Zwischen Pandemie-Frust, aufgenommenen Vorlesungen, ruckelnden Seminaren und dieser einen letzten Folge auf Netflix, haben sich drei Studierende gedacht, dass es eine gute Zeit wäre, um eine neue Hochschulgruppe zu gründen. Wieso eine Gewerkschaft auch an einer Uni hilfreich ist und was es mit TVStud auf sich hat: Anna hat die Antworten!
Es ist Donnerstagnachmittag. Während über Greifswald erstmalig wieder die Sonne scheint, treffe ich mich mit Anna Kunow auf Jitsi. Wir haben uns verabredet, um eine Runde über die Gründung der DGB HSG zu sprechen.
Hallo Anna! Bevor wir hier mit den tiefen inhaltlichen Fragen starten, würde ich mit einer einfachen Frage anfangen: Was ist eigentlich der DGB?
Der DGB ist, wenn man es ausschreibt, der Deutsche Gewerkschaftsbund. Das ist der Dachverband verschiedener Gewerkschaften. Diese Gewerkschaften sind in unterschiedlichen Bereichen tätig und der Deutsche Gewerkschaftsbund ist die Gemeinschaft aus genau diesen. Im DGB sind 8 Gewerkschaften vertreten, unter anderem ver.di und auch die GEW (Anm. d. Red.: ver.di Dienstleistungsgewerkschaft und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft)
Und ihr dachtet euch jetzt: Lasst doch einfach mal eine Hochschulgruppe gründen? Wie kam es denn dazu und wann habt ihr euch so richtig gegründet?
Die Idee entstand in der Stipendiat*innen-Gruppe der Hans-Böckler-Stiftung. Das war Ende 2020 bis Anfang 2021. Da unsere Gruppe aber nicht besonders groß ist und auch Corona uns vor Probleme gestellt hat, dauerte es nach der ersten Idee allerdings noch etwas. Dann haben wir uns Hilfe von unserem Jugendbildungsreferenten, Robin, geholt. Er arbeitet bereits mit der DGB-Hochschulgruppe in Rostock zusammen und konnte uns da helfen. Zur Umsetzung kam es dann im Mai und Juni 2021. Dann kam die klassische Frage nach Räumen und Werbung – da hat Robin auch wieder geholfen.
Am 10. November 2021 haben wir uns richtig gegründet. Wir haben ein Statut und eine Sprecherin gewählt – das bin in dem Fall ich. Bei dem Gründungstreffen waren wir drei Gewerkschaftsmitglieder. Mittlerweile sind drei Aktive sowie eine Person, die hoffentlich in Zukunft bei uns anfangen wird und wir beschäftigen uns aktiv mit der Suche nach neuen Leuten. Um gut und regelmäßig zu arbeiten bräuchten wir vermutlich eine Handvoll Leute, die aktiv sind und Lust haben, Veranstaltungen zu organisieren. Mit Robin haben wir aber aktuell noch eine große Hilfe.
Bei Gewerkschaften denkt man ja meist eher an „klassische“ Arbeitnehmer*innen, die vor allem körperliche Arbeit ausführen. An Universitäten möchte man eher Wissenschaftler*innen ausbilden. Wozu braucht man eine gewerkschaftliche Hochschulgruppe an einer Universität?
Am besten, ich fange mit der laufenden TVStud Kampagne an (Anm. d. Red.: Tarifverträge für Studentische Beschäftigte). Es ist so, dass auch wir Studierende durchaus an Universitäten beschäftigt sein können – als Hilfswissenschaftler*innen, Tutor*innen und studentische Hilfskräfte. Fast alle Beschäftigte an deutschen Hochschulen sind tariflich angebunden oder verfügen über tarifvertragliche Regeln, wie Urlaubsansprüche, Lohnfortzahlungen und auch Personalvertretungen. Leider nur fast alle, da wir Studierende, wenn wir an der Uni arbeiten, nicht mit darunter fallen. Das sorgt zum einen dafür, dass es zu schlechterer Bezahlung kommt. Andererseits führt das aber auch zu dem Problem, dass andere Mindeststandards nicht eingehalten werden, wie eben Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und auch diese Kettenbefristung. Das ist natürlich auch mit existenziellen Unsicherheiten verbunden. BAföG fördert nicht jede*n Studierende*n. Im Jahr 2019 wurden nur knapp 11 Prozent der Studierenden durch BAföG gefördert. Dagegen haben ein Drittel der Studierenden durch Erwerbstätigkeit ihr Studium und ihr Leben finanziert. Gerade für die ist sehr wichtig, dass endlich Tarifverträge auch für studentische Beschäftigte kommen.
