jedes Mal, wenn man ein neues Detail findet, eine weitere Münze dazu gewinnt. Bei jedem neuen Detail, sei es auch noch so klein, fragt man sich, welche größere Bedeutung dahinterstecken könnte.
[…] is there ever really such thing as an accident?
Oliver Quick (Barry Keoghan)
Filmhighlight 2023?
Für mich ist „Saltburn“ definitiv ein filmisches Meisterwerk, mit dem nur wenige Filme, die ich bisher gesehen habe, mithalten können. Kein anderer Film, den ich 2023 gesehen habe, konnte mit der Faszination, die dieser Film bei mir ausgelöst hat, mithalten. Mal davon abgesehen, dass ich den Film mittlerweile fast zehn Mal gesehen habe, finden sich auch in meinem Alltag Spuren von dem Film wieder. Viele Songs aus dem Soundtrack von „Saltburn“ haben ihren Platz in meiner meistgehörten Playlist gefunden, meine YouTube-Timeline besteht fast nur noch aus Interviews von den Darsteller*innen und Emerald Fennell und von TikTok will ich gar nicht erst anfangen. In den sozialen Netzwerken allgemein hat sich in den letzten Wochen eine regelrechte Fankultur um den Film gebildet, die Theorien austauscht, immer wieder neue Details hervorbringt und mit Hintergrundwissen selbst den kleinsten Details große Bedeutung verleiht.
Tatsache ist einfach, dass ich, obwohl ich mittlerweile Szenen schon mitsprechen kann, immer noch wie gebannt auf den Bildschirm (leider nicht auf die Leinwand) schaue, wenn der Film läuft. Es ist schwer zu erklären, warum und wie diese Faszination entstanden ist. Ich mag es einfach, dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken und zu interpretieren gibt, je öfter man den Film schaut.
Ich kann allen, die gerne Psychothriller und Krimiserien schauen oder auch einfach gerne rätseln, nur empfehlen, dem Film eine Chance zu geben.
Beitragsbild: gianfrancodebei auf Pixabay