Nun sitze ich in der Stadt Da Lat in Vietnam gemütlich beim Frühstück in meinem Hostel und warte darauf, abgeholt zu werden. Nur zwei Tage zuvor hatte ich einen schweren Busunfall, den ich glücklicherweise unverletzt überstanden habe. Doch brauchte ich danach erst mal eine Pause von den Reisebussen. Die logische Schlussfolgerung lag also auf der Hand: Weiter ging die Reise hinten auf dem Motorrad eines fremden Mannes.
In Chile hatte mir eine Freundin von Binh erzählt, der in Vietnam sogenannte Easy Rider Touren anbietet. Dabei fährt man hinten auf seinem Motorrad mit und er zeigt einem alle möglichen spannenden Ecken des Landes. In Vietnam gibt es für diese Touren viele Anbieter und es ist eine tolle Art, das Land fernab der Touristenmassen zu erkunden. Für mich sollte es innerhalb von zwei Tagen von Da Lat in den Bergen nach Na Trang an die Küste gehen. Wie er meinen viel zu großen und schweren Reiserucksack auf dem Bike transportieren wollte, war mir noch nicht klar, aber gerade als ich darüber nachdachte, fuhr Binh schon beim Hostel vor.
Ich gehe direkt hinaus, wir begrüßen uns und während er mir erzählt, dass er auch mal eine Weile in Berlin gelebt hat und noch etwas Deutsch spricht, packt er meinen schweren Rucksack gekonnt in einen großen Plastikbeutel und schnallt ihn quer über den Gepäckträger. Sitzt, wackelt und hat Luft. Und schon nehme ich hinter ihm auf dem Motorrad Platz, setze meinen Helm auf und wir verlassen die Stadt und fahren weiter hinein in die schönen Berge. Unterwegs erzählt mir Binh viel über das Land und seine Kultur und hält oft am Straßenrand an, um mir verschiedene Pflanzen zu zeigen. Ich lerne, wie der berühmte teure Katzenkacke-Kaffee, auch Kopi Luwak genannt, gemacht wird und sehe zum ersten Mal in meinem Leben eine Zimtpflanze. Der erste Stopp ist der beeindruckende Elefanten-Wasserfall, zu dem ich runter wandere und dort plötzlich fast ganz alleine bin und die Ruhe genieße. Danach besuchen wir eine Seidenfabrik, wo mir Binh jeden Schritt von der Seidenraupe bis zum fertigen Produkt beschreibt und mir am Ende eine frittierte Seidenraupe zum Probieren vor die Nase hält. Schmeckt übrigens wie Pommes.
Wir übernachten in einem urig-gemütlichen Resort an einem See und besuchen am Abend noch eine Familie zu Hause. Sie leben in einer sehr kleinen Hütte und haben nicht viel in ihrem Leben, scheinen aber unglaublich glücklich. Während wir auf dem Teppich in dem einen Zimmer des Hauses sitzen, bieten sie mir ihr selbstgemachtes Reisbier an. Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht rausreden und sie holen den großen Krug mit dem dunklen Bier vor. Im Kreis sitzend trinken wir das unfassbar starke und sehr schwarze Bier, das mir absolut gar nicht schmeckt, aber am Ende muss ich sogar zwei Gläser trinken – und das auf leeren Magen. Es war aber einfach ein so schöner Abend. Und so geht es am nächsten Tag weiter, als wir durch die Bergdörfer fahren und ich mich fühle wie eine Prominente. Die Bewohner*innen erkennen sofort, dass ich nicht von dort bin und winken, lachen mich an und rennen mit dem Motorrad ein Stück mit. Überall, wo wir anhalten, sind die Menschen unglaublich freundlich und obwohl wir keine gemeinsame Sprache haben, lassen sie mich an ihrem Alltag teilhaben. Meist sitzen die Frauen und Kinder draußen vor den Häusern und bereiten ihre tolle farbenfrohe Kleidung zu.
Unterwegs fahren wir an unzähligen Reisfeldern vorbei und überqueren einen Fluss mit einem Floating Village, einem schwimmenden Dorf, inklusive Schule. Binh zeigt mir die Pfeffer- und Kaffeepflanzen am Straßenrand und führt mich zu einer Frau, die gerade Reispapier herstellt, das man frittieren und als Snack essen oder für die Zubereitung von Sommerrollen verwenden kann. Später halten wir an einem Stand, der Zuckerrohrsaft anbietet, den ich probiere und als ausgesprochen süß empfinde und nicht austrinken kann. Hätte ich mir eigentlich auch denken können.
Am Ende des zweiten Tages erreichen wir das Meer, es wird spürbar wärmer mit jedem Kilometer, und schon kommen wir in Na Trang an. Dort heißt es Abschied nehmen von meinem großartigen Reiseführer Binh, bevor ich mich doch wieder in einen Fernbus traue, der mich in die schöne Laternenstadt Hoi An führen soll. Aber diese besonderen Momente, die ich bei den Menschen in den Bergdörfern erlebt habe, werde ich so schnell nicht vergessen.
Bilder: Rike Gelke