Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns (meistens) sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.
Das ZDF beleuchtete im Beitrag „Weltmacht Amazon – Das Reich des Jeff Bezos“ im vergangenen Monat die Expansions- und Marktstrategien des Online-Marktplatzes Amazon. Die Doku hat bei mir vieles aufgedeckt, was man unterschwellig bereits ahnte oder wusste. Das habe ich zum Anlass genommen, mein Online-Shoppingverhalten bei dem Marktführer der Online-Shops zu hinterfragen. Ein Selbstversuch mit nachhaltigem Ende.
Amazon. Es gibt hier eigentlich nichts, was es nicht gibt. Von streambaren oder gepressten Filmen über Hörbücher, Spielzeug und Werkzeug, Aufbackbrötchen, Instantnudeln, Kosmetik und Toilettenpapier bis hin zum Carport oder Anhänger ist alles und noch mehr dabei. Die Auswahl ist gleichzeitig Segen und Fluch. Zwischen guten und wertigen Produkten finden sich viel Müll und Dinge, die kein Mensch braucht. Trotzdem geht jede Produktsuche erstmal über Amazon.
Wie Carsten Meyer in seinem Artikel „Jeff Bezos auf Expansionskurs“ darstellt, beläuft sich Amazons Marktanteil im Onlinehandel in den USA auf 50%. Nach einer Statistik des IfH Köln beläuft sich 2019 auch in Deutschland der Umsatzanteil im Online-Handel auf 29% von Amazon Marketplace und 19% von Amazons Eigenhandel. Das ZDF berichtet in der Doku weiter, dass Amazon sich systematisch in Markesegmente drängt und hier zunächst Umsatzeinbußen in Kauf nimmt, um kleine Händler*innen vom Markt zu drängen und so den eigenen Marktanteil zu erhöhen.
Das umgekrempelt-Abenteuer begann schon an dem Abend der Doku mit der Kündigung meines (dank DVD-Sammlung) ohnehin selten genutzten Prime-Abos. Streamen ist nicht gut für die Umwelt und Hand aufs Herz: Die drei Serien, die ich online schaue, kann ich mir auch auf Blu-Ray kaufen. Geht auch ohne Amazon.
In den folgenden Tagen begann die Uni und damit besonders auch wieder Online-Lehre. Weil die technische Ausstattung im letzten Semester eher schlecht als recht war, sollten eine neue Webcam und ein neues Mikrofon her. Kolleg*innen empfahlen Produkte – alle natürlich samt Amazon-Link – und so ging der schnelle Klick auf „Kaufen“ mit dem Gedanken „Ist ja eh am günstigsten“. Bestellbestätigung. Fertig. Doch Moment! Kurz danach: „Abbruch!“. Bestellung storniert.
Was damit begann, war nach der Kündigungseuphorie des ersten Tages nun die erste Schlappe: Die gewünschte Webcam war offensichtlich nur im Amazon-Kosmos „Marketplace“ vorhanden. Viele Hersteller*innen vertreiben ihre Produkte direkt auf dieser Plattform und bieten sie dort (nur dort?!) zum Kauf an. Darauf wurde schon in der Dokumentation eingegangen; dass es nun aber schon bei der ersten Bestellung soweit kommen würde, wollte ich nicht glauben. Suchmaschine auf. Kopf an.
Nach einigen weiteren Recherchen stieß ich auf das Produkt auf der Vergleichsplattform Geizhals, die auf unterschiedlichen Verkaufsplattformen Preise recherchiert und übersichtlich in einer Tabelle darstellt. Und siehe da: Tatsächlich gibt es die Webcam wohl doch bei anderen Anbietern. Zwar teurer und mit längerer Lieferzeit, aber dafür mit dem Gewissen, dass Menschen sich für diese Lieferung nicht abhetzen müssen. Da ich das Produkt ohnehin nicht am nächsten Tag brauchte und auch Amazon es nicht schafft, innerhalb eines Tages in den Nordosten Deutschlands zu liefern, war das in Ordnung. Bestellt, bezahlt, innerhalb von drei Tagen geliefert. Geht also auch ohne Amazon.
Das zweite Testprodukt war ein Mikrofon. Nach einigen Produktrecherchen kam ich auf einen Favoriten, den ich sodann gleich in die mir so lieb gewonnene Vergleichsplattform eintippte. Die Liste war endlos und neben (natürlich…) Amazon auf einem der ersten Plätze waren andere Händler*innen nicht weit davon entfernt. Ins Auge fiel mir ein Händler, der sich auf die Lieferung von Musikinstrumenten und passender Technik spezialisiert hat. Was hier neben einem umfassenden Angebot an Produkten noch als großes Plus hinzukam, waren erstens die sehr spezifizierten Infos zu dieser Produktkategorie, die man so wohl nur bei einem Fachhandel erhält, und zweitens die zahlreichen Rezensionen von echten Kund*innen, die die Produkte bewerteten und zusätzlich noch Tipps gaben, welche anderen Produkte sich gut kombinieren lassen (hier zum Beispiel eine Halterung für das Mikrofon). Die Lieferung kam schnell, war sehr passend verpackt und gab mir ein richtig gutes Gefühl. Geht eben auch ohne Amazon.
Mein umgekrempelt-Erlebnis hat mir Folgendes gezeigt: Für Produktsuchen gibt es eine Vielzahl an Preisvergleichen, die die gleiche Funktionalität wie Amazon, nämlich eine Produktübersicht mit angeschlossenem Preisvergleich bieten. Zwar findet sich auch hier Amazon oft sehr weit oben in der Übersicht, da die Produkte dort besonders günstig sind, aber zu welchem Preis? Die Marktmacht von Amazon ist besorgniserregend, die Unverschämtheit der Personal-, Markt- und Unternehmenspolitik mit Worten nicht zu beschreiben. Mitarbeitende werden ausgebeutet, überwacht und bei minimalem Fehlverhalten oder schlechter Performance entlassen. Gewerkschaftliche Vereinigungen werden nicht geduldet.
Für mich heißt das im Fazit: So eine Philosophie möchte und muss ich nicht unterstützen. Was ich lokal kaufen kann, kaufe ich lokal im nächsten Fachgeschäft, das mich individuell beraten kann. Was ich dort nicht finde oder wenn der Weg doch zu weit ist, kaufe ich nun bei kleinen, meist nur unwesentlich teureren, Händler*innen im Onlinebereich. Oder eben gar nicht.
Bildquelle: Reimund Bertrams auf Pixabay