Das Weihnachtsfest ist vorbei und schon jetzt raucht euch der Kopf angesichts der bald anstehenden Prüfungsphase? Wie wäre es denn mal mit ein wenig Kulturprogramm zur Ablenkung zwischendurch. Wer sich für ein Zusammentreffen aus der barocken Lyrik des 17. Jahrhunderts, Regionalgeschichte, humoristischen Comiczeichnungen und Feminismus interessiert, kann noch bis zum 28.01.2022 im Koeppenhaus die Ausstellung Sibylla des Comiczeichners Max Baitinger (Leipzig) bewundern. Anlässlich des 400. Geburtsjubiläums der Greifswalder Barock-Dichterin Sibylla Schwarz (1621-1638) wird ihre Lebensgeschichte in Form eines 176-seitigen Graphic Novels ausgestellt.
Eine heute wenig bekanntes „Wunderkind“ des Barock
Doch wer war Sibylla Schwarz eigentlich nochmal? Vielleicht kommt einigen der Name bekannt vor. Wer sich jetzt jedoch absolut nicht erinnern kann, wer die Frau war und was sie geleistet hat: Das macht nichts! Denn leider wissen wir heute generell nur sehr wenig über die Greifswalder Dichterin. Als Jüngste von sieben Kindern des Greifswalder Bürgermeisters Christian Schwarz (1581-1648) begann die junge Lyrikerin, mit der Unterstützung des Vaters, im Alter von etwa 10 Jahren Gedichte zu verfassen. Mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges schrieb sie über Themen zwischenmenschlicher Natur, wie Liebe, Freundschaften oder den Tod. Auch der Krieg selbst fand Platz in ihren Dichtungen. Als sie mit 17 Jahren 1638 an der Ruhr, einer bakteriellen Infektionskrankheit des Darms, verstarb, hatte sie bereits über 100 Gedichte verfasst. Posthum wurde Schwarz‘ Werk durch den Theologen und Historiker Samuel Gerlach (1615-1654), ihren ehemaligen Hauslehrer, 1650 unter dem Titel Deutsche Poëtische Gedichte in Danzig veröffentlicht. Die Publikation brachte ihr den Beinamen der „Pommerschen Sappho“, in Anlehnung an die berühmte antike Dichterin, ein. Trotz ihrer Berühmtheit geriet die Person und das Werk Sibylla Schwarz‘ zunächst im 18. Jahrhundert in Vergessenheit. Im 19. Jahrhundert wurden Literaturforscher*innen jedoch aufgrund ihrer Bedeutung als eine der wenigen weiblichen Barocklyrikerinnen wieder auf sie aufmerksam. Ein erster photomechanischer Nachdruck der Deutschen Poëtischen Gedichte erschien erstmals 1980. Zu Schwarz‘ 400. Geburtsjubiläum im Jahr 2021 wurden drei weitere Neuausgaben gedruckt.
Feministisches Gedankengut zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges?
Nicht nur die Fülle der von Sibylla Schwarz in einem so jungen Alter verfassten Werke, sondern auch der teilweise kontrovers diskutierte Inhalt dieser, machen die junge Frau zu einer bedeutenden Persönlichkeit der Literaturgeschichte. Von der Literaturwissenschaftlerin Erika Greber (1952-2011) wurde Schwarz‘ wahrscheinlich bekanntestes Gedicht, Ein Gesang wider den Neid, als das „wohl erste kompromisslos feministische Gedicht der Weltliteratur“ bezeichnet. In diesem thematisiert Schwarz, wie sie sich nicht nur als Dichterin, sondern auch als Frau in einer von Männern dominierten (Literatur-)Welt behaupten muss. Ein dazu passendes Zitat, das besonders heraussticht und auch von Max Baitinger aufgegriffen wird, findet sich auf dem Deckblatt der Ausgabe mit Schwarz‘ gesammelten Werken von 1650: „Was mir der Himmel hat an Schönheit nicht gegeben / Das hat ersetzt Verstand und Tugend in meim Leben.“ Ein Satz, mit dem die Greifswalderin ihrer Zeit weit voraus zu sein scheint. Besonders diskutiert wird die Tatsache, dass einige ihrer Liebessonette Frauen gewidmet wurden, wie beispielsweise ihrer Freundin Judith Tank. Die vielfach literarisch und künstlerisch verarbeitete Geschichte der biblischen Figur der Judith aus dem Alten Testament, welche Rache am Feldherren Holofernes nimmt, wird von Sibylla Schwarz wie folgt verarbeitet: „O Judith, Judith komm, und hilf uns itzt aus Nöten,/ Weil Holofernes Heer uns gänzlich fast will töten!/ Komm, uns verlangt nach dir, tu weg den Weiber-Mut,/ Dem ganzen Vaterland, und dir und mir zugut!“ Diskutabel sind die Verse insofern, als dass unklar bleibt, ob das lyrische Ich männlich oder weiblich ist.
Max Baitingers Sicht auf eine herausragende Lyrikerin
Wandert man durch die Ausstellung, erkennt man den von Max Baitinger vielfach genutzten graphisch minimalistischen Stil. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Werken sind die sonst so klaren Linien in Sibylla eher weich gehalten. Wunderschön anzusehen wurden die einzelnen Grafiken mit Tuschmalerei, Aquarellschattierungen und pastellfarbenen Untergründen koloriert, was diesen eine gewisse Lebendigkeit und vielleicht sogar etwas Poetisches, passend zur Biographie von Sibylla Schwarz, verleiht. Baitinger bedient sich einer Erzählebene aus kurzen Sätzen und zitiert gleichzeitig die Verse der jungen Dichterin. Somit werden die Rezipient*innen aus der Sichtweise des Künstlers – mit teilweise humorvoll erdichteten Details – durch das Leben von Sibylla Schwarz geführt. 2020 wurde Sibylla mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung ausgezeichnet.
Wer jetzt Lust auf die Ausstellung bekommen hat, kann Baitingers Zeichnungen dienstags bis freitags zwischen 14 und 18 Uhr im Koeppenhaus bewundern. Der Eintritt ist frei. Es gilt die 2G-Regel und Maskenpflicht. Möchte man allerdings vorab ein paar Impressionen des Graphic Novel gewinnen, kann man online in die ersten sechs Seiten beim Reprodukt-Verlag reinblättern. Dort kostet das Buch 24,00 €.
Beitragsbild: Dirk Rehm und Heike Drescher auf Reprodukt