„Viele Arbeitnehmer*innen wissen gar nicht, was für Rechte sie letzten Endes haben.“
Anna Kunow
In Berlin wurden bereits erfolgreich Tarifverträge für Studierende erkämpft. Die Landesregierung in MV hat nun das Vorhaben, diese Tarifverträge einzuführen. Seht ihr euch in der Position, weiter Druck zu machen, damit das Wahlversprechen auch eingehalten wird?
Ja, wir sehen uns einerseits als Ansprechpartner*innen für Studierende an dieser Uni, aber auch als Interessenvertretung der Studierenden nach außen. Neben Rostock hat nun auch die Uni Greifswald eine DGB-Hochschulgruppe. Damit sind beide großen Universitäten erst einmal ausgestattet, um für bessere Arbeitsbedingungen zu mobilisieren. Es ist tatsächlich so, dass die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder da eine relative Blockade-Haltung gegenüber ver.di und GEW zeigt. Deswegen ist es wichtig zu zeigen, dass auch wir uns dafür einsetzen. Wir wollen demnach dahingehend Druck aufbauen.
Ihr seht euch also auf der einen Seite als Vernetzungspunkt, aber auf der anderen auch als Verhandlungspartner*innen? Du hast schon die fehlenden Personalräte für studentische Beschäftigte angesprochen. Ist es an der Stelle dasselbe?
Beides, sowohl Vernetzung als auch Vertretung sind für uns sehr wichtig. In der Pharmazie gibt es beispielsweise Laborpraktika, die acht Stunden dauern und in diesen acht Stunden ist keine einzige Pause vorgesehen. Wer eine Pause macht, bekommt häufig zeitliche Probleme. Dafür sind wir auch Ansprechpartner*innen. Das ist kein klassisches Arbeitnehmer*innen-Problem, aber es ist ein Problem im Vollzeitjob Studium.
Die TVStud-Kampagne ist eines eurer großen Projekte und auch ein wichtiges Ziel, das es zu verfolgen gilt. Was habt ihr noch für Pläne als neue Hochschulgruppe?
TVStud vereint viele Ziele: Planbarkeit durch Mindestvertragslaufzeit, existenzsichernde Löhne, die regelmäßig nach Tarif steigen. Genauso wie Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlung, Mitbestimmung beispielsweise durch Personalräte – auch hier sind die Studierenden nicht vertreten. Die Anzahl Studierender an der Universität ist schließlich nicht niedrig. Es geht jedoch auch darum, Diskussionen anzuregen und politische Debatten mit anzustoßen. Wir halten uns auch offen, Anträge zu stellen, wenn uns in unserer Arbeit Sachen auffallen. Außerdem planen wir zwei Seminarreihen, sobald Präsenzveranstaltungen wieder guten Gewissens möglich sind. Wir haben langsam alle genug von digitalen Konferenzen.
Du studierst Medizin, was auch oft mit den seltsamsten Arbeitsbedingungen für Studierende verknüpft ist, wie zum Beispiel im Praktischen Jahr. Siehst du da auch potenziell Möglichkeiten, etwas zu verändern?
Das Praktische Jahr ist schon sehr fragwürdig. Es ist ein Jahr, in dem man richtig arbeitet. Jeden Tag. Überstunden erwähne ich einmal nicht, das ist uns allen klar. Es gibt teilweise Kliniken, die dieses Jahr nicht vergüten. Da ist es schon ein Glücksfall, wenn man von der Klinik einen Essensgutschein für eine Mahlzeit bekommt. In den ganz harten Fällen gibt es aber wirklich gar nichts. Daran arbeitet aktuell der Marburger Bund, sodass es hoffentlich irgendwann einmal eine Vergütung für das PJ gibt. In Greifswald gibt es immerhin schon 400 € Aufwandsentschädigung. Das ist im Vergleich schon wirklich gut.
Du hast außerdem Seminarreihen erwähnt. Was schwebt euch da denn vor?
Wir haben aktuell zwei Seminarreihen im Kopf, sind jedoch noch eine kleine Gruppe und müssen schauen, was sich tatsächlich umsetzen lässt. In einer Seminarreihe soll es um mentale Gesundheit im Studium gehen. Hier würden wir den Fokus gerne auf die Vermittlung von praktischen Inhalten und nützlichen Tipps legen. Wie kann man sich im Studium entspannen? Was ist gut für den Stressabbau? In unserer Stipendiat*innen-Gruppe sprechen wir regelmäßig darüber, wie es uns aktuell geht. Man merkt bei fast allen, dass Motivation und Disziplin während der anhaltenden Pandemie ein großes Problem darstellen. Außerdem wollen wir regelmäßig Seminare zur Studienfinanzierung anbieten. Beispielsweise wollen wir so vermitteln, dass Stipendien nicht eine 1,0 benötigen. Es zählt nun mal nicht nur die Leistung, sondern auch das Engagement. Aber auch, was das BAföG angeht, wollen wir vermitteln. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht, dass das BAföG umfassend reformiert werden soll. Hierzu wollen wir informieren und Fördermöglichkeiten in voller Breite darstellen.
Das klingt wirklich spannend! Eure Sitzungen finden ja wahrscheinlich auch digital statt. Kann man da bei Interesse eigentlich teilnehmen und muss man dafür Gewerkschaftsmitglied sein?
Wir machen derzeit Sitzungen über Microsoft-Teams. Wenn man daran teilnehmen möchte, kann man uns gern vorher eine E-Mail schreiben, dann schicken wir die Einladung zu. Wir versuchen uns regelmäßig alle drei bis vier Wochen zu treffen. Da wir aktuell nur zu dritt sind, sprechen wir uns ab, wann wir alle können. Wir haben auch schon anderen Hochschulgruppen geschrieben, dass sie gern zu unseren Sitzungen kommen können. Man muss nicht zwangsläufig Mitglied einer Gewerkschaft sein.
Wenn ich als Studentin einer Gewerkschaft beitrete, was wären dann meine Vorteile?
Gewerkschaften sind eine gute Möglichkeit, politische Arbeit zu leisten. Die DGB-Jugend und unsere Mitgliedsgewerkschaften bieten ein breites Bildungsprogramm zu gewerkschaftlichen und politischen Themen – etwa eine wunderbare Bildungsreise nach Israel, die dieses Jahr stattfinden wird. Hinzu kommen natürlich noch viele weitere Möglichkeiten, sich in Gremien zu engagieren und, vielleicht am wichtigsten, die Zukunft der Arbeit zu gestalten. Das ist schließlich die Kernaufgabe für uns als Gewerkschaften: Wir setzen uns für gute Arbeitsbedingungen ein und das können wir nur gemeinsam.
Danke für deine Zeit und das Interview! Letzte Frage: Wann ist eure nächste Sitzung?
Unsere nächste Sitzung ist am 9. Februar 2022 um 19 Uhr. Wer Lust hat, kann da gern vorbei kommen!
Anna studiert im 9. Semester Humanmedizin an der Universität Greifswald. Zuvor hat sie eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin gemacht. Im Oktober 2014 ist sie ver.di beigetreten und hat auch bereits als Teamdelegierte zwischen der Gewerkschaft und ihrer Station diverse Aufgaben übernommen. Sie ist Hans-Böckler-Stipendiatin und seit November 2021 die erste Sprecherin der Hochschulgruppe der DGB Jugend.
Titelbild: DGB Jugend Mecklenburg-Vorpommern
Beitragsbild: Laura Schirrmeister